Fürstenfeldbruck:Stadt der unbegrenzten Möglichkeiten

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In Fürstenfeldbruck entsteht ein ganz neuer Stadtteil: Der Standort, den die Luftwaffe bis 2019 räumen will, wird mehreren Tausend Menschen Platz bieten. Doch auch an anderen Stellen soll die Kreisstadt weiter verdichtet werden

Von Stefan Salger, Fürstenfeldbruck

Eines ist gewiss: Die Kreisstadt wird wachsen. Wie und wo, ist nicht ausgemachte Sache. Kommunalpolitiker jeglicher Couleur warnen davor, den Bogen zu überspannen. Mit einem maßvollen Wachstum soll dem Siedlungsdruck in der gesamten Metropolregion Rechnung getragen werden. Wohnsilos aber sollen vermieden werden, Hochhäuser wie jene in Germering und Puchheim, aber eben auch im Brucker Westen, gelten nicht als zukunftsfähig.

Stadtspitze und Stadtrat legen Wert darauf, die Entwicklung der Einwohnerzahlen nicht entkoppelt zu sehen von jener der Gewerbebetriebe. Fürstenfeldbruck soll nicht zur Schlafstadt werden, aus der die Bewohner täglich über verstopfte Straßen und Gleise nach München zur Arbeit fahren. Bislang ist diese Strategie aufgegangen: 2008 drehte der Pendlersaldo in den positiven Bereich, 2010 gab es offiziellen Stadtpublikationen zufolge etwa 9100 Einpendler, aber nur gut 8600 Auspendler.

Die Steuerungsmöglichkeiten von Städten und Gemeinden sind dabei durchaus limitiert: Selbst wenn sie es wollte, könnte die Stadt ein gewisses Wachstum nicht verbieten, darauf hat auch Stadtbaurat Martin Kornacher immer wieder hingewiesen. Die Stadt genießt zwar Planungshoheit und entscheidet über die Ausweisung von Neubaugebieten und über Höhe und Ausmaß von Häusern. In den Sitzungen des Bauausschusses werden aber auch regelmäßig die Grenzen dieser Verfügungsgewalt deutlich: auf manchen Grundstücken besteht längst Baurecht, auf anderen Innenbereichsflächen versuchen Immobilieneigentümer, unter Berufung auf benachbarte Häuser eine möglichst dichte und damit einträgliche Bebauung durchzusetzen. Auch aus anderen Gründen wird die Stadt manchmal zu einer Getriebenen: So ist es ein erklärtes politisches Ziel, den Töchtern und Söhnen der angestammten Brucker Wohnraum im Ort anbieten zu können.

In Fürstenfeldbruck entsteht in einigen Jahren ein ganz neuer Stadtteil: Die Luftwaffe macht's möglich. (Foto: SZ Grafik)

Axel Lämmle (SPD) hat auf zwei weitere Effekte hingewiesen, durch die der Bedarf nach neuen Wohnungen und Häusern steigt: So gibt es immer mehr Senioren, die alleine in einer eigentlich zu groß gewordenen Wohnung leben. Gleiches gilt für junge Singles. Es gibt einen Trend hin zu mehr Wohnfläche pro Person - Jahr für Jahr ein Plus von einem halben Quadratmeter. Die Schlussfolgerung der SPD: Selbst wenn die Bevölkerung stabil bliebe, würden im Jahr 2030 etwa 2000 Wohneinheiten fehlen. Auch deshalb fordern gerade die Brucker Sozialdemokraten mehr Geschosswohnungsbau, um die knappen Flächen möglichst effizient zu nutzen und die Mieten nicht ins Uferlose steigen zu lassen.

Ende 2012 hat der Planungsverband Äußerer Wirtschaftsraum München eine Strukturuntersuchung des Wohnstandorts Fürstenfeldbruck vorgelegt. Darin steht, dass in der vergangenen Dekade etwas mehr neue Wohnungen gebaut wurden, als dies aufgrund der Einwohnerentwicklung geboten schien: Von 2001 bis 2011 wuchs die Brucker Bevölkerung dieser Statistik zufolge von gut 32 500 auf etwa 34 500 Einwohner, die Zahl der Wohnungen stieg von 15 500 auf 17 000.

