Mediziner im Gespräch:"Leistung muss bezahlt werden"

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Der Mediziner Richard Spitz und der Rettungsassistent Thomas Salcher im Streitgespräch über unbesetzte Notarztschichten und die Tücken des Gesundheitssystems

interview Von Julia Bergmann, Fürstenfeldbruck

Der Aufschrei der Notärzte war groß. Zum ersten Mal in der Geschichte des Standortes blieb eine Notarztschicht in der Rettungswache Gröbenzell unbesetzt. Die Änderungen im Honorarsystem für Notärzte, die die Kassenärztliche Vereinigung Bayern (KVB) gemeinsam mit den Krankenkassen zum Anfang des Jahres eingeführt hat, seien daran Schuld, sagten Ärzte der Süddeutschen Zeitung. Notärzte in städtischen Gebieten verdienen weniger als zuvor - mit dem Resultat, dass viele den freiwilligen Dienst nicht mehr leisten wollen. In einem Bericht warnte der Notarztsprecher der Rettungswache Fürstenfeldbruck, Richard Spitz, davor, dass bald nur noch Rettungsassistenten zu Einsätzen geschickt werden könnten. Eine Warnung, auf die Thomas Salcher, selbst Rettungsassistent, Leiter einer Rettungswache und Dritter Bürgermeister von Puchheim in einem Leserbrief reagierte. In einem Gespräch diskutieren die ehemaligen Kollegen, wie umfassend die Probleme im Gesundheitswesen tatsächlich sind und wie akut sie sich auf die Landkreisbewohner auswirken.

SZ: Herr Salcher, In ihrem Leserbrief schreiben Sie, dass Probleme bei der Besetzung von Notarztschichten auch daraus resultieren, dass die Notarztgruppen in den vergangenen Jahren bewusst klein gehalten wurden. Herr Spitz, können Sie das bestätigen?

Richard Spitz: Primär ist es die Aufgabe der Notarztgruppen, den Notarztdienst auf hohem Niveau sicherzustellen. Eine Sache, die dazu beiträgt, ist, dass sich die Teams persönlich kennen und dass genügend Einsatzerfahrung zusammenkommt. Das ist nur dann gewährleistet, wenn jeder Notarzt auch eine größere Anzahl an Schichten fährt. Aus dem Grund kann man die Notarztgruppen nicht beliebig vergrößern.

Thomas Salcher: Aber was jetzt dabei herausgekommen ist, sehen wir dadurch, dass die Versorgung an manchen Tagen nicht mehr sichergestellt werden konnte.

Sie finden also, es ist zu einfach, die Verantwortung für die unbesetzte Schicht in Gröbenzell nur der KVB zuzuschieben?

Salcher : Teilweise ja. Aber der herbe Einschnitt ist der Situation geschuldet, dass die KVB versucht hat, die Anteile am Notarztbudget anders zu verteilen.

Herr Salcher, Sie haben auch anklingen lassen, die Notärzte würden immer noch mehr als genug verdienen. Finden Sie, die Ärzte jammern nach der Honorarumstellung auf hohem Niveau?

Salcher: Ja, so könnte man das sagen. Natürlich sehe ich, dass der Verdienst nach der Umstellung weniger geworden ist, aber ich finde, für diese Bezahlung kann man immer noch arbeiten gehen.

Spitz: Ein niedergelassener Arzt, der aus der Praxis heraus zu einem Einsatz gerufen wird, ist mindestens eine Stunde unterwegs und kann in dieser Zeit nicht in der Praxis tätig sein. Wenn er jetzt deutlich weniger verdient, muss er es sich mehr als einmal überlegen, ob er es sich leisten kann, weiter aus der Praxis zu fahren.

Salcher: In diesem Punkt gebe ich dir komplett recht. Beim heutigen Einsatzaufkommen ist es dem Arzt nicht zuzumuten, dass er die Praxis verlässt. Was soll er in dieser Zeit mit den Patienten machen? Aber dafür sind auch Klinikärzte da, die sich die Dienste entsprechen einteilen können.

SZ: Wie viel verdient denn ein Arzt genau in einer Zwölf-Stunden-Schicht?

