Jubiläum:Die Leichtigkeit der Politik

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Landrat Thomas Karmasin ist Anfang Mai 20 Jahre im Amt. Groß feiern will er dieses Jubiläum nicht. Sein Erfolg beruht auch darauf, dass er einerseits sehr routiniert ist, sich aber andererseits Freiheiten bewahrt

Von Gerhard Eisenkolb, Fürstenfeldbruck

Dem ehemaligen Brucker OB Sepp Kellerer (CSU) konnte man im Laufe seiner 18 Jahre im Rathaus ansehen, wie schnell er alterte, weil sein Bürgermeisteramt ihn forderte und er sich nicht schonte. Und Altlandrat Gottfried Grimm (CSU) war so ungeschickt, vor dem Ende seiner dritten Wahlperiode 1989 offen zu bekennen, ausgelaugt und überarbeitet zu sein, was zu seiner Niederlage beitrug. Landrat Thomas Karmasin kann Anfang Mai auf eine 20-jährige Amtszeit zurückblicken, ohne dass ihm anzumerken wäre, dass die fordernde Doppelbelastung als Berufspolitiker und Behördenleiter bei ihm auch nur im Ansatz ähnliche Spuren wie bei Grimm oder Kellerer hinterlassen hätte.

Karmasin ist der smarte, selbst im Alter von 53 Jahren immer noch alerte und jugendlich wirkende, meist gut gelaunte, eloquente und zu spitzen Formulierungen neigende Mensch geblieben, der er war, als ihn 1996 ein knapper Wahlsieg an die Spitze des Landratsamts katapultierte. Das Amtsjubiläum ist für den früheren Rechtsanwalt, Karmasin war fünf Jahre in einer Kanzlei tätig, kein Anlass für eine große öffentliche Feier. Das wäre auch nicht seine Art. Der Jubilar ist zwar mit Leib und Seele ein Landrat, der den Kontakt zu den Bürgern schätzt und sich daran gewöhnt hat, beim Einkaufen, beim Spazierengehen oder auf dem Wertstoffhof angesprochen zu werden. Er war aber schlau genug, sich trotz der öffentlichen Aufmerksamkeit nicht zu wichtig zu nehmen und vom Glanz des Amtes blenden oder ganz vereinnahmen zu lassen. Bei Karmasin gehören zum Arbeitstag eines Landrats auch Nebensächlichkeiten wie ein gutes Mittagessen, am liebsten beim Italiener, und eine Espresso-Runde mit engen Mitarbeitern und Behördenleitern. Zum Ausspannen zieht er sich in sein italienisches Feriendomizil zurück. Der Landrat genießt angenehme Seiten des Lebens ebenso wie die angenehmen des Amtes.

Mit dieser Haltung beweist er seit 20 Jahren, dass sich Berufspolitiker nicht aufarbeiten müssen, um erfolgreich zu sein. Ja, der Landrat wirkt so, als hätte er seine Work-Life-Balance gefunden, also sein Arbeits- und Privatleben in Einklang gebracht, ohne beruflich ernsthaft angefochten zu werden. Das war schon mal anders und könnte ein Grund dafür sein, weshalb er hartnäckig den Verlockungen widersteht, im Landtag oder Bundestag eine zweite politische Karriere anzustreben. Wer mit dem Wechsel in ein Parlament mehr aufgibt als er gewinnt, überlegt sich genau, ob er noch einmal von vorne beginnen will. Deshalb moderiert Karmasin als CSU-Kreisvorsitzender lieber die Nachfolge für eine Bundestagsabgeordnete Gerda Hasselfeldt oder einen Landtagsabgeordneten Reinhold Bocklet als sich selbst zu bewerben. Nicht nur in diesem persönlichen Punkt hält er sich an sein Wort. Seit er Landrat ist, dementiert er Gerüchte, an einem anderen Posten interessiert zu sein. Der 53-Jährige steht nun im Zenit, hatte nie ernsthafte Krisen durchzustehen, er hat sein Amt routiniert im Griff. Als Vorsitzender des Bezirks Oberbayern im Landkreistag und als Vorsitzender im Verfassungs- und Europaausschuss des Deutschen Landkreistags hat er genug Möglichkeiten, mal die Kanzlerin zu treffen oder bundes- und europapolitische Erfahrungen zu sammeln.

