Fälle werden komplexer:Hohe Arbeitsbelastung im Jugendamt

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In Fürstenfeldbruck kümmert sich ein Sozialarbeiter im Schnitt um 55 Einzelfälle. Laut einer bundesweiten Studie der Universität Koblenz ist das zu viel

Von Julia Bergmann, Fürstenfeldbruck

Die Arbeitsbelastung von Mitarbeitern im Jugendamt ist hoch - auch in Fürstenfeldbruck. "Die Fälle sind komplizierter, aufwendiger und komplexer geworden", erklärt Andreas Buchner, stellvertretender Sprecher des Landratsamts. Im Landkreis kümmert sich ein Mitarbeiter im Durchschnitt um 55 Fälle. Zu viele, mahnt die Autorin einer kürzlich veröffentlichten Studie der Universität Koblenz. Ihr zufolge sollten auf einen Sozialarbeiter höchstens 35 Fälle kommen.

Erfasst wurde in der Koblenzer Studie die Arbeitsbelastung von Mitarbeitern des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD) an Jugendämtern bundesweit. Die Untersuchung hatte auf massive Defizite aufmerksam gemacht. Die von der Autorin geforderte Fallzahl können nur 68 Prozent der Ämter erfüllen. In einigen Städten in anderen Bundesländern sollen Mitarbeiter sogar bis zu 100 Familien gleichzeitig betreuen. Zwar übersteigen die Fallzahlen pro Mitarbeiter auch in Fürstenfeldbruck die Empfehlung, die Arbeitsbelastung ist laut Sprecher Buchner groß. Doch hält er nichts von pauschalen Vorgaben. Denn wie viel Zeit ein Sozialarbeiter für die Bearbeitung eines Einzelfalls benötigt, unterscheide sich je nach Situation stark. "So macht zum Beispiel eine geplante Heimunterbringung im Alltag deutlich mehr Arbeit als die Eingliederungshilfe in einem Integrationshort", sagt Buchner.

Grundsätzlich gebe es keine vom Gesetzgeber vorgeschriebene Höchstzahl von zu betreuenden Einzelfällen für Sozialarbeiter im ASD, sagt Buchner. In der Praxis versuche man, die Arbeitsbelastung der Mitarbeiter anhand anderer Kriterien einzuschätzen und zu regulieren. Betrachtet wird laut Buchner immer die Gesamtsituation des Mitarbeiters mit den zu bearbeitenden Fällen. "Jede Hilfeart wird im Landkreis Fürstenfeldbruck mit einer konkreten Zeit hinterlegt", sagt er. Auch die Anzahl von Terminen und Hilfeplangesprächen wird berechnet, "so dass die tatsächliche Arbeit des Mitarbeiters abgebildet werden kann." Zu Grunde liege diesem Vorgehen ein speziell entwickeltes Personalbemessungssystem des Freistaats. Die Ergebnisse werden ausgewertet, gegebenenfalls werden notwendige Stellen nachbesetzt.

Allerdings, räumt Buchner ein, sei es ähnlich wie bei den Erziehern in den vergangenen Jahren schwieriger geworden, Personal zu gewinnen und auch zu halten. "Die Thematik der Fluktuation ist im gesamten Bereich der sozialen Arbeit angekommen, da es für diesen Bereich auf dem Markt nicht ausreichend Personal gibt und Sozialpädagogen überall gesucht werden", sagt der Sprecher. Ein gut qualifizierter Sozialpädagoge könne sich eine für ihn geeignete Stelle aussuchen. Als Gründe für die steigende Fluktuation gibt Buchner Schwangerschaften, Umzüge, berufliche Neuorientierung und die Verkürzung der Fahrtwege bei Pendlern an. Einen Zusammenhang mit der hohen Arbeitsbelastung will er nicht sehen.

Im vorigen Jahr hat es im Landkreis 195 Gefährdungsmeldungen und 73 Inobhutnahmen von Kindern gegeben. 2016 waren es sogar 274 Gefährdungsmeldungen und 88 Inobhutnahmen. Bisher ein Spitzenwert, für den es laut Buchner keine eindeutige Erklärung gibt. Zum Teil sei diese Spitze durch die hohe Zahl von Flüchtlingen bedingt, und damit durch den Bevölkerungszuwachs im Landkreis. Eine andere Erklärung: "Auch presserelevante Einzelfälle zu Kindeswohlgefährdungen sensibilisieren die Bevölkerung für eine gewisse Zeit, woraufhin die Meldungen im Jugendamt steigen können."

Meist seien es Nachbarn, die Schule, die Kita, Polizei oder Kliniken, die mögliche Gefährdungen von Kindern an das Jugendamt melden. Werden solche Fälle gemeldet, gehen die Sozialarbeiter diesen nach. "Die Vorgehensweise ist immer individuell und auf den Einzelfall bezogen. Einbezogen werden immer das Alter der Kinder, der Inhalt der Gefährdung, Ressourcen der Familie, aber auch gesundheitliche Situation der Kinder und Eltern und vieles mehr", sagt Buchner. Auch wenn die Zahl der Gefährdungsmeldungen nach 2016 wieder gesunken ist, die Belastung für die Sozialarbeiter bleibt hoch. Deshalb ist die wohl wichtigste Eigenschaft der Sozialarbeiter eine grundsätzlich hohe Belastbarkeit.

© SZ vom 18.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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