Spitz: Im neuen System verdienen wir pro Einsatz 45 Euro, egal ob Tag oder Nacht. Ein Schlüsseldienst, der zum Öffnen der Wohnungstür hinzualarmiert wurde, steht für dieses Geld nicht auf. Geschweige denn, dass er mit Blaulicht durch die Gegend fährt. Die leistungsunabhängige Komponente, die im Gegenzug erhöht wurde, liegt an einem Standort wie unserem bei etwa 15 Euro pro Stunde, nachts und am Wochenende kommen noch einmal drei Euro drauf. Geht man von einer Zwölf-Stunden-Schicht tagsüber mit sechs Einsätzen aus, was hier im Landkreis gar nicht mal so selten ist, kommen unterm Strich 450 Euro brutto dabei heraus. Das Ganze ist ein Notarzt-Einsatz auf Facharzt-Niveau. Da kann man sich dann ausrechnen, ob das für einen akademischen Beruf, der sechs Jahre Studium und mindestens vier Jahre Facharztausbildung voraussetzt, angemessen ist oder nicht.

Wie hoch war der Verdienst vor der Honorarumstellung?

Spitz: Im alten System hat man pro Einsatz 111 Euro bekommen. Dafür nur vier oder acht Euro als Bereitschaftspauschale. Der niedergelassene Arzt hätte also unter den gleichen Bedingungen früher 714 Euro bekommen. Das jetzige System bringt in diesem Fall eine Einbuße von 37 Prozent. Die KVB hat eine Verlustbegrenzungsregelung verhandelt, so dass der individuelle Verlust pro Notarzt bei maximal 15 Prozent gedeckelt ist. Trotzdem: Frag mal einen Rettungssanitäter, ob er bereit wäre, von heute auf morgen für 15 Prozent weniger zu arbeiten - und dann reden wir weiter.

Salcher: Man muss trotzdem sagen, dass bisher recht gut verdient worden ist. Und ich finde, es kann nicht sein, dass es wegen der Honoraränderung auf lange Sicht zu einer Minderversorgung für die Bevölkerung kommt. Dass da die KVB genauso gefordert ist wie die Ärzte, ist klar.

Wie viel verdient man denn als Rettungssanitäter?

Salcher: Pauschal kann man es nicht sagen. Diejenigen, die in der glücklichen Position sind, einen alten Vertrag zu haben und schon länger im Beruf arbeiten, gehen mit etwa 2200 Euro pro Monat nach Hause. Ein junger Kollegen am Beginn seiner Karriere bekommt etwa 1650 Euro. Es ist bitter wenig.

Spitz: Dass Leute unter Qualifikation bezahlt werden, ist symptomatisch für das ganze Gesundheitswesen. Dabei soll die Arbeit die von ihnen erwartet wird, voll qualifiziert sein. Das ist auch im ärztlichen Bereich so, wo Assistenzärzte den Titel Funktionsoberarzt angehängt bekommen. Sprich, sie haben übergreifende Verantwortung, werden aber nach wie vor als Assistenzarzt bezahlt.

Wir haben viel über die Probleme der Notärzte gesprochen, wie ist die Situation für Rettungsassistenten?

Salcher: Die Honorarumstellung betrifft uns natürlich nicht. Aber von jungen Kollegen weiß ich, dass die Anforderungen, gerade mit der Gesetzesänderung zum Notfallsanitäter stark gestiegen sind. Es wagen sich fast nur noch Leute mit Abitur an die Ausbildung heran. Viele von ihnen wollen in dem Job auch nicht alt werden, sondern die Zeit bis zum Medizinstudium überbrücken. In Bewerbungsunterlagen schauen wir schon, dass wir die mit dem schlechteren Abitur nehmen, damit sie uns zwei Jahre länger bleiben. Wir finden zwar noch Personal, aber es wird schwieriger.

Um auf die Situation in Gröbenzell zurückzukommen: Was genau wird momentan gegen das Personalproblem getan?

Spitz: Aktuell werden Notärzte nachbesetzt, wobei die früher extrem langen Wartelisten der Standorte, vor allem in Gröbenzell, inzwischen deutlich geschrumpft sind. Der Dienst ist nicht mehr attraktiv.

Die Wartelisten führt doch die KVB. Haben Sie Einblick in die Listen?

Spitz: Aus einem Gespräch, das wir vor ein paar Wochen bei der KVB hatten, ging hervor, dass diese Warteliste deutlich geschrumpft ist. Und dass sich das jetzt laufende Nachbesetzungsverfahren deshalb gar nicht so einfach gestaltet.