Wo aber liegt die Grenze des Wachstums? Zumindest räumlich lässt sich das recht gut definieren. Das städtische Hauptsiedlungsgebiet liegt eingebettet zwischen Bundesstraße 471 und Gewerbegebiet im Norden, Emmering im Osten sowie Bahnlinie und Anhöhe des Engelsbergs im Süden. Über die in städtischen Publikationen ausgewiesene Fläche von knapp 3300 Hektar hinaus bleibt da nicht viel Spielraum. Auch dies ist ein Grund dafür, dass Kornacher den Anteil der Innenverdichtung in den vergangenen fünf Jahren auf 85 Prozent beziffert. Nur 15 Prozent des neu geschaffenen Wohnraums entstanden also "auf der grünen Wiese". Von einer Zersiedelung kann kaum die Rede sein.

Auch hier freilich schwinden die Spielräume: Bereits die Hälfte der vor fünf Jahren vorhandenen Freiflächen und Baulücken wurden im Zuge der Nachverdichtung "verbraucht". Dass auch bei jener Nachverdichtung einiges schief gehen kann, darauf weist Stadtrat Klaus Wollenberg (FDP) hin. Für ihn ist die Werftsiedlung ein abschreckendes Beispiel. Dort seien "gesichtslose Mehrspänner auf Grundstücke gequetscht worden, auf denen zuvor kleine Siedlerhäuser standen". Man brauche, mahnt der Wirtschaftswissenschaftler, "lokale Handschrift statt 08/15-Architektur". Manchmal ist es eine Gratwanderung: Ist der geplante Bau fünfgeschossiger Häuser zwischen Kurt-Huber-Ring und Industriestraße ein gelungenes Beispiel für den Geschosswohnungsbau oder sind das nun wieder Wohnsilos, die keiner mag? Im Stadtrat jedenfalls wurde Widerstand laut, die Debatte darüber wurde vorerst vertagt.

Nach der Bebauung der zweiten Reihe hinter der Brucker Hauptstraße liegen bereits die Planungen für die große Baulücke auf dem Weiß-Grundstück vor. (Foto: Günther Reger)

Oberbürgermeister Klaus Pleil (BBV) und Kornacher plädieren grundsätzlich für eine "gemischte Baustruktur": innenstadtnahe Bereiche wie Feuerhaus- oder Kapuzinerstraße vertragen eine höhere Bebauung, dabei sollen aber zumindest im rückwärtigen Bereich Freiräume erhalten werden. Nicht alles aus den Siebzigerjahren ist schlecht - Pleil nennt die 1972 erbaute Wohnanlage am Adalbert-Stifter-Ring als gutes Beispiel. Sie ist "verschachtelt" konzipiert. Ein Besuch habe ihm den Eindruck vermittelt, dass man dort "voll im Grünen" lebe.

Wie aber sieht es nun bei den Einwohnern aus? Im Herbst, noch unter dem Oberbürgermeister Sepp Kellerer (CSU), hat die Bauverwaltung ein Wachstum bis 2020 auf 38 000 Einwohner als gut verträglich bezeichnet. Die aktuelle Debatte über die Verkehrsbelastung auf der Bundesstraße 2 und die überlastete Linie 4 der S-Bahn und die ergebnislos verlaufene Debatte über Umfahrungen zeigen aber, dass es weniger um Wohnungen, denn um die Infrastruktur geht. Sie müsste ebenso mit dem Bevölkerungswachstum Schritt halten.

Oberbürgermeister Klaus Pleil und Stadtbaurat Martin Kornacher (von links) sehen gewaltige Planungsaufgaben auf sich zukommen. (Foto: Günther Reger)

Längst sind die Weichen gestellt für neue Häuser im Brucker Westen und an der Cerveteristraße. Zwischen Viehmarktplatz und Hauptstraße wird die klaffende Baulücke auf dem Weiß-Grundstück mit Häusern gefüllt. Vor allem aber auf dem Hochfeld, im Norden der Stadt, entsteht beim größten aktuellen Bauprojekt auf eineinhalb Hektar Wohnraum für Hunderte Menschen: Im Spitz von Kurt-Schumacher- und Wilhelm-Busch-Straße, auf bislang landwirtschaftlich genutzter Fläche, schirmt eine "Wohnschlange" die südlich angrenzenden 18 Reihenhäuser vom Verkehrslärm der nahen Bundesstraße 471 ab. Auf bis zu vier Geschossen entstehen 64 Wohnungen nebst Supermarkt.

Weitere Projekte sind in Umrissen bereits erkennbar: Die Bebauung des einstigen Sportplatzes des alten Graf-Rasso-Gymnasiums, vor allem aber die "Filetgrundstücke" an der Lände, die nach dem Umzug der Stadtwerke an die Cerveteri-straße qualitativ hochwertig - und möglicherweise flankiert von Betrieben der Kreativwirtschaft - bebaut werden sollen.

