Germering:Der Dolmetscher

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Was steht denn da? Jalal Abdallah (im Rollstuhl) übersetzt für einen Flüchtling ein Behördenschreiben. (Foto: Günther Reger)

Jalal Abdallah arbeitet für die Verständigung zwischen Flüchtlingen und Einheimischen

Von Karl-Wilhelm Götte, Germering

Jalal Abdallah sitzt in seinem Rollstuhl neben dem Tresen der Germeringer Tafel im Mehrgenerationenhaus Zenja. Viele Flüchtlinge kommen dienstags vorbei, um Lebensmittel für ihre Familien zu holen. Abdallah begrüßt sie alle. Mal auf Arabisch, mal auf Kurdisch, mal auf Farsi, der Sprache der Iraner, die auch Afghanen verstehen, oder auf Englisch. Der 46-jährige Iraker übersetzt die Wünsche der Flüchtlinge, wenn diese Lebensmittel abholen. Er geht aber auch verbal dazwischen, wenn sich einige von ihnen nicht zu benehmen wissen. "Einige laufen gerne mal an der Schlange vorbei", erzählt Tafelleiter Jürgen Quest, "denen muss ich dann schon mal den Ausschluss vom Tafelbezug androhen." Quest ist für die Mithilfe Abdallahs sehr dankbar. Der beruhigt den einen oder anderen temperamentvollen ausländischen Abholer und gewährleistet einen reibungslosen Ablauf der Ausgabe.

Abdallah wohnt in der Flüchtlingsunterkunft in der Parkstraße, im ehemaligen Altenheim Don Bosco. Dort sind 200 Menschen untergebracht, Personen aus vielen Ländern mit immensen kulturellen Unterschieden. "Da bleiben Spannungen nicht aus", sagt Abdallah. Auch hier kennt er jeden Bewohner. Seit April 2016 nutzt die Stadt Germering seine sprachlichen Fähigkeiten und seine Vermittlerdienste. Abdallah ist für sie als "Asylmittler" tätig, wie es Manuel Leupold, Fachkraft für Integration bei der Stadt, in einem ersten Arbeitszeugnis formuliert. Er bekommt dafür hundert Euro im Monat. "Ich bin damit zufrieden", sagt Abdallah und ergänzt ohne jegliches Selbstmitleid: "Ich habe meine Behinderung, aber ich mache meinen Job."

Seit August 2015 lebt Abdallah in der Parkstraße. Bei einem Terroranschlag im Irak wurde seine Schwester getötet, er wurde schwer verletzt und sitzt seitdem im Rollstuhl. Mit seiner Behinderung wäre er im Irak ein Ausgestoßener gewesen. "Integration gibt es dort nicht", sagt er. Obwohl er einen Hochschulabschluss hat, habe er keine passende Arbeit bekommen. Dazu kam die ständige Bedrohung für Leib und Leben. "Deutschland hat seine Türen geöffnet", sagt der Iraker, "dafür bin ich diesem Land sehr dankbar." Hier könne er als Mensch leben. Wichtig ist ihm, dass er hier ruhig schlafen kann: "Ich weiß, dass ich am nächsten Morgen noch lebe."

Die Terroranschläge in Deutschland verurteilt Abdallah scharf. "Das sind keine Menschen", bekräftigt er. "Mich interessiert nicht, was jemand glaubt, unser Blut hat nur eine Farbe." Deutschland würde den Flüchtlingen eine Unterkunft, Geld und Lebensmittel geben. Der Iraker nachdrücklich: "Ich kann diese Menschen nicht verstehen, die hier Anschläge begehen."

Abdallah ist auch neben der Tafel ständig im Einsatz für andere Flüchtlinge. Er ist als Übersetzer bei Arztbesuchen dabei oder bei Behördengängen. Auch die Polizei nimmt seine Hilfe in Anspruch, wenn dort Flüchtlinge kein Englisch oder Deutsch sprechen. "Feste Arbeitszeiten habe ich nicht", sagt der Iraker. Er werde angerufen, wenn er gebraucht wird. "Auch in der Kleiderkammer berät und übersetzt Abdallah für die ehrenamtlichen Mitarbeiter", sagt Leupold. "Genauso klärt er die Flüchtlinge über bestehende Regeln auf." Herangezogen werde Abdallah auch als "zentraler Mittler", wenn es um Regeln im Hallenbad oder um die Zugangsmöglichkeiten bei Deutschkursen gehe. Er kümmert sich auch um die neue Flüchtlingsunterkunft in der Industriestraße.

Durch die Mitarbeit Abdallahs werden die ehrenamtlichen Mitarbeiter "spürbar entlastet", sagt Leupold. Der Iraker möchte gerne in Germering bleiben, dabei wird Leupold ihm zur Seite stehen. Deshalb hat er ein Arbeitszeugnis für ihn ausgestellt. Dass Abdallah bleiben kann, ist nicht sicher, denn Flüchtlinge im Landkreis müssen immer häufiger umziehen, weil Unterkünfte geschlossen werden. So steht auch die Schließung der Unterkunft an der Parkstraße an, weil der Mietvertrag zwischen dem Landratsamt und der Caritas als Eigentümer Ende März ausläuft. Die Caritas möchte an gleicher Stelle ein neues Seniorenheim bauen. Leupold hofft mit seinem Schlussabsatz im Arbeitszeugnis die Behörden zu überzeugen: "Durch sein offenes und warmherziges Wesen ist er mittlerweile in der gesamten Stadt bekannt und überaus beliebt." Weiterhin formuliert er: "Die Stadt Germering hofft, dass Herr Jalal Abdallah weiterhin tätig sein kann, da er wertvolle Arbeit leistet und ein wesentliches Bindeglied zwischen Mehrheitsgesellschaft und Flüchtlingen darstellt, was die Integration insgesamt forciert."

© SZ vom 04.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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