Freiwillig und nebenher leisten Notärzte wie Daniel Wachter aus Gröbenzell ihren Notfalleinsatz. Darüber ist eine Debatte entbrannt. (Foto: Johannes Simon)

Vor den Änderungen im Honorarsystem hat die KVB aber noch eine andere Regelung eingeführt, unter der die Attraktivität des Notarztdienstes leidet, oder?

Spitz: Ja, es gibt ein zusätzliches Problem. Um die schwachen Standorte zu besetzen, hat die KVB eine Zwangskombination eingeführt. Jemand, der die Berechtigung bekommt, an einem "attraktiven" Standort zu fahren, muss sich parallel dazu verpflichten, auch an einem weniger attraktiven Standort zu fahren. Für alle zwei Schichten, die ein Notarzt in Bruck fährt, muss er auch eine Schicht in Kösching oder in Neuburg an der Donau fahren. Das sind Standorte, die sind mindestens eine Stunde Fahrtzeit von hier entfernt. Das ist für viele Kollegen nicht machbar. Das führt auch dazu, dass neue Kollegen nur noch eine Schicht im Monat fahren, weil sie dann diese Verpflichtung unterlaufen.

Es gibt also Schwierigkeiten, sowohl ausreichend Notärzte als auch Rettungssanitäter zu finden. Müssen sich die Landkreisbewohner jetzt Sorgen machen?

Spitz: Nein. Wir sind hier im Ballungsraum München immer noch gut versorgt. Wenn es zu einer nicht besetzten Notarztschicht kommt, kann es in den meisten Fällen noch dadurch kompensiert werden, dass ein Notarzt eines anderen Standortes anfährt. Wo es jetzt schon ganz große Probleme gibt, ist an den Standorten der Peripherie. Dem zu Grunde liegt ein Personalmangel in Gesundheitsberufen auf dem Land, der uns ja schon seit Jahren begleitet. Wenn ich in einem Landkreis keine Hausärzte mehr finde und ein Krankenhaus keine Arztstellen mehr besetzen kann, dann ist es klar, dass dort kein Notarzt mehr gefunden wird. Diese Einschläge kommen näher. Wenn es so weiter geht, kann es sein, dass es uns irgendwann auch trifft.

Salcher: Ich denke, dass genau aus diesem Grund eine Ausweitung der Kompetenzen der Rettungsassistenten sinnvoll sein könnte. Wenn der Notarzt von einem weiter entfernten Standort anfahren muss, dann hat der Sanitäter, der früher ankommt, immer das Problem, ob er sich zu weit aus dem Fenster lehnen und Kompetenzen zum Wohle der Patienten überschreiten soll. Etwa wenn der Patient Schmerzen hat. Rettungsassistenten dürfen keine Medikamente verabreichen. Das Problem ist, wie gesagt, noch nicht akut, aber es sollte in Zukunft eine Regelung für solche Fälle geben.

Vor den Konsequenzen einer solchen Ausweitung der Kompetenzen haben Sie gewarnt, Herr Spitz. Man wolle den Notarztdienst gezielt ausbluten lassen und verstärkt Notfallsanitäter einsetzen, die Folge wäre ein Notarzt Light. Wären die Folgen für die Patienten tatsächlich so verheerend?

Spitz: An dieser Stelle möchte ich kurz anmerken, dass ich nach wie vor dazu stehe. Allerdings ist es nur meine persönliche Meinung. Und ich habe mich da unklar ausgedrückt. Es ist sicher nicht die KVB, die dieses Ziel verfolgt. Diejenigen, die das vielleicht im Hinterstübchen planen, sind die Kostenträger, sprich die Krankenkassen.

Salcher: Ich meine auch, dass es mit Sicherheit nicht die KVB wäre, die ein solches Ziel verfolgen würde. Was den Rettungsassistenten angeht, gibt es immer eine gewisse rechtliche Grauzone, welche Maßnahmen er im Notfall durchführen darf. Je nachdem, wie engagiert der Rettungsassistent, oder in Zukunft der Notfallsanitäter ist, wird dem Patienten geholfen oder nicht. Dazu ein Beispiel: Ich habe frühdefibrilliert, da gab es den Namen Frühdefibrillation noch nicht. Der Leiter der Arbeitsgemeinschaft in Bayern tätiger Notärzte hat damals vehement dagegen gewettert und war der Meinung, dass der Sanitäter das nicht könne. Mittlerweile ist das absoluter Standard. So denke ich, dass es auch jetzt noch Dinge gibt, die der Rettungsassistent nach entsprechender Schulung und unter kontinuierlicher Überwachung selbst durchführen kann.