Als der von Gerda Hasselfeldt entdeckte und von eisernen CSU-Frauen wie Evelyn Richter geförderte junge Rechtsanwalt 1996 die erste Landratswahl gewann, spotteten seine Gegner, dies sei ihm nur gelungen, weil er aufgrund seines guten Aussehens der Traum einer jeden Schwiegermutter wäre. Dieses Argument wird Karmasin und seinem Erfolg nicht gerecht. Der Landrat ist zwar ein strammer, bisweilen sturer, katholisch geprägter Konservativer. Er ist aber auch schlagfertig, sehr schnell im Denken und in der politischen Auseinandersetzung um keine Pointe verlegen. Mit seiner Flapsigkeit lässt er ihn nervende politische Ideologen und Weltverbesserer gern auflaufen und Angriffe abprallen. Sein Arbeitspensum erfüllt er, auch weil er sein Büro gut organisiert hat und er sich auf seine Mitarbeiter verlassen kann, ebenso locker, wie er öffentlich auftritt. Das muss aber nicht bedeuten, dass er nicht auch hart arbeitet.

When we were young: CSU-Kreisverbandschefin Gerda Hasselfeldt gratuliert im April 2001 Thomas Karmasin zur Wahl. (Foto: Günther Reger)

Im Laufe von zwei Jahrzehnten schaffte es der Landrat, einen früher unberechenbaren und streitlustigen Kreistag zu zähmen. Was auch auf die eigene CSU zutrifft, der ist es nicht gelungen, sich den jungen Landrat so zu ziehen, wie es sich der kämpferische Bauernvertreter Ludwig Dinkel und andere anfangs wünschten. Die Diskussionen sind im Kreistag sachlich geworden, Widerspruch und persönliche Animositäten gibt es nur noch selten. Als Sitzungsleiter bringt Karmasin, ebenso wie als Redner, Dinge auf den Punkt. Im Umgang mit Andersmeinenden wirkt er altersmilder und entgegenkommender, allerdings ohne den eigenen Standpunkt aufzugeben.

Gefürchtet sind seine Wortspiele und Witze, die Freund und Feind gleich treffen können. Für einen guten Kalauer setzt er schon mal eine Freundschaft aufs Spiel. Zur Freiheit, nicht vom Amt abhängig zu werden und sich schon gar nicht von ihm verändern zu lassen, gehört für den Eichenauer die Freiheit, gelegentlich zu provozieren und nicht alle Worte zu vorsichtig abzuwägen. So etwas wird dem relativ unabhängigen Landrat eher verziehen als anderen Mandatsträgern. Er mag sich nach außen smart geben, beurteilt man ihn nach seinen Werten und Standpunkten, ist der 53-Jährige ein strammer CSU-Anhänger. Will er provozieren, bezeichnet er Flüchtlinge aus dem Kosovo schon mal als Winterurlauber und bleibt auch in solchen Fällen auf der Parteilinie, von der er nur in Ausnahmefällen abweicht.

Sein persönliches Büro ordnete der Landrat so geschickt, dass ihm auch hier ein gewisser Freiraum bleibt. Verwaltungsstrukturen neu zu ordnen, war ihm seit dem Amtsantritt eine Herzensangelegenheit. So trat er als Reformer an, der die Verwaltung komplett umkrempelte. Die Kreisklinik wandelte er in ein erfolgreich arbeitendes Kommunalunternehmen um, den Abfallwirtschaftsbetrieb organisierte er als Eigenbetrieb neu. Wichtiger als hohe Recyclingquoten sind ihm die Wirtschaftlichkeit und niedrige Müllgebühren, die Karmasin mehrmals senken konnte, weil die Bürger fleißig Wertstoffe trennen und zu Sammelstellen bringen. Auch hier stellt er seinen Pragmatismus über Ideologien. Und der Landrat darf sich rühmen, in Bayern das erste Bürgerservicezentrum in einem Landratsamt eröffnet zu haben. Das übernimmt inzwischen Aufgaben der Zulassungsstelle, was es ermöglicht, ein Fahrzeug ohne Wartezeiten innerhalb von Minuten abzumelden. Will er etwas partout nicht, wie die Gründung einer kommunalen Wohnungsbaugesellschaft mit Beteiligung des Landkreises, dann ist er mit Argumenten nicht umzustimmen, sondern blockt über Jahre mit dem formalen Hinweis auf die Nichtzuständigkeit ab. Hier kommt der Jurist zum Tragen. Von Karmasin ist nicht zu erwarten, dass er wie seine SPD-Vorgängerin gegen Staatsregierung, Hierarchien oder Gesetze aufbegehrt und etwas trotzdem tut, weil er es für notwendig hält.

© SZ vom 30.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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