Empfang der Landtags-SPD:Nachhilfeunterricht

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Die Parteien dürften nicht immer im eigenen Saft schmoren, findet der SPD-Landtagsabgeordnete Herbert Kränzlein. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Die Sozialdemokraten lassen in Fürstenfeld erkennen, dass sie in der Flüchtlingsfrage zunehmend den Zorn des Wählers fürchten. Vielleicht helfen ihr dabei die Ratschläge, die ihr der Soziologieprofessor Stephan Lessenich gibt

Von Heike A. Batzer, Fürstenfeldbruck

Vielleicht weiß es ja dieser Professor. Wie soll sich die SPD denn positionieren in Zeiten, die als unsicher beschrieben werden? In Zeiten, in denen die massenhafte Zuwanderung zum alles überlagernden Thema geworden ist. In Zeiten, in denen auch die Sozialdemokraten keine passenden Antworten parat haben. Mitgefangen, mitgehangen als Teil der Bundesregierung. Vor Ort aber möchten die Bürger praktikable Lösungen sehen. In der Flüchtlingsfrage "geht ein Riss durch die Gesellschaft, und bis in die Parteien hinein ist das ein Problem geworden", sagt Herbert Kränzlein, Landtagsabgeordneter der SPD und früherer Bürgermeister von Puchheim, zu Beginn des Kulturempfangs, zu dem die SPD-Landtagsfraktion am Montagabend den Soziologieprofessor Stephan Lessenich in einem Seminarraum des Veranstaltungsforums Fürstenfeld eingeladen hat.

Man dürfe als Partei "nicht immer im eigenen Saft schmoren", findet Kränzlein, man brauche stattdessen auch "die Begleitung von Mitdenkenden". Die Kultur lieh dem Abend, zu dem etwa 70 Genossen und interessierte Zeitgenossen kamen, lediglich den Namen und die kulturpolitische Sprecherin der Landtagsfraktion, Isabell Zacharias, als Mitveranstalterin. Um Kultur geht es ansonsten nicht, sondern um "Deutschland in Zeiten der Krise".

Später am Abend werden noch Häppchen, Bier und Wein serviert, davor steht jedoch die intellektuelle Arbeit, sich aus der Sicht der Soziologie mit der Flüchtlingsfrage auseinanderzusetzen. Nach einer zwanzigminütigen einführenden Rede darf Lessenich, der vor etwas mehr als einem Jahr an die Münchner Ludwig-Maximilians-Universität berufen wurde, im Sessel neben Kränzlein Platz nehmen. Es wird ein Talk werden zwischen beiden, in dem Kränzlein sich nicht auf eigene Fragen oder jene beschränkt, die schriftlich aus dem Publikum eingereicht werden, sondern in dem er auch politische Anmerkungen macht und nach Erkenntnissen sucht für die Sozialdemokratie. Der 65-Jährige hat reichlich Erfahrung in der Kultur des kultivierten Dialogs, jahrelang leitete er als Bürgermeister Puchheims eine feine Gesprächsreihe mit dem Titel "Begegnungen", in der etwa der Dopinganalytiker Helmut Pabst aus dem Nähkästchen plauderte oder Christian Ude nach seinem Abschied als Münchner OB kabarettreife Momente beisteuerte.

Auch beim Kulturempfang in Fürstenfeld gelingt es dem gelernten Juristen und seinem Gast aus der Wissenschaft, die Flüchtlingsdebatte mit gerne verdrängten Erkenntnissen zu bereichern: dass es, wie Lessenich es formuliert, eine "massive Machtasymmetrie zwischen der reichen und der dritten Welt gibt und wir dabei eine relativ günstige Position einnehmen", dass es dabei auch ein "irres Ausmaß sozialer Ungleichheit gibt". Dass diese Ungleichheit Flüchtlingsströme hervorrufe, dass auch die Klimafrage noch ein Migrationstreiber sein werde und man ohnehin schon eine Einwanderungsgesellschaft sei. Doch die Reaktion der Gesellschaft sei, darauf zu bestehen, "dass alles so bleibt wie bisher", wundert sich Lessenich. Man dürfe aber "nicht die Augen verschließen vor einer radikal sich verändernden Umwelt". Man könne sich nicht in die ökonomische Globalisierung einklinken und von den Folgeeffekten abschotten. Stattdessen müsste die Gesellschaft ihre Werthaltungen, Handlungsweisen und Übereinkünfte neu festlegen, fordert der Soziologe und erinnert an die deutsche Wiedervereinigung mit ihren Verteilungskonflikten, Vorurteilen, Stereotypisierungen: "Der Ossi war damals der symbolische Ausländer." Jetzt habe man dieselbe Situation - allerdings in verschärfter Form. Lessenich spricht sich dafür aus "ernst gemeinte, weltwirtschaftliche Veränderungen" herbeizuführen und eine "akzeptable Zuwanderungspolitik" zu betreiben. Eine drei Jahre lang geschlossene Grenze werde die Gesellschaft indes nicht aushalten, so seine Vermutung.

Aber von den Politikern werde erwartet, dass sie handelten, wirft Kränzlein ein. Doch bloß wie? Was ist der richtige Weg? Der Soziologe empfiehlt der SPD eine "radikale Umverteilungsstrategie", dem Politiker kommen Zweifel. Das könne zwar "edel sein", würde aber " in den wahlpolitischen Abgrund führen", fürchtet Kränzlein: "Wenn Parteien diesen Weg gehen, werden sie gnadenlos abgestraft." Doch Lessenich bleibt dabei: "Lassen Sie es darauf ankommen! Lieber eine 16-Prozent-SPD, die die richtigen Forderungen stellt, als eine 40-Prozent-SPD, die eine CSU ist."

© SZ vom 20.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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