Germering:Düsternis im Herzen

Lesezeit: 2 min

Die jungen Autorinnen der Gruppe "Schreibweise" stellen sich mit Kurzgeschichten vor

Von katharina knaut, Germering

Es gibt ihn immer diesen einen Jemand, der irgendwie anders ist. Es beginnt schon in der Schule: in jeder Klasse gibt es ihn, diesen Außenseiter; der, der andere Kleidung trägt, andere Hobbys hat und sich für andere Dinge interessiert. Später in der Arbeit ist es nicht anders: jeder kennt ihn, diesen einen Kollegen, diesen schrägen Vogel, der irgendwie nicht zu den anderen passen will. Manchmal sind diese Menschen verkappte Genies, die großes bewegen. Manchmal wird ihnen das Anderssein jedoch zum Verhängnis und sie stürzen sich und ihre Umgebung ins Chaos.

Aber wie sind sie eigentlich, diese "anderen" Menschen? Wie fühlen sie sich, was haben sie für Gedanken? Mit diesem Thema hat sich die Münchner Autorengruppe "Schreibweise" beschäftigt, die sich am Samstag in der Stadtbibliothek vorgestellt hat. Acht Schülerinnen des ehemaligen Hochbegabtenkurses der "Schülerakademie Bayern West" haben unter dem Motto "Das Leben eines Anderen" ihre Kurzgeschichten vor rund 30 Menschen vorgetragen.

"Eins. Du spürst das Meer neben dir, auch wenn du es nicht berührst." Spannung ergreift die Zuhörer. "Zwei. Du schaust die Flügel an, erinnerst dich daran, was du im Spiegel gesehen hast. Du wartest." Letzte Gespräche verstummen und auch in der letzten Reihe hören alle gespannt zu. "Drei. Es ist so dunkel draußen. Das helle Licht hier drinnen erinnert dich an eine Klinik. Aber hier ist so viel Blut..." Spätestens zu diesem Zeitpunkt hat Julie Craig ihre Zuhörer fest im Griff. Gebannt lauschen sie der Geschichte eines Buben mit Flügeln, der von der Gesellschaft ausgestoßen und in eine innere Leere getrieben wurde. Danach geht es Schlag auf Schlag: Eben ist man noch ein Mädchen, eine Muse, die an ihren zwiespältigen Gefühlen für einen Künstler beinahe zerbricht, dann ist man ein Amokläufer, der kurz davor ist, die Tür aufzustoßen und auf seine Klassenkameraden zu schießen. Die Mädchen im Alter zwischen 14 und 17 Jahren haben sich wahrlich keine unbeschwerten Themen für die Lesung ausgesucht. Die Texte strotzen gerade zu vor Angst, innerer Zerrissenheit, Einsamkeit und Gewalt.

Die Schülerinnen schaffen es jedoch, mit überlegter Wortwahl und lebhafter Vortragsweise die schwere Thematik für den Zuhörer zugänglich zu machen. Zugleich beweisen sie erstaunliches Einfühlungsvermögen beim Beschreiben der Mentalität von Andersdenkenden und schaffen es, die Stimmungen der Charaktere auf die Zuhörer zu übertragen.

"Die Texte haben einen sehr berührt", erklärt eine Zuhörerin abschließend. "Ich wusste nicht, dass junge Mädchen solche Texte schreiben können." Allerdings seien ihr die Pausen zwischen den einzelnen Darbietungen zu kurz gewesen. "Die Bilder und die Stimmung muss man erst mal verarbeiten." Folgten die Texte so schnell aufeinander, habe man kaum Gelegenheit sie zu verinnerlichen. Gerade bei so ernsten Themen finde sie das sehr wichtig, sagt die Zuhörerin.

So schwer die Themen auch sind, die Autorengruppe bemüht sich zum Schluss darum, dass die Zuhörer die Bibliothek nicht in depressiver Stimmung verlassen müssen. Denn nicht nur die Schülerinnen dürfen eine Kostprobe ihres Könnens geben, auch Stephan Fritz, Leiter der Autorengruppe, hat es sich nicht nehmen lassen, ebenfalls eine Geschichte zu präsentieren. Mit einem amüsanten Text über seine Jugend lockert er die von Ergriffenheit schwer gewordene Atmosphäre auf und erreicht auf diese Weise, dass jeder Zuhörer mit einem Schmunzeln auf den Lippen in den Abend entlassen wird.

© SZ vom 20.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: