Germering:Die Unerbittliche

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"Irmi hält uns auf Trab." Das sagen begeisterte Fans, die regelmäßig die Gymnastikstunden von Irmi Gmeinwieser besuchen. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Irmi Gmeinwieser leitet im Alter von 87 Jahren beim TSV-Unterpfaffenhofen-Germering noch Gymnastikstunden. Sie macht alle Übungen mit und erweist sich dabei als fitter als die jüngeren Teilnehmer. Aufhören will sie erst, wenn sie merkt, dass sie nicht mehr mithalten kann

Von Karl-Wilhelm Götte, Germering

"Nochmals höher das Bein", ruft Irmi Gmeinwieser. "Tief, hoch und schneller" animiert sie die Teilnehmer der Funktionsgymnastikstunde in der Mehrzweckhalle des TSV Unterpfaffenhofen-Germering am Dienstagmorgen. Etwa 40 Frauen und einige wenige Männer liegen bei dieser Übung in Seitenlage auf ihrer Isomatte in der Halle verteilt. Gedämpfte Musik ist aus Lautsprechern zu vernehmen. "Anderes Bein hoch" befiehlt "Vorturnerin" Gmeinwieser mit freundlicher Stimme und legt unerbittlich nach: "Und zehn Sekunden das Bein oben halten." Viele Teilnehmer schaffen diese zehn Sekunden nicht. Auch bei der Streckung des Beines im 90-Grad-Winkel nach oben kommt die Leiterin der Gymnastikstunde am höchsten.

Das ist deshalb verwunderlich, weil Irmi Gmeinwieser 87 Jahre alt ist. "Irmi hält uns auf Trab", sagt Jutta Plundrich, die mit ihrem Mann regelmäßig in die Gymnastikstunde kommt. "Es gibt immer neue Kreationen von ihr", schwärmt Plundrich von der Abwechslung, die Gmeinwieser in den 45 Minuten präsentiert und vorgibt. Die Plundrichs lassen sich seit mehr als 30 Jahren von ihr die Muskeln an allen Körperteilen straffen. "Jedes Jahr gibt es auch neue Musik", ergänzt Sieglinde Claus. Auch die 77-Jährige ist "Irmi-Fan". Sie kommt seit 40 Jahren zu ihr in die Halle.

Vorne auf ihrer kleinen erhöhten Bühne gibt sich Irmi Gmeinwieser weiterhin unerbittlich. Jetzt sind in Rückenlage die Bauchmuskeln dran. "Beine hoch, Füße etwas anziehen und dann die Beine tiefer", sagt Irmi und die Frauen und Männer folgen ihr brav. Danach stehen Situps an. Beine und Rücken sollen sich vom Boden entfernen. "Oben halten", befiehlt Irmi und erlöst die Teilnehmer nach einigen Sekunden. Sie dürfen auf den Rücken rollen und die Beine strecken.

Doch schon kommt das nächste Kommando. "Beine strecken und dann das Knie rechts und links anziehen", ruft die Vorturnerin in die Halle. "Jetzt das Bein hochstrecken." Die Beweglichkeit der Gymnastinnen und fünf Gymnasten, die zwischen 50 und 80 Jahre alt sind, ist sehr unterschiedlich. Gmeinwieser hat alle im Blick, auch wenn sie gerade mal mit dem Rücken zu ihnen liegt. Sie ist mit deren Einsatz und ihrer Anstrengung, das Optimum zu erreichen, ganz zufrieden. "Sie machen das alle ganz brav mit", kommentiert sie die gerade abgelaufene Übungsstunde zufrieden.

Anspruchslos ist sie jedoch keinesfalls: "Die meisten Teilnehmer sind jünger als ich, da kann ich was verlangen." Gmeinwieser setzt auf den Einsatz von Musik. Die Lautstärke können die Teilnehmer per Fernbedienung selbst bestimmen. An diesem Tag läuft sie eher leise im Hintergrund. "Übungen, die anstrengend sind, hältst du mit Musik länger durch", sagt Gmeinwieser. "Sie darf nicht zu leise sein."

Gmeinwieser hat schon immer Wert darauf gelegt, mit eigenen Übungen an vorderster Front zu stehen. Der positive Nebeneffekt ihrer Gymnastikstunden ist sichtbar: "Damit halte ich mich selber fit." Die Übungsstunde - sie findet regelmäßig an jedem jeden Dienstagvormittag statt - sei für alle Körperteile durchaus ein "scharfes Programm", so Gmeinwieser. Sie macht alle Übungen bis zur letzten Wiederholung mit. "Wie will ich die Leute sonst motivieren?", fragt sie. Gerade deshalb ist Irmi, wie sie von allen genannt wird, im Verein Kult.

