Gedenken:25 Jahre gegen das Vergessen

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Die Mitglieder des Arbeitskreises Mahnmal setzen sich dafür ein, dass die Erinnerung an den Todesmarsch von KZ-Häftlingen durch Fürstenfeldbruck wachgehalten wird

Von Leonie Albrecht

Fürstenfeldbruck - Die hageren Gestalten schleppen sich dicht aneinandergedrängt und leicht nach vorne gebeugt voran. Beinahe scheint es, als würden sie im nächsten Moment von ihrem Steinsockel stürzen. Seit 1994 stehen die Figuren mitten in der Brucker Innenstadt, auf einer Verkehrsinsel gegenüber dem Rathaus. Das Mahnmal erinnert an die Todesmärsche, welche den KZ-Häftlingen kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges aufgezwungen worden sind. Das Mahnmal in Bruck leistet einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit. "Es geht nicht darum, die Inhalte nur geschichtlich abzuarbeiten, sondern direkt vor Ort präsent zu sein", sagt Julia Zieglmeier, Sprecherin des Arbeitskreises Mahnmal. Der Arbeitskreis besteht seit 25 Jahren. Er gründete sich durch die Errichtung des Mahnmals aus einer Gruppe engagierter Bürger. Jährlich richten seine Mitglieder am 27. Januar, dem Holocaust-Gedenktag, eine Veranstaltung vor dem Mahnmal aus. "Es gerät in Vergessenheit, was damals geschehen ist", sagt Zieglmeier. "Aber die Erinnerung muss wachgehalten werden."

Die Erinnerung gilt dem Jahr 1945. Ende April rückten die amerikanischen Truppen und somit das erhoffte Ende des Zweiten Weltkrieges näher. Schon Anfang 1944 waren mehrere Außenlager des KZ Dachau im Raum um Landsberg und Kaufering errichtet worden. In weniger als einem Jahr wurden 23 000 Häftlinge in diese Lager gebracht, um unterirdische Flugzeugfabriken zu bauen. Die Menschen waren geplagt von Hunger und Krankheiten. Bei der harten und gefährlichen Arbeit starben viele von ihnen. Schließlich wurden die Lager evakuiert. Auf mehreren Fußmärschen sollten die Gefangenen über Dachau in Richtung Alpen marschieren. Ihr Weg führte sie über Geltendorf, Moorenweis und Jesenwang nach Fürstenfeldbruck. Viele Einwohner wurden das erste Mal direkt mit den Grausamkeiten der Nationalsozialisten konfrontiert. Die 1500 Häftlinge waren erschöpft und bis auf die Knochen abgemagert. Ihre abgetragene Kleidung und die Holzschuhe hielten die Kälte kaum von ihren Körpern fern, das Laufen fiel ihnen schwer. "Wer nicht weitergehen konnte, lag mit einem Genickschuss in dem Straßengraben", schildert der Überlebende Zwi Katz über 50 Jahre später in seinem Buch:"Von den Ufern der Memel ins Ungewisse", die Geschehnisse.

Der Todesmarsch führte durch die Pucher und Dachauer Straße nach Emmering. Im Emmeringer Hölzl schlugen die KZ-Häftlinge ihr Nachtlager auf. Augenzeugen berichteten von den Menschen, die sich mit letzter Kraft durch die Straßen zogen. Fürstenfeldbrucker stellten Wassereimer an die Straßen und warfen Brot und Kartoffeln aus den Fenstern. Doch die Aufseher traten das Essen beiseite, wer dennoch etwas zu greifen bekam, wurde geschlagen oder getötet. Von 27. April an begann die Befreiung durch amerikanische Truppen. Konzentrationslager wurden geöffnet, Zugtransporte und Fußmärsche gestoppt. Der Todesmarsch durch Fürstenfeldbruck endete bei Allach.

In den Jahren nach dem Krieg wurde das Geschehene zum Tabuthema, nur wenige Überlebende und Augenzeugen sprachen über das Erlebte. Bis im Dezember 1992 Demonstrationen gegen Ausländerfeindlichkeit und Fremdenhass stattfanden, auch in Fürstenfeldbruck. "Damals gab es plötzlich wieder sehr viel Antisemitismus", erinnerte sich Zieglmeier, die selbst unter den 1500 Demonstrierenden war. Fast 50 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus forderte die Demonstrantin Barbara Thierfelder von der Eichenauer Friedensinitiative die Errichtung eines Mahnmals. Der Antrag, den sie Landrätin Rosemarie Grützner übergab, ist ein handschriftlich beschriebener Karton mit den Worten "Aufstellung eines Denkmals". Zwei Jahre später wurde das Mahnmal errichtet, finanziert durch Spenden von Einwohnern. Zur Einweihung des Mahnmals kamen auch die Überlebenden Katz und Solly Ganor aus Israel und teilten ihre Erinnerungen mit. "Es ist auch nach all den Jahren noch ergreifend", beschreibt Zieglmeier. Seit Anfang der 2000er Jahre ist sie Mitglied des Arbeitskreises Mahnmal und in dieser Zeit vielen Überlebenden begegnet. Es wecke in ihr jedes Mal aufs Neue den Wunsch, "diese Menschen zu umarmen und sie um Verzeihung zu bitten."

"Aufstellung eines Denkmals": Barbara Thierfelder (rechts) übergibt ihren Antrag für ein Mahnmal an Landrätin Rosemarie Grützner. (Foto: Privat)

Das Mahnmal des Bildhauers Hubertus von Pilgrim steht heute in über 20 Städten. Das erste wurde im Jahr 1989 in Gauting auf Initiative des damaligen Bürgermeisters Ekkehard Knobloch errichtet. Auch in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem steht ein Abguss der Skulptur. Die bildliche Darstellung ist für Ziegl-meier die entscheidende Botschaft des Mahnmals: "Der Mensch lernt über das, was er sieht, und nicht, was er liest." Auch der zentrale Standort sorge für eine große Aufmerksamkeit, denn "jeder der vorbeiläuft, nimmt es direkt wahr".

"Wir sind gegen das Vergessen, denn ohne die Erinnerung blüht der Antisemitismus auf", erklärt Zieglmeier die Aufgabe des Arbeitskreises. Zu den Gedenkveranstaltungen kommen um die 150 Personen jeden Alters, doch es gibt immer weniger Zeitzeugen. In der Schule gebe es engagierte Lehrer, doch "oft ist zu wenig Zeit, um sich wirklich ausführlich mit dem Holocaust und seinen Folgen auseinanderzusetzen". Zieglmeier und ihre Mitstreiter hoffen, auch in Zukunft Menschen zu finden, die mit ihnen gegen das Vergessen und den Fremdenhass einstehen und die Aufarbeitung der Vergangenheit fördern.

© SZ vom 09.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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