Gemeinsam Essen:Alle an einem Tisch

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Die Familienmahlzeit hat nichts von ihrer Bedeutung auch als Kommunikationsort verloren. In Fürstenfeld haben Mitarbeiterinnen von Kitas nun gelernt, worauf es beim gemeinsamen Essen ankommt

Von Heike A. Batzer, Fürstenfeldbruck

Das gemeinsame Essen, ein Relikt aus vergangenen Tagen? Geopfert einer neuen Fast-Food-Bewegung, die nicht nur den Schnellimbiss bevorzugt, sondern diesen auch noch im Vorbeigehen hinunterschlingt? Natürlich habe sich die Art und Weise, wann und wie Mahlzeiten eingenommen werden, stark verändert, sagen Expertinnen wie Bettina Schulz. Die Diplom-Ökotrophologin, die eine eigene Praxis für Ernährungsberatung in der Nähe von Heidelberg besitzt, weiß aber auch, dass das gemeinsame Essen innerhalb der Familie immer noch einen hohen Stellenwert besitzt. Vor allem Mahlzeiten mit der Familie prägten das spätere Essverhalten von Kindern.

Schulz war eine der Referentinnen bei der ganztätigen Fachtagung mit dem Titel "Gemeinsam essen muss nicht stressen", die das Fachzentrum Ernährung und Gemeinschaftsverpflegung am Fürstenfeldbrucker Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Fürstenfeldbruck am Mittwoch veranstaltete. Fast 100 Mitarbeiterinnen von Kinderkrippen und Kindergärten waren ins Veranstaltungsforum Fürstenfeld gekommen, um Anregungen zu bekommen, wie Essen in Familie oder Kita in entspannter Atmosphäre gelingen und welche Wirkung es über das reine Sättigungsgefühl hinaus entfalten kann. Der Saison entsprechend wurde ihnen zur Mittagsstunde im Foyer Rote-Rüben-Suppe gereicht, alternativ ein Hühnereintopf.

Die Familienmahlzeit habe nicht an Bedeutung verloren, sagt Schulz, sich aber verändert, weil die häuslichen Essenszeiten zunehmend von Schul- und Arbeitszeiten der Familienmitglieder abhingen. "Einer kommt zum Mittagessen, einer kommt nicht, der andere erst um drei", skizzierte Schulz den Tagesablauf in Familien des Jahres 2014. Die dicht gedrängten Zeitpläne eines jeden Einzelnen hätten dazu geführt, dass sich die Hauptmahlzeit zumeist in den Abend verschiebt. Aufwendigere Mahlzeiten würde vor allem an Wochenenden zelebriert. Trotz sich ändernder Rollenbilder seien es immer noch die Mütter, die sich in erster Linie um die Versorgung der Familie kümmerten. Dennoch besäßen sie heute weniger Ernährungskompetenz als früher und könnten deshalb auch weniger davon an ihre Kinder weitergeben. Und die Kinder und Jugendlichen beteiligten sich zunehmend seltener an der Zubereitung des Essens. "Deshalb ist es gut, wenn sie das schon in der Kita lernen", sagt Schulz.

Was sie dort lernen sollen, skizziert die Diplom-Sozialpädagogin und Familientherapeutin Claudia Korreng. Sie zeigt zunächst einen kleinen Film: Kita-Kinder beim Tischdecken. Nach und nach nehmen die Kleinen die Tassen und Teller vom Servierwagen und hieven sie auf die Tische. Nett anzuschauen ist das, aber in jedem Erwachsenen steigt sogleich die Befürchtung auf, dass das schwere Geschirr bald einem der Kinder aus der Hand fallen werde. Doch "schweres Porzellan oder Keramik", erklärt Korreng, sei auch in der Kita Plastikgeschirr vorzuziehen, weil es nicht so leicht umzustoßen sei. Und dass es häufig Scherben gebe, sei nicht bewiesen.

Korreng plädiert dafür, schon die Kleinsten möglichst viel selbst machen zu lassen, um ihnen damit ein Höchstmaß an Lernmöglichkeiten zu bieten: "Für die Krippenkinder ist es ein Erfolg, wenn sie den Löffel zum Mund führen und sie erfahren, dass das Essen auch ankommt und nicht unterwegs verloren geht." Man solle die Kinder aber nicht überreden, etwas zu probieren, und auch nicht dazu auffordern, den Teller leer zu essen. Aber die Kleinen "können und wollen sich beteiligen beim Einkaufen, Zubereiten einfacher Speisen, beim Tischdecken und Abräumen", erklärt Korreng. Wenn sie mithelfen dürften, seien sie anschließend beim Essen "ruhiger und fokussierter", als wenn "Erwachsene außen rum mit den Schüsseln klappern". Schon in der Kita essen die Kinder gerne, was die anderen auch essen. Das Vorbild ist wichtig, das gilt auch für die Familien. "Essen schafft Gemeinschaft", sagt Bettina Schulz. Und dabei plädiert die Ernährungsberaterin dafür, auch mal alle Fünfe gerade sein zu lassen: Es müsse nicht immer alles nur gesund sein, sagt sie und ermuntert, etwa beim Tag der offenen Tür in der Kita durchaus "auch mal Würstchen oder Hamburger" zu servieren. Essen diene schließlich auch der Kommunikation, das sei vor allem für Jugendliche wichtig. Die hätten häufig eine eher pragmatische Einstellung zum Essen. Anders als früher sei Essen heute immer und überall möglich und würde häufig auch so praktiziert. Sinnbild dafür: der Gang zum Kühlschrank und die damit verbundene Selbstversorgung. Innerhalb der Familie würden Essenspläne und vorab festgelegte Zuständigkeiten für Zubereitung, Vor- und Nacharbeiten in der Küche helfen, den Alltag besser in Griff zu bekommen, sagt Schulz: "Und wenn an einem Tag mal gar keiner Zeit hat, dann tut's auch mal Müsli oder Brot".

© SZ vom 14.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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