Familiengeschichte:Unter dem Schutz des Landrats

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Klaus Wollenberg beschreibt, wie Henrik Moor seine jüdische Herkunft verschleiern konnte

Von Anna Landefeld-Haamann, Fürstenfeldbruck

Wie ist es dem jüdischen Maler Henrik Moor und seiner Familie gelungen, die Nazizeit unentdeckt zu überleben? Lange Zeit wohlgehütetes Familiengeheimnis, konnte einer Antwort auf diese Frage erst vor ein paar Jahren nachgegangen werden. Im Katalog zur Ausstellung hat der Brucker Kulturreferent Klaus Wollenberg die neusten Forschungsergebnisse in seinem Aufsatz "Überleben als jüdischer Maler" nun zusammengefasst. Damit wird Moors jüdische Herkunft zum ersten Mal in einer Ausstellung aufgearbeitet.

Fast fünf Jahrzehnte war es Anita Moor, die 1910 geborene Tochter des Malers, die sich vehement dagegen stellte, öffentlich über die jüdische Abstammung der Familie zu sprechen, zu forschen oder zu schreiben. So untersagte sie bereits im Jahr 1954 in einem Brief an den australischen Pianisten Max Pirani, der eine Biografie über ihren Onkel, den Pianisten Emanuel Moor, schreiben wollte, über "familiäre Indiskretionen" zu berichten. Zu deutlich sei ihre Erinnerung an die Schrecken der Nazizeit und man wisse nicht, wann der "Prügelknabe Jude" die Existenzberechtigung wieder abgesprochen bekäme. Anita Moor änderte ihre Haltung bis zu ihrem Tod im Jahre 2001 nicht.

Mehr als 32 Jahre lebte Henrik Moor (Porträt um 1915) in dem Häuschen in der Emmeringer Straße (Foto: Wolfgang Pucher)

Sein ganzes Leben lang war es Henrik Moor gelungen, seine Herkunft zu verschweigen. Bei seiner Heirat mit Eugenie Wolff 1903 in München gab er an "konfessionslos" zu sein. Der Standesbeamte vermerkt zusätzlich, dass Henrik Sohn des Oberkantors Rafael Moor ist. Der Beruf und Vorname des Vaters, schreibt Wollenberg, hätten dem Beamten genug Hinweise für die religiöse Herkunft liefern können. Aber scheinbar interessierte das die Behörden in München und später in Fürstenfeldbruck Anfang des Jahrhunderts nicht.

Mit der nationalsozialistischen Machtübernahme ändert sich das schlagartig und die Situation für die Familie Moor wird kritisch. Für den Kunstmaler bedeutet dies, dass er seine Abstammung über drei Generationen nachweisen muss. Nach NS-Auffassung galt er als "Volljude". Für seine Frau ist der Nachweis durch die katholischen und protestantischen Kirchenämter schnell erbracht. Der jüngste Moor-Sohn Herbert tritt sogar gleich 1933 dem Jung-Volk bei. Durch die Hilfe eines Malerfreundes gelingt es Moor 1934 Mitglied der Reichskulturkammer zu werden - ohne den erforderlichen Nachweis der "Reinheit des Blutes". Dennoch bleibt die Lage bedrohlich. Es entspinnt sich eine jahrelange und teilweise widersprüchliche Korrespondenz zwischen Regierung, Landrat Karl Sepp und dem Maler. Deutlich wird daraus vor allem folgendendes: der Landrat spielt auf Zeit und deckt die halbherzigen Bemühungen seines Freundes Moor, die fehlenden Unterlagen zu besorgen. Als Moor schließlich 1939 wegen seines unter Spionageverdachtes stehenden Sohnes von der Gestapo in München vorgeladen wird, gibt er an: evangelisch-lutherisch, die Eltern "deutschblütig". Als Nachweis dient ihm der "Ausweis der Reichskulturkammer". Moor stirbt noch vor Ende des Krieges im Jahr 1940 an einem Blinddarmdurchbruch.

So sah das Haus von Henrik Moor 1937 aus. (Foto: Wolfgang Pucher)

In den Brucker Entnazifizierungsverfahren gegen Karl Sepp 1947 kommt auch Henrik Moors jüdische Herkunft ausführlich zur Sprache. Zwei Jahre zuvor hatte sich Anita Moor in einer eidesstattlichen Erklärung für den ehemaligen Landrat stark gemacht: Er habe sich in aufopferndster Weise für die Familie eingesetzt und dadurch verhindert, dass sie der Judenverfolgung zum Opfer fiel.

Katalog zur Ausstellung "Henrik Moor. Avantgarde im Verborgenen", 240 Seiten, 18.90 Euro.

© SZ vom 07.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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