Forum zu Notfalleinsätzen:Die Runde der Retter

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Die Zahl der Notfalleinsätze und die Kosten dafür sind drastisch gestiegen. Woran das liegt und wer die Kosten dafür tragen soll, wird beim Forum Rettungsdienst Bayern im Veranstaltungsforum besprochen

Von Julia Bergmann, Fürstenfeldbruck

Die Zahl der Notfalleinsätze und die Kosten für den Rettungsdienst in Bayern steigen. Warum das so ist und wer die Kosten dafür in Zukunft tragen soll, damit setzten sich die 270 Teilnehmer des ersten Forums Rettungsdienst Bayern auseinander, die sich am Freitag im Veranstaltungsforum Fürstenfeldbruck trafen. Diskussionsgrundlage waren neue Zahlen und Prognosen, die belegen, dass die Zahl der Notfalleinsätze von 2005 bis 2014 um 45 Prozent auf 906 000 gestiegen ist. Die Kosten haben sich laut der Zentralen Abrechnungsstelle für den Rettungsdienst Bayern seit 2006 von 335,3 Millionen Euro auf 630,2 Millionen erhöht. Zusätzlich stiegen die Investitionen des Freistaats etwa in die Integrierten Leitstellen im gleichen Zeitraum von 6,2 Millionen Euro fast um das Zehnfache. Schuld daran ist nicht nur der demografische Wandel.

In seinen Begrüßungsworten resümierte Ministerialdirigent Alois Lachner die Veränderungen, die es in den vergangenen Jahren im Rettungsdienst gegeben hat. Er sprach unter anderem über die Einführung der Telefonreanimation in Bayern vor zwei Jahren und die Bedeutung des im Januar 2014 in Kraft getretenen Notfallsanitätergesetzes. "Der Beruf des Notfallsanitäters soll eine weitere Verbesserung der Qualifizierung des nichtärztlichen Rettungspersonals bringen", sagte er. Der Ausbildungsberuf des Notfallsanitäters löst die bisherige Ausbildung zum Rettungssanitäter ab. Der Notfallsanitäter durchläuft eine Ausbildung von vier statt bisher zwei Jahren. "Sie werden in Zukunft nach Vorgabe der ärztlichen Leiter Rettungsdienste auch einzelne heilkundliche Maßnahmen eigenständig durchführen können", erklärte Lachner, der in Vertretung des bayerischen Innenministers Joachim Herrmann gekommen war. Das bedeutet, dass ein Notfallsanitäter seinem Patienten in Zukunft etwa bestimmte Medikamente geben darf, ohne auf das Eintreffen des Notarztes warten zu müssen. Das durften Rettungssanitäter nicht.

Notfallmediziner Stephan Prückner (l.) und Ministerialdirigent Alois Lachner diskutieren über die hohen Einsatzkosten am Forum Rettungsdienst. (Foto: Günther Reger)

Lachner betonte in seiner Rede auch: "Wir wollen den Weg gehen, Notärzte als die höchstqualifizierte, aber auch die rarste Ressource vor allem dort einzusetzen, wo die besondere ärztliche Expertise gebraucht wird." Näher führte er seine Bemerkung nicht aus. Die Notärzte, die seit der Einführung des Notfallsanitätergesetzes fürchten, dass ihr Beruf aus Kostengründen mit der Einführung des neuen Ausbildungsberufs nach und nach verdrängt werden soll, könnten Lachners Aussage als alarmierend empfinden. Lachner betonte, dass bei allen Änderungen, ob gesetzlicher oder technischer Art, immer die Sicherheit und das Wohl der Patienten im Vordergrund standen. Dass sie auf lange Sicht auch Kosten senken, sprach er nicht extra aus.

Nach Lachners Rede, betraten Ministerialrat Christian Ebersperger aus dem bayerischen Innenministerium und der ärztliche Landesbeauftragte Rettungsdienst Bayern, Michael Bayeff-Filloff, das Podium. Dass die Zahl der Einsätze steige, liege nur zum Teil am demografischen Wandel, erklärten sie. "Jeder 90-Jährige veranlasst im Durchschnitt einen Einsatz pro Jahr", sagte Ebersperger. Mit einem Blick auf die zwiebelartige Bevölkerungspyramide wies er darauf hin, dass die Zahl der Alten in den kommenden Jahren steigen werde und mit ihr die Zahl der Einsätze.

Allerdings könne man daraus keine lineare Entwicklung der Kosten folgern. Tatsächlich beobachte man seit 2004 einen anhaltenden überproportionalen Anstieg, der darauf schließen lasse, dass auch andere Faktoren die Kosten beeinflussten. Diese benannte Bayeff-Filloff etwa mit der Änderung der gesellschaftlichen Strukturen und damit einhergehend dem Umstand, dass immer mehr Alte allein lebten. Aber auch Variablen wie der Hausarztmangel oder die sinkende Bereitschaft von Hausärzten, rund um die Uhr erreichbar zu sein, hätten einen Einfluss. Und weil nicht nur die Zahl der Einsätze, sondern auch die Ansprüche an deren Qualität zugenommen habe, seien die Kosten mit ihnen gestiegen, sagte Bayeff-Filloff.

Angesichts der gestiegenen Anforderungen an den Rettungsdienst, müsse man sich Gedanken machen, welche Aufgaben dieser in Zukunft noch erfüllen könne, meinten die beiden. Sie warfen die Frage auf, ob der bayerische Rettungsdienst angesichts der steigenden Kosten national oder international abgehängt werden würde. Nach vielen weiteren Überlegungen, etwa rund ums Finanzielle blieb Bayeff-Filloffs letzte Frage, die schließlich eine ethische Dimension in die Diskussion einbrachte, die beunruhigendste. "Sagen wir irgendwann: diesen Patienten behandeln wir nicht, weil er uns volkswirtschaftlich keinen Nutzen bringt?". Ebersperger schloss an: "Wer erklärt uns, wo wir ethische Grenzen ziehen?"

Bis zum Abend diskutierten Experten aus Praxis und Forschung über diese Themen. Das Resümee des Forums stand bis Redaktionsschluss allerdings noch nicht fest.

© SZ vom 16.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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