Die Anfänge der BBV:Wie ein rollender Stein

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1965 fällt am Stammtisch ein Satz, der alles in Bewegung setzt

Von Stefan Salger, Fürstenfeldbruck

Aus den Radiogeräten tönt Bob Dylans neuer Song "Like a Rolling Stone". Die 68er-Generation zieht mit langen Haaren in Schlaghosen um die Häuser und protestiert gegen den Vietnamkrieg. Drei Jahre nach der Spiegelaffäre, die Franz Josef Strauß seinen Ministerposten in Adenauers Kabinett gekostet hat, begehrt die Jugend auf, will mitreden. Und da sitzen diese jungen Leute also auch am Stammtisch des Brameshubers, in dem Café am Brucker Marktplatz, das 2014 nach langem Dornröschenschlaf frisch aufpoliert wiedereröffnet wurde. Die Leute, die der SPD-Politiker Helmut Geis später scherzhaft die "Brucker Brameshuber-Vereinigung" nennen wird, hecken einen Plan aus. Sie wollen zur politischen Kraft werden. Die Bundesrepublik teilen sich damals, nach der Wahl im September, mal wieder CDU/CSU (48 Prozent) und SPD (39 Prozent) . Die FDP kommt auf 9,5 Prozent. In der 20 000-Einwohner zählenden Stadt sieht es nicht viel anders aus, abgesehen davon, dass hier die Freien Wähler ziemlich stark sind.

Die Entscheidung, die Altvorderen herauszufordern, fällt der Erinnerung des ersten BBV-Vorsitzenden Heinz Raith zufolge nach einer hitzigen Diskussion am Stammtisch. In seinem Grußwort auf der ersten öffentlichen BBV-Mitgliederversammlung im Januar 1966, nachzulesen im Redeprotokoll, erinnert Raith an den Auslöser. Am Stammtisch habe einer aus dem Freundeskreis "klipp und klar" gesagt: "Was nützt euch alles Reden am Stammtisch, was nützt euch alles Schimpfen über dies oder das? So lange ihr nicht den Mut aufbringt, aktiv in die Kommunalpolitik einzugreifen, so lange wird sich hier in Bruck nichts ändern." Also greifen die 68er ein. Raith, mit seinen 33 Jahren fast schon ein Methusalem unter all den Jungspunden, wird an die Spitze gewählt. Bei der Versammlung umreißt er die Ziele: den Stadtrat verjüngen, keine 50- oder 70-Jährigen als Kandidaten aufstellen. Außerdem: ein Sportzentrum für Bruck, weil doch Olympia 1972 eventuell nach München vergeben wird und Äußerungen des "kompetenten Sachbearbeiters Herrn Oberrechtsrats Knoesel" aus München die Hoffnung keimen lässt, dass Olympia-Ausscheidungsspiele nach Bruck geholt werden können.

Die politischen Platzhirsche messen all dem 1965 so viel Bedeutung zu wie dem Beitritt Maltas zur Unesco. Aber es ist eher so wie mit dem ersten Weltraumspaziergang außerhalb einer Raumkapsel, der ebenfalls ins selbe Jahr fällt: es ist nur der Auftakt für eine unaufhaltsame Entwicklung. Heute sind Weltraumspaziergänge für Astronauten oder Kosmonauten Routine. So ist das auch mit der BBV. Testpilot Dieter Thomas bringt im März 1966 als erster den Fuß in die Tür des Stadtrats. Und diese Tür schließt sich nicht mehr. Überraschend ist nur, wie sehr sich die Themen im heutigen Stadtrat noch jenen von vor fast 50 Jahren ähneln. Immer noch geht es um Sportzentren, Autos im Zentrum, Schuldenlast, Gewerbeansiedlung. In den nächsten 50 Jahren wird der Diskussionsstoff gewiss nicht ausgehen. Der Stein ist ins Rollen gekommen.

© SZ vom 09.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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