Feiertage in Fürstenfeldbruck:Himmlische Liste

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Der Wunschzettel scheint zum Heiligen Abend zu gehören wie Christbaum und Weihnachtslieder. Ein Familienbesuch

Von Stefan Salger

Dass es sich hier um einen Wunschzettel handelt, erschließt sich erst auf den zweiten Blick, denn der explizite Begriff findet sich nicht auf diesem kleinen Kunstwerk. Wie sonst aber wäre die Auflistung auf himmelblauem Grund zu verstehen - zumal wenn darunter der Stern von Bethlehem übers Firmament jagt und ein Engel dazu grinst wie ein Honigkuchenpferd. Es ist schon einige Jahre her, dass sich der heute elf Jahre alte Moritz auf diese Weise unter anderem eine Lego-Eisenbahn und "eine Mega-Nerf" gewünscht hat. Heute kann Moritz über die Krakelschrift und die Rechtschreibfehler herzlich lachen. Bemerkenswert ist freilich, dass sich ein Zweit- oder Drittklässler nicht nur die üblichen Spielzeuge zu Weihnachten wünscht, sondern auch etwas Immaterielles, das er damals mit rotem Filzstift sogar noch hervorgehoben hat: Glück! Das ist interessant. Und so verabredet man sich mit Moritz und mit seiner Mutter sowie der Großmutter, um in Erfahrung zu bringen, was sich Buben von heute so wünschen, und wie das eigentlich bei den beiden vorangegangenen Generationen war.

Das gestaltet sich nicht ganz einfach, weil Ottilie Dubravcic, die Oma von Moritz, seit drei Jahren im Fürstenfeldbrucker Seniorenheim Theresianum lebt. Corona-bedingt dürfen auswärtige Gäste da gerade nicht rein. Aber die Heimleitung findet dann doch noch einen eleganten Weg: am Rande des Gartens, mit Mundschutz, findet man doch noch zueinander.

Die 87-Jährige kann sich durchaus noch erinnern an ihre Kindheit. Aber an Wunschzettel und Weihnachtsgeschenke? Nein, sagt sie entschieden, so etwas gab es bei uns eigentlich gar nicht. Es war ja Krieg." So einfach war das. Der größte Wunsch war in vielen Familien denn auch ein immaterieller: Frieden! An Geschenke dachte sie damals jedenfalls nicht. Die größte Freude war es, mit der Freundin zum Schlittenfahren zu gehen - "das war für mich das Allerschönste". Aufgewachsen ist Ottilie Dubravcic auf einem Bauernhof in einem Dorf bei Würzburg, gemeinsam mit vier Geschwistern. An Heiligabend wurde gemeinsam gesungen und es gab etwas zu essen. Feierlich war es auch ohne Geschenke. Zu Weihnachten wünscht sich Ottilie Dubravcic heute einen großen Kalender mit Motiven, die zu den bayerischen Festtagen passen (die SZ-Recherche ergibt, dass das Christkind den Wunsch wohl erfüllen wird).

Gemeinsam mit seiner Mutter Danica Axmann besucht der heute Elfjährige seine Oma Ottilie Dubravcic im Brucker Seniorenheim Theresianum - für ein generationsübergreifendes Interview. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Tochter Danica Axmann, 52, denkt auf die Frage nach Wunschzetteln kurz nach. Sie habe sich in ihrer Kindheit offenbar an den Eltern orientiert, denn so eine Liste habe sie eigentlich fast nie geschrieben. An eine erinnert sie sich immerhin. Da stand wohl auch mal eine Barbiepuppe drauf. Etwa acht Jahre alt war sie, als sie das gefaltete Blatt Papier zwischen zwei Fensterscheiben schob und inständig hoffte, das Christkind möge es abholen und an Heiligabend zur Bescherung zurückkehren. Geschenkt bekam sie dann ganz andere Sachen. Aber sie freute sich ja damals über Dinge, die heute sehr unspektakulär klingen - an diese grünen Handschuhe kann sie sich noch gut erinnern. Und da war dieser "Swingograf", in den man Filzstifte einspannen konnte, um damit dreidimensional wirkende Muster anzufertigen - "da war ich wirklich von den Socken".

Und wie ist das heute? Was braucht es, dass Kinder heute so richtig von den Socken sind? Stimmt es, dass sie wertvolle Geschenke als Selbstverständlichkeit ansehen, dass alles immer viel und teuer sein muss, um mit den Freunden mithalten zu können? Neues Handy, neuer Computer? Bei diesem Treffen lässt sich das nicht klären. Denn Moritz, das wird deutlich, weiß so was zwar auch zu schätzen (hm, eine Playstation wär' natürlich schon schön), tickt aber auf sympathische Weise anders. Bevor er von der Grundschule-Mitte - in direkter Nachbarschaft des Theresianums - auf die Realschule wechselte, schrieb Moritz regelmäßig Wunschzettel. Meist waren die schön verziert und wurden, mit ein paar Keksen garniert, vor der Tür fürs Christkind deponiert. Seit der Kindergartenzeit fanden sich darauf meistens Bausätze wie Lego City und Polizeiwachen. Letztes Jahr klappte es auch ganz ohne Wunschzettel. Da wurde es doch noch was mit der Nerf, mit der man kleine Gummigeschosse verballern kann, mit dem Lego-Auto und mit dem Rätselkalender. Diese Weihnachten aber lässt der Bub sich mal einfach überraschen. Ein Digitalradio wäre ja vielleicht nicht schlecht.

Das ist einer derersten Wunschzettel,die Moritz geschrieben hat. (Foto: privat)

Auf Weihnachten freut sich Moritz längst nicht nur wegen der Geschenke. Denn da feiert er auch mit seinem Vater und trifft Tanten und Omas wieder - auch wenn es dieses Jahr wahrscheinlich alles etwas schwieriger wird. Den ganzen "Geschenkhype" jedenfalls, sagt Moritz, finde er "schon ein bisschen blöd".

© SZ vom 24.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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