Sie ist nicht nur Trainerin beim TSV UG. So leitet sie seit mehr als fünf Jahrzehnten auch die Turnabteilung mit etwa 3000 Mitgliedern. Dazu koordiniert sie eine Hundertschaft von Übungsleitern, Trainern und Helfern. Sie entscheidet darüber, was ins Vereinsprogramm kommt und welche Übungsleiter wo eingesetzt werden. Bei ihr unterrichtet niemand, der nicht als Übungsleiter oder Trainer ausgebildet ist und die notwendigen Fortbildungen besucht.

Die Palette des Angebots im 5500-Mitglieder-Großverein ist breit gefächert. Gmeinwieser steht neuen Bewegungstrends aufgeschlossen gegenüber. "Ich schaue mit aber alles vorher an", beschreibt sie ihre Vorgehensweise. So fand Pilates, ein systematisches Ganzkörpertraining, ihre Zustimmung und läuft im Verein mit sechs Übungsterminen ganz prima. Das Flexibar-Training mit einem langen Wackelstab zur Kräftigung von Schulter, Bauch und Rücken lehnte sie ab. Dioe Begründung: "Das ist für ältere Menschen nicht so passend."

In einer Münchner Turnerfamilie aufgewachsen, begann Gmeinwieser als Vierjährige beim MTSV Schwabing mit dem Turnen. 1956 kam sie nach Germering. "Ich hatte damals alle Freiheiten in der Turnabteilung und konnte alles unterrichten", erinnert sie sich. Doch Beliebigkeit und Anspruchslosigkeit ist ihre Sache nicht. Ein ordentliches Leistungsniveau ist ihr bis heute wichtig. Sie bedauert, dass dies gerade bei den Turnerjugendgruppen des Vereins, die einen attraktiven und vielseitigen Fünfkampf mit Turnen, Tanzen, Staffellauf, Schwimmen und Singen bestreiten, stark nachgelassen hat. Schon 1970 ließ Gmeinwieser im Landkreis aufhorchen, als sie für viele antiquierte Turnvereine einen nahezu revolutionären Schritt vollzog. Sie löste im Erwachsenenbereich die Geschlechtertrennung wieder auf. "Er- und Sie-Gymnastik" wurde zum Renner. Gmeinwieser verbreiterte das Angebot immer mehr. Mutter-und-Kind-Turnen und Gymnastik- und Tanz-Gruppen kamen hinzu. Als 1982 die Aerobic-Welle von den USA nach Deutschland überschwappte, war sie sofort mit dabei und absolvierte die Zusatzausbildung. Aerobic wurde zum neuen Renner im Verein. "Plötzlich hatte ich 23 Übungsstunden pro Woche", erinnert sie sich. Sie konnte die Zeit für den Verein entbehren, nachdem ihre drei Kinder bereits erwachsen waren. Sieben Jahre war sie neben ihren Aufgaben im Turngau Amper-Würm auch Referentin für Freizeit- und Breitensport im Präsidium des Bayerischen Turnverbandes tätig. Dort ist sie inzwischen Ehrenmitglied. 1988 erhielt sie als Anerkennung für ihre Verdienste um die Turnbewegung die "Jahn-Plakette", die höchste Auszeichnung des Deutschen Turner-Bundes (DTB).

Wie jedem Menschen missfällt auch Irmi Gmeinwieser das Älterwerden. Sie ist schlank geblieben, daran haben die vergangenen Jahrzehnte nichts geändert. Auch von schlimmen Krankheiten blieb sie verschont. Trotzdem: "Altern ist ganz was Blödes", stellte sie schon vor einigen Jahren fest. "Es verläuft jedoch ganz anders, als man sich das in jungen Jahren vorstellt", meint sie nun. Ihr Mann starb schon 1991. Sie ist schon längst Uroma geworden und genießt die Zeit, die sie für sich und natürlich für das Turnen hat.

Ihre Gymnastikstunde neigt sich inzwischen dem Ende entgegen. Es gilt, im Sitzen mit den Fingerspitzen die Füße bei gestreckten Beinen zu erreichen. Die Vorturnerin schafft das lässig, einige auf ihren Isomatten nicht so ganz. Noch eine Dehnübung - Ende der Gymnastik. Die Teilnehmer klatschen Beifall. "Irmi hat ihren Ehrgeiz", sagt Winfried Plundrich, 73, anerkennend. "Ich weiß nicht, ob ich das in dem Alter noch so könnte." Gmeinwieser hat für sich einen Zeitpunkt bestimmt, an dem für sie als Vorturnerin Schluss sein wird: "Wenn ich merke, dass ich mit den Übungen vorher aufhören muss als meine Teilnehmer, dann ist es so weit." Bisher ist dieser Zeitpunkt noch nicht gekommen. So wie es aussieht, dauert das noch länger.

© SZ vom 03.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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