Germering:Der Tafel geht das Essen aus

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Lebensmittel werden nur an die Inhaber eines Tafelausweises abgegeben. Dreiviertel der Kunden sind Flüchtlinge. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Die Tafel versorgt inzwischen tausend Menschen mit Lebensmitteln. Was die meist betagten ehrenamtlichen Helfer an die Belastungsgrenze bringt. Mancher der Bedürftigen empfindet es als demütigend, für Almosen anzustehen

Von Karl-Wilhelm Götte, Germering

Der große Ansturm hat sich um kurz vor zwölf Uhr gelegt. Die Regale der Germeringer Tafel im Mehrgenerationenhaus (Zenja) in der Planegger Straße sind nach drei Stunden weitgehend geleert. Draußen im Gang vor den beiden Ausgaberäumen sind jedoch noch jede Menge Salat und Joghurtbecher aufgereiht. Das können sich die Bedürftigen mitnehmen, ohne dafür anstehen zu müssen. "Davon haben wir immer genügend", sagt Tafelleiter Jürgen Quest. Was übrig bleibt, wird später von Helfern der Gilchinger Tafel abgeholt. Die Germeringer Tafel hat Probleme, die gespendeten Lebensmittel zu lagern. Das ist der Fall, seitdem Anfang dieses Jahres die Zahl der Bedürftigen von 350 auf etwa 1000 hochgeschnellt war. Zudem fehlt es an Waren jeglicher Art. Außerdem arbeiten ehrenamtlichen Mitarbeiter häufig am Anschlag.

Ausgabetage der Tafel sind die Dienstagvormittage. Die seit Jahren erfahrene Stammmannschaft von älteren Frauen und Männern steht hinter den beiden Theken und wickelt die Lebensmittelausgabe routiniert ab. "Wollen sie noch den Heringsbecher mitnehmen?", fragt eine Frau einen älteren Herrn. Der winkt ab. "Ich hätte gerne etwas Lauch", trägt er seinen Wunsch vor. Den bekommt er dann auch. Die Ausgabe erfolgt in zwei nebeneinander liegenden Räumen. Ein Wanddurchbruch, wie ihn die Stadt zugesagt hat, würde die Ausgabe erleichtern. Bisher müssen die Abholer nämlich zweimal anstehen. Vorgezogen werden von 9 Uhr an die Menschen, die arbeiten. Das sind die sogenannten Hartz-IV-Aufstocker. "Das sind zwei Dutzend Personen", klärt Tafelleiter Jürgen Quest auf. Erst danach kommen die "Abholer", wie es im Tafel-Jargon heißt. Das sind regelmäßig etwa 120 Germeringer, die in viele Tüten, Einkaufsrollern oder Kinderwagen für ihre Familie Lebensmittel einpacken. "Manche holen Waren für drei, vier Erwachsene und ebenso viele Kinder ab", erzählt Quest. Diese Personen sind auf dem Tafelausweis jedes Bedürftigen vermerkt.

"Wir platzen aus allen Nähten", beschreibt der Tafelleiter das Hauptproblem. "Uns fehlt die Lagerungskapazität." Ist der Dienstag vorbei, beginnen die Vorbereitungen für den nächsten Dienstag. Weil die Tafel inzwischen tausend Menschen versorgen muss, können die Abholer nur noch alle zwei Wochen kommen, dafür gibt es Lebensmittel für 14 Tage. Jede Woche wird die Hälfte der 1000 Bedürftigen versorgt. Quest ist zwar im Ruhestand, wegen seines Tafelengagements aber wieder bei einem Vollzeitjob angekommen. Jeden Tag ist irgendetwas zu erledigen: "Ruft ein Discounter an, dass er Lebensmittel abzugeben hat, fahre ich hin." Kontakte zu 20 bis 25 Spendern hat die Germeringer Tafel inzwischen. Die befinden sich auch außerhalb Germerings, zum Beispiel in München-Neuaubing und am Westkreuz.

