1. November:Mehr als gemeinsames Trauern

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Allerheiligen war immer schon ein Feiertag, an dem auch das Gesellschaftliche wichtig war. Eine alteingesessene Bruckerin erinnert sich ans Schaulaufen in Festtagskleidung und den Besuch der drei Tanten

Von Stefan Salger, Fürstenfeldbruck

Leben und Tod: keine Gegensätze, vielmehr untrennbar miteinander verbunden. Das wird an kaum einem Tag deutlicher als an Allerheiligen. Auch im Landkreis werden sich am Sonntag wieder Tausende Menschen auf den Friedhöfen versammeln und an den oftmals frisch gepflegten Gräbern der Angehörigen gedenken.

Ein Anlass für kollektive Trauer? "Nein", sagt Renate Seitz bestimmt. Auch sie wird gemeinsam mit ihrem Mann einen Friedhof besuchen, auf dem Pfarrer und Diakone die Gräber segnen werden. Doch für das Mitglied einer alteingesessenen Brucker Familie ebenso wie für sehr viele andere Menschen ist dieses katholische Fest durchaus etwas Lebensbejahendes, bei dem man auch viele Freunde und Bekannte trifft. Als "Familientreffen am Grab", hat Albert Bauernfeind dies einmal bezeichnet. Auch der Brucker Stadtpfarrer und Dekan sieht dabei "Freude und Trauer ganz nah zueinander stehen." Am Vormittag feiere man mit einem Gottesdienst die Vollendung aller Menschen, die Gott einen Platz in ihrem Leben eingeräumt haben. Das sei der fröhliche Teil. Am Nachmittag wird dann auf dem Friedhof der Toten gedacht. Die Gräber werden erst mit Weihwasser als Erinnerung der Taufe und dann mit Weihrauch, der die Gegenwart Gottes symbolisieren soll, gesegnet. Das ganze Fest sei als Brücke zu den Verstorbenen gedacht, sagt der Stadtpfarrer, "die aber nicht tot, sondern bei Gott sind". Die Menschen rückten "im Andenken und in der Trauer um ihre Verstorbenen zusammen." Kreisheimatpfleger Toni Drexler streicht den verbindenden und gesellschaftlichen Charakter dieses Feiertags heraus. Dieser sei "eine der seltenen Gelegenheiten, dass sich die ganze Familie an den geschmückten Gräbern versammelt und gemeinsam innehält."

Das farbenprächtige Herbstlaub auf den Friedhöfen bildet am 1. November immer einen stimmungsvollen Hintergrund für das Gedenken an den Gräbern. (Foto: Johannes Simon)

Bei jüngeren Familien hat die Bedeutung dieses Feiertags freilich nachgelassen: viele fahren über die "Allerheiligenferien" - aus denen der Laizismus, also die Trennung von Staat und Kirche, längst die Herbstferien gemacht hat - in den Urlaub. Zudem sind die Bindungen an die Kirchen lockerer geworden und der Glaube spielt, besonders in den Städten, keine zentrale Rolle mehr im Alltag der Menschen.

In den Fünfzigerjahren war das noch ganz anders. Renate Seitz amüsiert sich heute beim Erinnern an diesen wichtigen Familien-Feiertag. An Allerheiligen ging man auch zur Großmutter ans Grab in Emmering - für eine Siebenjährige ein weiter Weg damals. Noch dazu in Sonntagsmantel und Hut. Jeder warf sich an diesem Feiertag in Schale. Sehen und gesehen werden. Keine angesehene Familie wollte sich an den sorgfältig geschmückten Gräbern eine Blöße geben. Die ersten Persianermäntel waren da zu sehen - oft roch man noch die Mottenkugeln vom sommerlichen Aufbewahren - und die Herren trugen Dreiteiler mit Hut. Bis dann der "Umgang" losging, wurde erst mal geratscht, traf man die Verwandtschaft häufig doch nur dieses eine Mal im Jahr.

Damals wie heute beeindrucken die vielen auf den Gräbern entzündeten Kerzen und die oft ganz besonderen Grablampen.

Anschließend wurde es wieder lustig, denn die drei unverheirateten Tanten aus Freilassing, allesamt Lehrerinnen, die sich zu den Brucker Familienmitgliedern gesellten, erwarteten natürlich die obligatorische Einladung zum "Allerheiligenkaffee" nebst Kaffeeklatsch. Da standen dann manchmal mit Zuckerguss überzogene Seelenbrezen aus Hefeteig auf dem Tisch, die von einigen traditionsbewussten Bäckereien im Landkreis heute noch zu Allerheiligen gebacken werden.

Die Jahre überstanden hat in der Familie von Renate Seitz auch ein ande- rer "Brauch": so schickte die in Südtirol lebende Schwester ihres Vaters jedes Jahr - statt eines persönlichen Aller- heiligenbesuchs - ein hübsches, selbst gemachtes Kränzlein, das an dem schmiedeeisernen Kreuz des väterlichen Grabes befestigt wurde. Auch heute noch wird es von dort mitgebracht. Um der verstorbenen Familienmitglieder zu gedenken, kommt Renate Seitz aber lieber auf den alten Stadtfriedhof, wenn dort weniger Trubel herrscht. Um zur Ruhe zu kommen und die Nähe zu suchen zu ihrer vor zwölf Jahren verstorbenen Mutter, muss sie nicht auf Allerheiligen warten.

© SZ vom 31.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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