Richard Spitz, seit 20 Jahren als Notarzt im Einsatz. (Foto: Günther Reger)

Spitz: Das, was der Assistent so einfach wahrnimmt, also das "bisserl Medikamentenspritzen" ist in der Realität viel komplexer. Jemand, der so argumentiert, verkennt, dass in der Medizin Kochrezepte nichts bringen. In jedem Einzelfall muss eine gründliche Anamnese erfolgen. Teilweise ähneln sich die Symptome zweier verschiedener Krankheiten stark, die jeweils richtige Medikation wäre aber völlig unterschiedlich. Im Ernstfall kann die falsche Interpretation der Symptome und damit die Gabe falscher Medikamente zum Tod des Patienten führen. Das zu unterscheiden, gehört zur Kompetenz und zum ureigensten Aufgabengebiet eines Arztes. In einem sind wir uns klar, dass der Rettungsassistent die Kompetenzen eines Arztes nicht ersetzen kann und es auch nicht muss. Und der Notarzt ist mehr als ein reiner Vitalfunktionsmechaniker, der strikt nach bestimmten Vorgaben sein Ding abarbeitet und davon nicht abweichen darf.

Das heißt, sie sehen den Rettungssanitäter als Vitalfunktionsmechaniker?

Spitz: Eingeschränkt ja. Es mag an dieser Stelle missverständlich klingen. Ich sehe mich als Arzt und ich behandle einen gesamten Patienten in seiner Lebenssituation. Es gehört sehr viel Erfahrung und Ausbildung dazu, die richtigen Entscheidungen in der richtigen Situation zu treffen.

Salcher: Aber dieses Menschliche, was du jetzt angesprochen hast, maße auch ich mir nach meiner jahrelangen Berufserfahrung an mitzubringen. Zudem beinhaltet auch unsere Ausbildung unter anderem Physiologie und Medikamentenlehre und auch wir kennen uns mit Indikationen und Kontraindikationen aus.

In seinem Leserbrief äußert Herr Salcher die Meinung, dass durch die Entscheidung der Notärzte, wegen der geringeren Bezahlung keinen Notarztdienst mehr zu fahren, die Patienten als Geiseln genommen werden. Wie stehen Sie dazu, Herr Spitz?

Spitz: Ich bin voll mit Herrn Salcher einer Meinung, dass hier die Patienten als Geiseln genommen werden, aber der Geiselnehmer sind nicht die Ärzte, sondern die Kostenträger, die nicht bereit sind, die adäquate Vergütung zu leisten.

Salcher: Der Geiselnehmer ist schon derjenige, der die Tat vollbringt.

Heißt das, der Arzt ist nur auf sein Geld aus und ignoriert die Not der Patienten?

Spitz: Jeder Arzt muss selbst wissen, ob er bereit ist, den Notarztdienst zu leisten. Für diese Bereitschaft erwarte ich auch eine adäquate Vergütung. Es kann nicht sein, dass den im Gesundheitswesen Tätigen und dazu zählen unter anderem Ärzte, Pflegekräfte und Rettungsassistenten, ständig ins Gewissen geredet wird, weil sie sich nicht länger ausbeuten lassen wollen.

Und was passiert mit den Patienten?

Spitz: Genau mit diesem Argument haben wir bisher unsere eigenen Interessen zurückgestellt. Damit argumentieren auch die Kostenträger. Sie sagen, die werden es schon nicht zulassen, dass etwas passiert.

Was heißt bisher? Meinen Sie schon vor der Honorarumstellung?

Spitz: Ja, denn die Honorarumstellung ist die Spitze eines Eisbergs. Diese auf dem Papier vielleicht hoch erscheinende Bezahlung, die ich vorhin genannt habe, wurde bereits seit acht Jahren nicht mehr erhöht. Man hatte gehofft, dass nach acht Jahren eine Anpassung an die gestiegenen Lebenshaltungskosten erfolgt. Das ist nicht passiert, ganz im Gegenteil. Und wie gesagt, wenn ich freiwillig entscheide, diesen Dienst zu machen und dann bekomme ich noch zusätzlich eins vor den Latz geknallt, indem ich solche Einbußen hinnehmen muss, dann glaube ich, kann man es mir nicht verdenken, wenn ich es zu diesen Bedingungen nicht mehr machen will.