Hauptabholtag ist jedoch der Montag, damit die Tafelkunden am Dienstag möglichst frische Waren abholen können. Dann schwärmen drei Autos mit sechs Helfern aus und fahren die Stationen ab. Inzwischen spenden alle Discounter und Supermärkte in Germering für die Tafel. Für die Supermärkte gehören solche Lebensmittelspenden zum guten Image, sie lohnen sich aber auch deshalb, weil sie sonst die Entsorgungskosten für ihre Ware, die nicht mehr verkäuflich ist, selbst tragen müssten. Auch die Drogerien Rossmann und dm sind mit im Boot der Tafelbelieferer. Für Hygiene-Artikel wie Duschgel, Seife oder Haarspray sind die Bedürftigen besonders dankbar. Die gibt es selten und sie werden rationiert, erklärt Quest. "Da gibt es dann nur jeweils ein Teil." Windeln für Babys und Kleinkinder sind ebenfalls rar. Aber auch Reis, Mehl, Nudeln oder Zucker, also Grundnahrungsmittel, werden ständig benötigt, ebenso Obst und Gemüse. Damit die Ware nicht verdirbt, frieren sie Tafelmitarbeiter auch ein. Achten müssen sie immer auf das Verbrauchsdatum. Ist dieses überschritten, kann die Ware nicht mehr ausgegeben werden und ist zu entsorgen. Schon mehrmals hat das Gesundheitsamt bei der Tafel vorbei geschaut, um das zu kontrollieren.

Jürgen Quest leitet die Germeringer Tafel jetzt schon im siebten Jahr. In diesem Jahr ist er ein "Helferherzen Preisträger", den die dm-Drogeriekette für soziales Engagement verleiht. Der 63 Jahre alte ehemalige Toningenieur ist mit seiner Ehefrau von Garching nach Germering umgezogen, um in der Nähe seiner Tochter zu sein. Er wollte jedoch nicht herumsitzen und suchte sich deshalb die Tafel aus. "Am Donnerstag hatte ich sie gefunden und am Montag darauf war ich schon deren Leiter", erzählt er von den Anfängen 2011. Träger der Germeringer Tafel ist der Germeringer Sozialdienst. Quest verfügt über einen Pool von bis zu 80 Helferinnen und Helfern. "Etwa 30 pro Woche werden benötigt, um die Tafel am Laufen zu halten", sagt Quest. In der Regel sind das ältere Menschen, also Rentnerinnen und Rentner, die nicht grenzenlos belastbar sind. "Heute bin ich aber total fertig", sagt schon mal die eine oder der andere, dann brauchen diese Helfer eine Pause. Zusätzliche Helfer sind gern gesehen. Quest wünscht sich weitere Freiwillig und sagt: "Wir brauchen immer Fahrer mit Führerschein."

Seitdem die Flüchtlinge in großer Zahl zu versorgen sind, stellen diese mit 70 bis 80 Prozent den größten Anteil der Abholer. Doch auch ältere Menschen, deren Rente nicht reicht, würden vermehrt kommen. "Ohne Tafeln könnten viele nicht überleben", sagt eine Abholerin, die ungenannt bleiben möchte, "gleichwohl wird den Menschen mit den Tafeln das Anrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum durch den Sozialstaat abgesprochen." Weiter kritisiert sie: "Sie werden in die Bettelarmut getrieben und zu Almosenempfängern." Für sie war es eine demütigende Erfahrung, als sie sich zum ersten Mal in die Schlange bei der Tafel einreihen musste: "Das hinterlässt unauslöschliche Spuren." Die allermeisten Flüchtlinge haben sich an die Tafelregeln gewöhnt.

"Einige laufen gerne mal an der Schlange vorbei", erzählt Quest, "denen muss ich dann schon mal den Ausschluss vom Tafelbezug androhen." Sehr froh ist er über die Mithilfe des Irakers Jalal. Der sitzt neben der Tür im Rollstuhl und spricht fünf Sprachen, natürlich auch arabisch. Der beruhigt den einen oder anderen ausländischen Abholer und sorgt für einen reibungslosen Ablauf. Ein zweiter Iraker ist immer da und hilft, die schweren Kisten zu schleppen. "Der hat mir einfach das Zeug aus der Hand genommen", berichtet Quest. "Das ist ganz großartig, was die beiden Menschen leisten."

Jürgen Quest und seinen Mitstreitern verschafft ihre ehrenamtliche Arbeit eine persönliche Befriedigung, auch wenn sie sie immer mehr ans Limit führt. Auch ihnen ist klar, dass der Staat die Grundversorgung von Menschen, die eine staatliche Aufgabe wäre, auf die Tafeln mit ihren Freiwilligen abgeschoben hat. "Der Staat handhabt das viel zu lasch", kritisiert dann auch Quest. Dafür, dass die Leute bei Laune bleiben und motiviert sind, tut er in seinen Augen zu wenig. Die sogenannte Ehrenamtskarte des Landratsamtes ist eher Symbolpolitik. Mit der gibt es zehn Prozent Rabatt in einigen Läden. Oder die Tafelhelfer bekommen einen Euro Ermäßigung, wenn sie ins Schwimmbad gehen. "Das ist vielleicht gut gemeint, aber richtig etwas anfangen kann man damit nichts", so Quest.

© SZ vom 22.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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