Interkulturelles:Banknachbarn aus Afghanistan und Pakistan

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Ahmed Afzaal und Abdul Wahed stammen aus verfeindeten Ländern. Im Brucker Alveni-Jugendhaus haben die beiden Schüler aber Freundschaft geschlossen

Von Stefan Salger, Fürstenfeldbruck

Die beiden kommen aus zwei Ländern, in denen Konflikte regelmäßig mit der Waffe ausgetragen werden. Konflikte innerhalb der Länder sowie zwischen diesen beiden Ländern. Und doch sind die beiden Heranwachsenden befreundet. Das gemeinsame Schicksal und auch ein gemeinsamer Tagesablauf verbindet: Ahmed Afzaal aus Pakistan und Abdul Wahed aus Afghanistan sind beide 17 Jahre alt und ohne Familie nach Deutschland geflüchtet. Vor einem halben Jahr hat es sie nach Fürstenfeldbruck verschlagen, wo sie in einem von der Caritas betreuten Haus wohnen und eine Klasse besuchen, die in der Berufsschule speziell für diese Gruppe der "minderjährigen unbegleiteten Flüchtlinge" eingerichtet worden ist.

29 Heranwachsende im Alter zwischen 16 und 18 Jahren sind hier untergebracht, mitten im Zentrum der Kreisstadt, im ehemaligen Hotel Drexler, aus dem im Februar das Alveni-Jugendhaus geworden ist. Es herrscht so etwas wie Jugendherbergsatmosphäre. Als der Besucher die Treppe hinaufsteigt in den dritten Stock, kommt er an ein paar Jugendlichen vorbei, die gerade staubsaugen und in der Küche abwaschen. Andere grüßen im Vorbeigehen auf gut Bayerisch: "Servus". Dabei gibt es hier keinen waschechten Bayern - jedenfalls abgesehen vom Leiter der Einrichtung, dem Sozialpädagogen und Stadtrat Tommy Beer. Der sitzt an diesem Nachmittag in seinem Büro unterm Dach und erklärt, wie reibungslos es im Großen und Ganzen funktioniert. Einer seiner Schützlinge studiert an der Ludwig-Maximilians-Universität, alle anderen besuchen die Berufsschule - in der Regel vormittags sowie an zwei Nachmittagen im Wechsel. Eine Kooperation gibt es mit dem Viscardi-Gymnasium. Die jungen Asylbewerber dürfen dort am Zirkusprojekt teilnehmen, zudem geben ihnen Gymnasiasten Nachhilfe.

Abdul Wahed (links) und sein Freund Ahmed Afzaal lernen im Alveni-Jugendhaus gemeinsam für die Schule. (Foto: Günther Reger)

Ahmed Afzaal und Abdul Wahed besuchen bis Juli eine der zehnten Klassen. Beide können sich mit einem dreimonatigen Deutschkurs im Rücken bereits leidlich verständigen, sie wirken wissbegierig und motiviert. Ahmed (Lieblingsfach: Lebenskunde) hat in Pakistan bereits neun Jahre lang die staatliche Schule besucht, ähnlich sieht es bei Abdul (Lieblingsfach: EDV) aus. Der hofft, dass er irgendwann seinen Mittelschulabschluss hinbekommt und dann vielleicht sogar eine Ausbildung zum Bankkaufmann beginnen kann. Ahmed könnte sich gut vorstellen, mal als Mechatroniker zu arbeiten, vielleicht für einen dieser großen deutschen Autohersteller wie BMW. Konkrete Kontakte zu Wirtschaftsbetrieben gibt es freilich noch nicht, das wäre etwas früh. Der Unterricht in der Berufsschule, das sei keineswegs nur Stress, sondern sehr wohl interessant, sagen die beiden Jugendlichen, die sich in Fürstenfeldbruck sehr wohl fühlen, auch wenn sie bislang noch wenig Kontakt zu Gleichaltrigen außerhalb der Unterkunft haben. Sie würden gerne noch möglichst lange hier bleiben. Dass das bis zum 21. Geburtstag sichergestellt sei, das dementiert Beer etwas später aber mit einem Augenzwinkern. Da fliegen die Wünsche manchmal etwas hoch. . .

Wichtig für die Jugendlichen im Alveni-Haus ist es, immer im Kontakt mit den Familien daheim bleiben zu können. Im Dachgeschoss stehen deshalb einige Computer, die meisten Bewohner haben auch eigene Handys. Ob sie sich eine spätere Rückkehr in die Heimat vorstellen könnten? Eher nicht, sagt Abdul. Dort leben zwar die Eltern, der Vater arbeitet als Arzt. Aber wegen der Sicherheitslage haben auch vier der sieben Geschwister Afghanistan verlassen und leben in Ingolstadt und München. Hier in Deutschland sieht er seine Zukunft. Ebenso wie Ahmed, dessen Eltern und fünf Geschwister noch in Pakistan leben. Klar, besuchen wolle er die natürlich später auf alle Fälle. Jetzt aber empfindet er es als seine Pflicht, sich auch alleine durchzubeißen und die Erwartungen der Familie zu erfüllen.

Ahmed und Abdul haben erkannt, dass sie ihre Zukunft mit Hilfe der Schule selbst in die Hand nehmen können. Und sie wirken entschlossen, diese Chance auch zu nutzen.

© SZ vom 20.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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