"Über zehn bis 20 Jahre" gerechnet, sieht Pleil die Grenze für das Bevölkerungswachstum bei "2000 bis 4000 Menschen". Die Frage bleibt: Kann und soll die Stadt das Wachstum auf diese moderate Steigerung begrenzen? Denn da gibt es im Nordosten dieses riesige Areal, das hinter Mauern und Stacheldraht liegt: der Fliegerhorst, aus dem sich die Luftwaffe bereits teilweise verabschiedet hat. Für die Stadt ist dies ein gewaltiges Projekt, das bislang nur in Grundzügen erkennbar ist. Gleichsam ist es eine einmalige Chance, denn im Nordosten des Stadtzentrums kann ein ganzer Stadtteil nahezu am Reißbrett entwickelt werden - wie man dies bestenfalls von amerikanischen Städten mit ihrem rechtwinkligen Straßennetz kennt.

Die 178 Hektar scheinen eine riesige Spielwiese für Stadtplaner zu sein. Die Gedanken sind frei. Wie die optimale Mischung aus Bildungseinrichtungen, Gewerbe und Wohnen nebst entsprechender Infrastruktur aussehen könnte, damit beschäftigt sich bereits seit Jahren Mark Michaeli von der Technischen Universität München, Städtebauer und Inhaber des Lehrstuhls für Nachhaltige Entwicklung von Stadt und Land. Noch in diesem Monat will er der Stadt erneut einen Zwischenstand vorlegen. Martin Kornacher jedenfalls sieht die Aufnahmefähigkeit des Fliegerhorsts allein schon bei 3000 bis 5000 Menschen - sofern es gelingt, parallel die notwendige soziale Infrastruktur aufzubauen - Kitas, Schulen, Senioreneinrichtungen, aber auch Einkaufsmöglichkeiten. Im Idealfall siedeln sich in der Nachbarschaft der Wohnhäuser potenzielle Arbeitgeber an, was die Verkehrsströme auf erträgliche Maße beschränken könnte.

Der OB knüpft an die Gestaltung des Fliegerhorsts die Hoffnung, so etwas wie eine "Szene" in die Stadt zu bekommen. Günstige Wohnungen, vielleicht sogar Studentenwohnungen im Kilometerbau. Auch mehr Spielraum bei einem sehr drängenden Problem: bei Unterbringung und Integration von Obdachlosen und Asylbewerbern. Es gibt auch andere Stimmen. So warnt Stadtrat Markus Droth (CSU) davor, eine Ansiedlung von mehr als 2000 Menschen auf dem Fliegerhorst zuzulassen. Er lehnt auch großflächigen Einzelhandel ab, weil dies eine Gefahr berge: die Ausblutung des innerstädtischen Einzelhandels.

Ein paar tausend Einwohner hin oder her - fest steht, dass Fürstenfeldbruck ein historischer Wachstumsschub bevorsteht, nachdem die Stadt seit der Jahrtausendwende sehr gemächlich lediglich um etwa 3000 Einwohner gewachsen ist. Mehr Wohnungen bedeuten auch mehr Einflussmöglichkeiten Richtung sozialer Wohnungsbau. Das Projekt einer kommunalen Wohnbaugesellschaft unter dem Dach des Landkreises ist zwar ebenso gescheitert wie der Einstieg in den Wohnungsbestand der Wohnbaugesellschaft GBW. Dennoch pocht die Stadt darauf, dass zumindest ein Teil der neuen Wohnungen nach Richtlinien des sozialen Wohnungsbaus vermietet werden und sichert sich, soweit wie möglich, sogar selbst Belegungsrechte - mit der Oberbayerischen Heimstätte und der Wohnbaugesellschaft Igewo wird darüber verhandelt.

Auch das Einheimischenmodell, das der aktuellen Rechtslage zufolge wieder zulässig ist, will Pleil prüfen lassen. Ein weiteres Instrument ist die jüngst beschlossene Auflage für Bauherren großer Projekte, die bis zu 30 Prozent der Geschossfläche nach den Vorgaben des geförderten Wohnungsbaus erstellen müssen. Damit soll einer besorgniserregenden Entwicklung entgegengewirkt werden: Die Zahl der Sozialwohnungen sinkt seit den Fünfzigern kontinuierlich. Von 2000 auf 920 im Jahr 2006. Aktuell sind es 599. Immer mehr Wohnungen fallen aus der 25-Jahres-Bindung. Werden keine neuen gebaut, dann sind es 2022/23 noch 295.

© SZ vom 05.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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