Germering:Die Suche nach der neuen Mitte

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Viel Beton, wenig Grün: Germering ist die sechstgrößte Stadt in Oberbayern - weil sie so schnell gewachsen ist, ist das kaum zu erkennen.

Ralf Scharnitzky

Stopp! Hier gibt es nicht's zu sehen." Das Überraschungsei, das dem Betrachter des bunten Plakats mit deutlichem Handzeichen den Weg zu den gemalten Hochhäusern im Hintergrund verwehrt, scheint zu wissen, was den Fahrgast der S-Bahn-Linie 8 in den nächsten Stunden erwartet.

Wenige Meter vom Bahnhof entfernt ist Germerings Anfang der neunziger Jahre errichtete Zentrum. Hier stehen zahlreiche Läden leer - mangels Kundschaft. (Foto: FFB)

Nun könnte der sich erst einmal über die Werbebotschaft Gedanken machen: Warum eigentlich soll man anhalten, wenn es doch sowieso nichts anzuschauen gibt? Oder er könnte über den im Werbetext fälschlich verwendeten Apostroph nachdenken. Gelegenheit dazu wäre. Denn der Blick aus dem Fenster zeigt außer der bunten Werbung an den Bahnhöfen abwechslungsreiche Ödnis: Gewerbegebiet, Brachland, grüne Blätterwand (dahinter versteckt vermutlich Reihenhäuser oder Eisenbahner-Siedlungen), Brachland, Gewerbegebiet, grüne Blätterwand (dahinter ...).

Aber um zu halbwegs ausgereiften Antworten zu kommen, ist die Zeit zu kurz: Nur zwölf Minuten nämlich dauert die Fahrt von Pasing - vorbei an den städtebaulich sicher nicht zu den Glanzlichtern zählenden Münchner Wohnquartieren Westkreuz und Neuaubing - zum Bahnhof Germering-Unterpfaffenhofen. Die Endstation, an der die Zukunft der S-Bahn schon begonnen hat. Morgens und abends fährt der Zug im Zehn-Minuten-Takt zum Ostbahnhof - wegen der mehr als 11.000 Pendler, die von Germering täglich zur Arbeit in die Millionenstadt müssen.

Alle 20 Minuten bewegt sich die S8 vom Flughafen kommend über die Teilzeit-Endstation hinaus; nach Herrsching. Das wäre sicher der schönere Rechercheauftrag; schon wegen der angeblich längsten Seepromenade Deutschlands und dem sehenswerten Kurparkschlösschen, einem beliebten Hochzeitsparadies. Kein Wunder, dass die Mehrheit der Fahrgäste - zumeist Senioren im Wander-Outfit und Urlauber - bei der Einfahrt in den S-Bahnhof sitzen bleibt, zumal ja auch noch der Weßlinger See auf der Route liegt.

Kein Schloss, keine Brauerei, kein Kloster

Ein Ausflugsziel ist Oberbayerns sechstgrößte Stadt ja auch wirklich nicht. Wer an Germerings Hauptbahnhof (es gibt noch die Station Harthaus) aussteigt, der wohnt in der Regel hier, will einkaufen gehen, die städtische Infrastruktur nutzen oder Kultur genießen. Germering hat all das nicht, was vergleichbar große Städte wie zum Beispiel Dachau oder Freising haben: kein Schloss, keine Brauerei, kein Kloster, keinen Fluss - und auch kein gewachsenes Ortszentrum, so mit Kirche, Gasthaus, Rathaus; möglichst noch aus dem Mittelalter.

Grund ist die späte Entstehungsgeschichte dieser Großen Kreisstadt. Zwei kleine Dörfer, die seit dem Bau der Bahnstrecke München-Herrsching im Jahr 1903 einen bescheidenen Aufschwung genommen hatten, sind nach dem Krieg regelrecht explodiert: von 6300 Einwohnern im Jahr 1950 über 25.000 in 1970 auf 37.594 am 1. Juni 2010.

Germering und Unterpfaffenhofen, die erst 1978 zusammengelegt wurden, waren (und sind) bevorzugtes Siedlungsgebiet vor den Toren der Landeshauptstadt: Also wurden in den sechziger und siebziger Jahren die landwirtschaftlichen Flächen rund um die beiden Dörfer ziemlich ungebremst bebaut - mit Villen, Reihendomizilen, kleinen Mehrfamilienhäusern, aber auch Hochhäusern. Ein Zentrum sprang dabei nirgends heraus.

Nach der Stadterhebung 1991 nahmen sich die Kommunalpolitiker deshalb der Gegend um den Bahnhof an. In der Nähe gibt es schon einen klitzekleinen Mittelpunkt aus früheren Jahren - den "Kleinen Stachus", eine Kreuzung, in die schon vor dem Krieg fünf Straßen mündeten.

Im renovierten Bahnhofsgebäude in Germering herrscht dank eines Bistros nun ein wenig Leben. (Foto: FFB)

Der Bahnübergang wurde beseitigt, eine Unterführung und ein Kreisverkehr gebaut. Auf einem ehemaligen Industriegelände zwischen Bundesstraße und Gleisen wurden Einkaufszentren und ein großer Stadthallen-Komplex hochgezogen - Germering wollte weg von seinem Image als Schlafstadt, Germering sollte Kultur- und Einkaufsstadt werden.

Wenn man nun heute aus der S-Bahn steigt, dann empfängt einen ein schönes altes Bahnhofsgebäude - da ist sogar am frühen Vormittag richtig Leben drin. Die Bahn hat es verpachtet, in dem Bistro gibt es aber noch einen kleinen DB-Schalter.

Danach wird es eintöniger, farb- und freudloser. Viel Stein, viel Beton, wenig Grün und wenig Menschen. Die riesige Stadthalle mit ihren Sälen steht klotzig an einem Pflasterstein-Platz mit eingesperrten Bäumchen. Kein Punkt, der zum Verweilen einlädt.

Jetzt dürfen die Bürger mitreden

In den Geschäftshäusern stehen viele Läden leer. 2008 wollte die Stadt das Gelände mit einem 53 Meter hoher Hotelturm und einem neuen Einkaufszentrum, das die beiden alten verbinden und aufwerten sollte, zur "Neuen Mitte" aufhübschen. Doch da machten die Germeringer, die einem auch jetzt noch erzählen, dass "denen da im Rathaus eh alles wurscht ist, die machen, was sie wollen", nicht mehr mit. Bei einem Bürgerentscheid lehnten mehr als 70 Prozent die Pläne ab.

Und seither dürfen die Bürger mitreden. In zahlreichen öffentlichen Veranstaltungen wurde ein Leitbild erarbeitet, wohin Germering sich bis 2015 entwickeln soll - mit 41 verschiedenen Visionen.

Man muss kein Visionär sein, um überzeugt zu sein, dass da eine dabei sein wird, die dem Zentrum zum neuen Leben verhelfen wird.

© SZ vom 02.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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