Germering:Freispruch vom Missbrauchsvorwurf

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Landgericht sieht es nicht als erwiesen an, dass ein 29-Jähriger eine sexuelle Beziehung zu einem Kind hatte

Von Florian J. Haamann, Germering/München

Es war eine traurige Geschichte, die Richterin Regina Holstein in ihrer Urteilsbegründung noch einmal beschrieb: "Wir haben ein verstocktes Mädchen gesehen, einen Hilfeschrei bis ins Tiefste, den sie nicht ausdrücken konnte. Wir alle haben eine Grundunglücklichkeit gespürt, die schon früh ausgelöst worden ist." Was am Ende des zweiten Prozesstages vor dem Münchner Landgericht allerdings nicht klar war: Hatte das 13-jährige Mädchen eine Beziehung zum 29-jährigen Angeklagten, und ist es dabei zum Geschlechtsverkehr gekommen? Deshalb wurde der Germeringer vom Vorwurf des mehrfachen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern freigesprochen. Nicht weil das Gericht von seiner Unschuld überzeugt war, sondern weil es ausreichende Zweifel an seiner Schuld gibt.

Denn in solchen Missbrauchsprozessen gibt es hohe Hürden für eine Verurteilung. Gibt es keine direkten Zeugen des Geschehens und es steht Aussage gegen Aussage, müssen klare Kriterien erfüllt sein: Das Opfer muss eine klare Historie des Geschehens erzählen, seine Ausführungen müssen konstant sein, es muss Besonderheiten nennen können und seine Schilderungen müssen erlebnisorientiert sein. All das war in diesem Prozess nicht gegeben.

Zuerst einmal konnte die 13-Jährige nicht sagen, wann und wie oft es zum Geschlechtsverkehr gekommen sein soll. So hatte sie bei der Polizei von 15 Mal gesprochen, beim Vernehmungsrichter von 11 Fällen, vor Gericht nannte sie überhaupt keine Zahl. In ihrer zweiten Aussage am Freitagmorgen erzählte sie unter Ausschluss der Öffentlichkeit dann von einem Geschlechtsverkehr, der bisher überhaupt nicht zur Sprache gekommen war. Auch ihren Freundinnen, die als Zeuginnen ausgesagt haben, hatte sie jeweils unterschiedliche Geschichten erzählt. Auf die Fragen, ob sie irgendwas über die angebliche Geschlechtsakte sagen kann, außer dass der Angeklagte ihr seinen Penis eingeführt hat, konnte sie nichts sagen - nicht, wie es sich angefühlt hatte, nicht, was die beiden genau anhatten, nicht, ob ihr irgendwas in der Umgebung aufgefallen war. Dazu kommt, dass sie in keiner ihrer Aussagen von sich aus etwas erzählte oder preisgab, sondern eigentlich nur bei Entscheidungsfragen eine der Optionen ausgewählte.

Die einzigen Fakten, die das Gericht feststellen konnten, waren, dass sich das Mädchen und der Angeklagte kannten, dass das Mädchen oft vor und manchmal in dem Laden am Germeringer Bahnhof abgehangen ist, in dem der 29-Jährige gearbeitet hat. Dann gab es noch ein kurzes Treffen am Münchner Hauptbahnhof, das über den Facebook-Account einer Freundin, die dann auch dabei war, ausgemacht wurde. "Was die beiden ansonsten verbunden hat, das bleibt für uns im Dunkeln. Wir konnten nicht feststellen, ob etwas war oder ob alles ein Fantasieprodukt des Mädchen war", fasste es die Richterin zusammen.

Wollte das Mädchen vielleicht nicht mehr aussagen, um so den Angeklagten zu schützen? Oder konnte sie aus irgendwelchen Gründen nicht mehr aussagen, vielleicht wegen einer psychischen Verletzung? Oder hat sie bewusst gelogen und sich das Verhältnis komplett ausgedacht - weil sie es sich von dem Angeklagten gewünscht hat, in den sie offenbar verliebt war, Halt in ihrem Leben zu finden? Oder hat sie die Geschichte erfunden, weil sie vor ihren Freundinnen angeben wollte, weil das Thema Sex zwischen ihnen ein häufiges Gesprächsthema war? Das sind die Alternativen, zwischen denen das Gericht entscheiden musste. Durch ihre unterschiedlichen Aussagen sei das Mädchen "verbrannt" gewesen, sagte Holstein, "wir konnten ihr nichts glauben".

In den nicht-öffentlichen Plädoyers hatte der Verteidiger Miguel Moritz den Freispruch gefordert. Die Staatsanwältin plädierte für eine vierjährige Freiheitsstrafe.

© SZ vom 04.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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