Flüchtlinge:Flucht ins Kirchenasyl

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Der Fürstenfeldbrucker Pfarrer Albert Bauernfeind beherbergt seit zweieinhalb Wochen einen Äthiopier. Der junge Mann wurde aus religiösen und politischen Gründen verfolgt. Nun fürchtet er, abgeschoben zu werden

Von Gerhard Eisenkolb, Fürstenfeldbruck

"Herr der Lage" steht im Esszimmer des katholischen Pfarrhauses von Albert Bauernfeind auf einem großen Schild. Und die Lage im schmucken barocken Pfarrhaus in der Kirchstraße in Fürstenfeldbruck ist am Freitag alles andere als einfach. Gegenüber vom Seelsorger hat ein freundlicher 25 Jahre alter Äthiopier am Tisch Platz genommen. Seit dem 20. August teilen sich Bauernfeind und sein bescheidener "persönlicher Gast" Birra Wakegna Dara die Pfarrwohnung. Der eine lebt frei, er kann gehen, wohin er will. Der andere lebt im Kirchenasyl und muss damit rechnen, in Polizeigewahrsam genommen und ausgewiesen zu werden, sobald er den geschützten Bereich des Pfarrhauses verlässt. Wakegna Dara ist verunsichert und wird panisch, wenn er nur einen Polizisten sieht, wie kürzlich, als es in Sichtweise seines Quartiers Verkehrskontrollen gab, berichtet dessen Gastgeber.

Der Pfarrer weiß ganz genau, worauf er sich eingelassen hat. Als er noch die Pfarrei in Eichenau betreute, hatte er dort zwei Jahre lange ein Ehepaar aus Togo im Kirchenasyl beherbergt. Das Paar bekam im Pfarrhaus sogar ein Kind - und Bauernfeind erinnert sich daran, dass das Eingesperrtsein, die Gefangensituation zwangsläufig zu erheblichen Spannungen zwischen den Eheleuten führte. In Fürstenfeldbruck ist die Lage eine andere. Eine gewisse Sympathie zwischen den beiden Hausbewohnern ist durchaus zu spüren, auch wenn die Verständigung schwierig ist. Der Geistliche zeigt auf eine Wasserflasche und sagt zuerst "Wasser" und dann "Flasche". Wakegna Dara wiederholt brav, aber schüchtern "Wasser" und "Flasche". Erst dann schenkt Bauernfeind das Getränk ein. Das Badezimmer müssen sich die beiden nicht teilen, erläutert der Geistliche, da sein Gästezimmer, anders als das im Eichenauer Pfarrhaus, über ein eigenes Bad verfügt.

Nur einige wenige Andeutungen lassen schon erahnen, was Kirchenasyl auch bedeuten kann. Ein Grund zu "Hurrarufen" ist das für Bauernfeind alles nicht. Dass er einen wildfremden Menschen aus einem anderen Kulturkreis aufnimmt, begründet er mit seinem Christsein. "Wir müssen uns positionieren und zeigen, was wir machen, sonst wird nicht glaubwürdig, was wir beten und feiern", sagt er. Deshalb haben er und seine Unterstützer auch beschlossen, diesmal an die Öffentlichkeit zu gehen. Wo es nötig ist, wie im Fall von Wakegna Dara, müsse man eben etwas tun. Aber nicht nur das Nötige. Es soll auch auf der menschlichen Ebene gut gehen. Der Äthiopier soll spüren: "Ich bin willkommen, ich bin sicher, ich kann in Ruhe sein." Und der Seelsorger will auch darauf achten, dass sein Gast fit bleibt. Der große ummauerte Pfarrgarten ist in dieser Beziehung hilfreich.

Wie der Geistliche beteuert, seien für ihn und seinen stillen Gast, der "sehr unauffällig, da und fast nicht da ist", eine gute Infrastruktur das Wichtigste. Hierbei kommt wiederum dem Asylhelferkreis die zentrale Rolle zu. Zwischen fünf bis acht Menschen betreuen täglich den Äthiopier. Es wird für ihn eingekauft und gekocht, er lernt Deutsch, man kümmert sich, spielt mal ein Spiel mit ihm und versucht auf diese Weise, die Gefangenensituation einigermaßen erträglich zu gestalten.

Und täglich besucht Wakegna Dara auch ein Freud, ein anderer Äthiopier, der Lebensmittel auspackt, die er für ihn eingekauft hat, und danach als Dolmetscher die Journalistenfragen in Wakegna Daras Sprache Oromo übersetzt. Der 25-Jährige gehört einer ethnischen Volksgruppe an, die ebenfalls Oromo genannt wird. Er ist orthodoxer Christ und war bereits fünf Jahre auf der Flucht, bevor er im Dezember 2013 mit dem Bus von Italien kommend Deutschland erreichte. Zuletzt lebte er in Neuburg an der Donau. Als er vor fünfzehn Tagen nach Italien abgeschoben werden sollte, suchten Helferkreise für ihn ein Kirchenasyl. Weil in Bayern zurzeit schon 100 Flüchtlinge in Pfarrhäusern wohnen und damit freie Zimmer rar geworden sind, landete der Äthiopier in Fürstenfeldbruck.

Über seine Flucht, über das ungewisse Schicksal zu reden, belastet Wakegna Dara sichtlich. Im Jahr 2005, der Äthiopier geht noch zur Schule, wird sein Vater verschleppt. Seither hat die Familie nichts mehr von ihm gehört. Der Sohn flüchtet 2009 in den Sudan, als er selbst von Zivilisten und Soldaten entführt und gefoltert wird. Er sollte preisgeben, mit wem sein Vater, dem vorgeworfen wird, die OLF, die zum Teil bewaffnete Oromo-Befreiungsfront, unterstützt zu haben, kollaborierte. Auch seine Mutter wird gefoltert und geschlagen, die Familie verliert ihr Land, ebenso Ochsen und Kühe, um die OLF nicht weiter zu unterstützen. Vom Sudan aus erreicht Wakegna Dara 2011 Libyen, im Oktober 2012 setzt er per Schiff nach Italien über. Bis er in Neuburg an der Donau ankommt, zahlte er Fluchthelfern mehr als 2500 Dollar. Der Äthiopier will Automechaniker werden. Auch Bauernfeind hört diese Geschichte zum ersten Mal und meint, sein Gast werde wohl aus politischen und aus religiösen Gründen verfolgt. Überprüfen lassen sich diese Angaben nicht.

© SZ vom 06.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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