Germering:Die Grundlage des Lebens

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Zoologe Michael Schrödl erklärt, warum die Artenvielfalt auch für die Menschen von so großer Bedeutung ist

Von Ingrid Hügenell, Germering

Der Klimawandel ist in den Köpfen angekommen, es wird viel darüber geredet. Man könnte den Eindruck bekommen, eine schlimmere Bedrohung der menschlichen Zivilisation und des Lebens auf der Erde gebe es nicht. Doch, sagt Michael Schrödl, leider gibt es die. Es ist das Artensterben. "Es ist auch schneller als der Klimawandel."

Bei einem Vortrag in Germering hat der Zoologie-Professor am Mittwoch erklärt, warum so viele Tiere und Pflanzen verschwinden und was das für die Menschheit heißt. Biodiversität, das bedeute die Vielfalt des Lebens: Lautäußerungen, Farben, genetische Vielfalt, Artenvielfalt, Vielfalt an Lebensräumen. "Das ist die Grundlage unseres Lebens!", betont Schrödl.

"Die Menschheit ist abhängig von den natürlichen Systemen, die Sauerstoff zum Atmen liefern, sauberes Wasser zum Trinken und Nahrungsmittel." Doch diese Grundlage sei extrem bedroht. Der Professor, der die Abteilung für Weichtiere, als Schnecken und Muscheln, an der Zoologischen Staatssammlung leitet, zeichnet ein düsteres Bild. 20 000 bis 60 000 Arten verschwänden jedes Jahr für immer von der Welt, berichtet er. Und es gelte: "Jede Art kann was", sei Teil des Nahrungsnetzes und der Stoffkreisläufe

Ganze Ökosysteme brechen zusammen, wie der tropische Regenwald, der artenreichste Lebensraum der Erde. Etwa 40 Prozent seien weg, sagt Schrödl. An der Atlantikküste Brasiliens etwa ist der Regenwald durch Rodung für große Städte und Ackerflächen fast verschwunden. Angebaut werde häufig genverändertes Soja, als Tierfutter. Ohne den Wald werde es sehr heftige Regenzeiten und ebenso heftige Trockenzeiten an der brasilianischen Küste geben. Schrödl warnt: Wenn der Regenwald komplett zusammenbricht, wird das Auswirkungen auf das globale Klima haben, weil zum einen der Wasserkreislauf der Erde völlig verändert wird und zum anderen riesige Menschen Kohlendioxid frei werden. "Das darf nicht passieren, sonst ist unsere Zivilisation am Ende", mahnt er.

Noch übler dran sei das Meer. Zum Beispiel die Korallenriffe, die unter dem Klimawandel leiden. Ohne Riffe aber treffen verstärkt auftretende Stürme mit voller Wucht aufs Land, Touristen bleiben aus, Fische verschwinden. In der Antarktis wiederum ist Schrödl zufolge bereits die Hälfte der Krills weg, der die Nahrungsgrundlage etwa der Bartenwale bildet.

Doch die Biokrise ist nicht nur weit weg, sondern überall. Sie sei ein Indikator für die Verschlechterung der Ökosysteme, die so ihre wichtigen "Leistungen" nicht mehr erbringen könnten. Schrödl prangert den "Irrweg der industriellen Monokultur" in der Landwirtschaft an, die die Felder totdünge und totspritze, anders als früher vorbeugend. Die Gifte würden beim Spritzen auf angrenzende Gebiete geweht und töteten auch dort, auch im Naturschutzgebiet. Die Landwirte sieht Schrödl nicht als Schuldige, sondern als Opfer des Systems.

Schrödl ist überzeugt: Es bräuchte die industrialisierte Landwirtschaft gar nicht. Denn es würden ohnehin viel mehr Nahrungsmittel produziert als tatsächlich gegessen würden. Etwa die Hälfte werde verschwendet. "Alle Menschen satt zu bekommen, ist ein Verteilungsproblem." Der Wissenschaftler drückt es drastisch aus. "Wir haben langfristig keine andere Wahl. Wir werden ökologisch produzieren oder hopps gehen", sagt er, und: "Tote brauchen keine Arbeitsplätze."

Wie viel Zeit bleibe, den Zusammenbruch zu verhindern, wisse er nicht. Klar sei, dass etwas getan werden müsse. "Es wird allerhöchste Zeit, dass die Welle in Schwung kommt, und zwar weltweit und überall." Das Volksbegehren zum Artensterben mache ihm Hoffnung, dass noch etwas zu retten sei.

© SZ vom 08.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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