Lesung:Von Nationalismus zu Nationalismus

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Seref Dalyanoglu (links) schafft mit orientalischen Tönen auf seiner Laute die passende Atmosphäre für Feridun Zaimoglus Beschreibungen. (Foto: Günther Reger)

In der Literaturreihe des Veranstaltungsforums präsentiert Feridun Zaimoglu seinen herausragenden Roman "Siebentürmeviertel". Aber auch die Vortragsart des Autors fesselt die Zuhörer

Von Florian J. Haamann, Fürstenfeldbruck

"Schreiben macht keinen Spaß, es ist keine Form der Selbstverwirklichung. Aber es ist eine Sucht." Mit diesen deutlichen Worten erklärte der Autor Feridun Zaimoglu den Besuchern in der Brucker Stadtbibliothek seine Antriebskraft. Er ist süchtig nach dem Schreiben, genauso wie nach seinen Zigaretten. Und so machte er gleich zu Beginn des Abends, zu dem die Stadtbibliothek gemeinsam mit dem Veranstaltungsforum geladen hatte, klar, dass er nach der einstündigen Lesung und einer kurzen Diskussion erst mal nach draußen müsse, rauchen. Danach sei er bereit, weitere Fragen im persönlichen Gespräch zu beantworten. "Ich bin selbst oft bei Lesungen, aber zu schüchtern um aus dem Publikum Fragen zu stellen. Deswegen möchte ich Ihnen das persönliche Gespräch anbieten."

Mit seinem zurückhaltenden und dennoch charmanten und humorvollen Auftreten hatte er die etwa 100 Besucher in der ausverkauften Aumühle bereits in seinen Bann gezogen, noch bevor er überhaupt einen Satz gelesen hatte. Doch gleich mit den ersten Zeilen aus seinem Roman "Siebentürmeviertel" wich jegliche Leichtigkeit aus dem Raum und eine poetische Schwere breitete sich aus. "Sie nennen mich Hitlersohn. Windhundwelpe des Führers." Mit diesen Worten beginnt der 800-seitige Roman, der die Geschichte des anfangs sechsjährigen Wolf und seines Vaters, der vor den Nationalsozialisten nach Istanbul geflüchtet ist, aus Sicht des Sohnes erzählt. Und gleich die ersten Seiten machen klar, dass es um weit mehr geht, als um den Inhalt der Sätze, die da geschrieben sind.

Die Verehrung, die die Türken Wolf entgegenbringen, drückt nicht nur die Verehrung Hitlers aus, sondern erzählt vor allem viel über die Sehnsucht nach einem starken türkischen Nationalstaat. Erst wenige Jahre zuvor hatte Mustafa Kemal Atatürk nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches die türkische Republik ausgerufen. Wie stark die Türken weiterhin an ihrer Tradition hängen, wird auch klar, wenn die Männer, die Wolfs Vater ablehnen, weil er sich vom NS-Regime distanziert, dem Jungen klar machen, dass er seinen Vater dennoch ehren muss. Im Kontrast dazu steht die Pflegemutter, bei der Wolf unterkommt. Sie ist eine starke Frau, die in einem persönlichen Gespräch dafür sorgt, dass die Lehrerin, die Wolf unterrichtet, künftig darauf verzichtet, ihre Schüler zu schlagen. Sie erreicht das mit einem Appell an die Intelligenz und Emanzipation der jungen Lehrerin, sich doch von den machtsüchtigen Männern zu unterscheiden. Eineinhalb Jahre hat Zaimoglu für seinen Roman recherchiert, das Siebentürmeviertel in Istanbul besucht und mit seinem Vater, der von dort stammt, gesprochen. Und so darf man als Leser davon ausgehen, dass er innerhalb der Fiktion einen authentischen Bericht der Gesellschaft der Türkei der Dreißiger- und Vierzigerjahre liefert. Gleichzeitig beleuchtet er das Schicksal einer kleinen Gruppe von deutschen Emigranten. Etwa 1500 haben damals in der Türkei Zuflucht gesucht.

Die Poetik von Zaimoglus Sprache wurde bei der Lesung noch durch die melodiös-rhythmische Vortragsweise des Autors verstärkt, deren Wirkung sich keiner der Anwesenden entziehen konnte. Für die richtige Stimmung hat auch Zaimoglus musikalischer Begleiter Seref Dalyanoglu gesorgt. Er hat die Lesung mit traditionellen orientalischen Klängen auf seiner Laute umrahmt. Literarische Veranstaltungen auf diesem hohen Niveau könnte der Landkreis durchaus wesentlich häufiger vertragen.

© SZ vom 22.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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