Thomas Salcher, seit 32 Jahren als Rettungsassistent tätig. (Foto: Günther Reger)

Herr Salcher, wie sehen Sie das?

Salcher: Ich finde es natürlich gerechtfertigt, wenn man für eine vernünftige Leistung vernünftig bezahlt werden möchte. Aber ich finde, es gibt auch eine Verantwortung dem Patienten gegenüber. Jetzt einfach zu sagen, wir hören auf und der Patient muss länger leiden, geht nicht. Bevor man so handelt, müsste versucht werden, mit der KVB eine andere Lösung zu finden.

Sie glauben, das funktioniert auch ohne Druck?

Salcher: Man müsste die Patienten mobilisieren. Vielleicht auch das Rettungsteam. Und nicht einfach aus heiterem Himmel aussteigen.

Wie könnte dieses Mobilisieren ihrer Meinung nach konkret aussehen?

Salcher: Man könnte zum Beispiel eine Unterschriftenpetition starten. Wenn die Leute der Meinung sind, der Notarzt ist wichtig und hat für seine Arbeit das höhere Gehalt verdient, sollen sie die Notärzte entsprechend unterstützen und der KVB Druck machen. Nur zu sagen, wir fahren jetzt nicht mehr, ist für den Bürger schwer nachvollziehbar.

Spitz: Es ist genau eine Schicht, die bisher unbesetzt geblieben ist. In Bruck noch keine. Ich bin auch kräftigst daran am arbeiten, dass es so bleibt.

Salcher: Aber du tust dich nicht leicht.

Spitz: Es wird immer schwieriger. Wie gesagt, es wird dran gearbeitet, dass so etwas in Zukunft nicht wieder passiert. Ich glaube, wir sind uns einig, dass wir für die Patienten das Optimale erreichen wollen, aber es gibt halt auch Grenzen und die sind momentan erreicht.

Herr Spitz, Sie haben gesagt, 45 Euro für einen lebensrettenden Einsatz zu bekommen ist relativ schwach. Ist es das tatsächlich, wenn man berücksichtigt, dass etwa in 80 Prozent aller Einsätze keine lebensgefährliche Verletzung des Patienten vorliegt?

Spitz: Da gehören mehrere Sachen dazu. Nachts um drei geht der Piepser, ich steh auf, muss innerhalb von zwei Minuten beim Fahrzeug sein, mit Blaulicht losfahren, was mit einer achtfach erhöhten Wahrscheinlichkeit verbunden ist, einen Unfall zu erleiden. Man muss vor Ort sehen, was ist los. Man muss Entscheidungen treffen und wenn ich dann dort bin und sich herausstellt, es war alles gar nicht so schlimm, hat sich trotzdem nichts daran geändert, dass ich nachts um drei aufgestanden und losgefahren bin.

Das machen die Rettungsassistenten genauso und sie werden wesentlich geringer bezahlt.

Spitz: Gut, aber es steht jedem Sanitäter frei - das sag ich jetzt mal ganz polemisch- ein Abitur zu machen, ein sechsjähriges Hochschulstudium zu absolvieren und eine mindestens vierjährige Facharztausbildung zu machen und dann das gleiche Geld zu fordern. Es wurde polemisch gegen uns Notärzte argumentiert, dann argumentiere ich jetzt ähnlich zurück. Solche Sozialneiddebatten bin ich an dieser Stelle leid. Es wird von uns zu Recht qualifizierte Arbeit auf dem Niveau, für das wir ausgebildet sind, verlangt und dann wollen wir auch entsprechend bezahlt werden und das ist durchaus legitim.

Salcher : Ich will betonen, dass ich hier keine Sozialneiddebatte lostreten wollte, sonder eine vernünftige Versorgung der Patienten einfordern will. Es muss sichergestellt sein, dass zu jeder Zeit jemand da ist.

Spitz: Und dazu muss sichergestellt werden, dass genügend Geld im Topf ist, um die Leistung zu bezahlen. Das ist das, was ich der Politik und den Kostenträgern vorwerfe, dass auf der einen Seite Kosten gedrückt werden und auf der anderen Seite an unser soziales Gewissen appelliert wird, diese Geschichte einfach so hinzunehmen. Das ist bei den Erzieherinnen genauso, die sind auch jahrelang trotz einer fünfjährigen Ausbildung unter aller Kanone bezahlt worden und man hat verlangt, dass sie es hinnehmen.

© SZ vom 11.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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