Gericht:Drama in drei Akten

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Ein Prozess wegen Körperverletzung und übler Nachrede gerät zum absurden Theaterstück

Von Florian J. Haamann, Fürstenfeldbruck

Wer glaubt, Gerichts-Shows im Fernsehen seien übertrieben oder völlig unrealistisch, der muss nur ab und an im Brucker Amtsgericht vorbei schauen - und mit ein wenig Glück darf er dann einer Verhandlung beiwohnen, die jede TV-Inszenierung in den Schatten stellt. So wie beispielsweise am Montagnachmittag. Da musste sich eine 35-Jährige wegen gefährlicher Körperverletzung und übler Nachrede verantworten. Was im ersten Moment gar nicht so harmlos klingt, entpuppte sich allerdings schnell als 60-minütiges absurdes Theaterstück, ganz klassisch aufgeteilt in drei Akte. In den Hauptrollen: Die überdrehte Angeklagte, das tiefenentspannte Opfer und der salomonische Richter Johann Steigmayer.

1. Akt: Ruhig und in gelassenem Ton trägt die Staatsanwältin die Anklageschrift vor: Im Juni 2016 soll die gebürtige Münchnerin in Puchheim beim Spazierengehen mit ihrem Hund einen 57-Jährigen während eines Streits viermal mit einer zehn Zentimeter langen Stahlkette auf den Arm geschlagen und ihn dabei verletzt haben. Außerdem schrieb sie am Anfang April einen Brief ans Landratsamt, in dem sie das Opfer als psychisch kranken Alkoholiker und Drogensüchtigen bezeichnete.

2. Akt: Die 35-Jährige, die von Beruf - kein Scherz - Schauspielerin ist, erzählt aufgeregt ihre Version der Geschichte, in der sie das Opfer ist. Ihr nicht angeleinter Hund sei dem 57-Jährigen hinterher gelaufen und trotz Aufforderung nicht zurück gekommen. Auch der Mann muss wenig folgsam gewesen sein, denn ihrer lauten Aufforderung, doch endlich stehen zu bleiben, sei er nicht nachgekommen. Um die Dramatik zu illustrieren, stand die Angeklagte, die auf einen Verteidiger verzichtet hatte, nun auf, spielte gleichzeitig sich und den Mann, sprang munter zwischen allen Zeit- und Raumebenen hin und her, solange bis sogar dem Richter, der sie gewähren ließ, schwindelig zu werden schien. Als sie den Mann dann also erreicht hatte, habe er geflucht, erst dem Hund und dann ihr gedroht, weitergeflucht, sie ausgelacht. Dabei sei er ihr sehr nahe gekommen und habe weiter geschimpft und gedroht. Irgendwann habe sie dann die "Tatwaffe", ihren Schlüsselbund mit Kette, gezogen und mit jener dreimal sanft, aber bestimmt auf seinen in einem Wintermantel verpackten Arm geschlagen - aus Notwehr. Und die beleidigende E-Mail, die der Richter ungläubig vortrug, habe sie auch geschrieben, um damit - hier wurde die Geschichte noch etwas komplizierter - den Sachbearbeiter im Landratsamt davon zu überzeugen, ihr endlich den beantragten Waffenschein zu bewilligen. Den Vorfall habe sie als Beispiel der Dringlichkeit geschildert. Ohne weitere Fragen wurde sie entlassen und das Opfer in den Zeugenstand gerufen. In bayrisch-gemütlicher Art erklärte er, dass er die Angeklagte gebeten habe, den Hund anzuleinen. Darauf sei sie ausgerastet und habe ihn geschlagen - gemerkt habe er aber kaum etwas.

3. Akt: Weil das Opfer keinen Wert auf die Anklage oder eine Bestrafung legte, wagte nun Richter Steigmayer einen salomonischen Vorstoß. "Ich könnte mir Vorstellen das Verfahren nach §153 einzustellen." Die Angeklagte fing daraufhin an, ihre Geschichte zu wiederholen: "Ich stehe zu allem." "Ich kann Ihnen eine Einstellung anbieten mit einer Auflage von 40 Arbeitsstunden, oder es kommt zu einem Urteil", versuchte es der Richter noch einmal. "Ich weiß doch auch nicht, was ich da sagen soll. Meine Geschichte ist die Wahrheit." Diese Szene wiederholte sich dann in abgewandelter Form mehrfach. Die Marmorbrücke mit vergoldetem Geländer, die ihr hier gerade gebaut wurde, erkannte die Angeklagte in ihrer Aufregung freilich nicht. Steigmayer ließ sich nicht beirren und - was für ein Happy End - schaffte dann doch noch, die Frau zu so etwas wie einer Einwilligung zur Einstellung zu geleiten. Noch bevor sie zu einer weiteren Ausführung ansetzen konnte, beendete der Richter das Schauspiel dann zügig und bestimmt.

© SZ vom 23.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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