Emmering:Kostbarkeiten aus dem Tauschhandel

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In der Nachkriegszeit sind für Gerhard Gerstberger ein paar Buntstifte ein großes Geschenk

Von Christian Hufnagel, Emmering

Auf dem alten Foto könnte der Bub aus einem wohlhabenden Haus stammen: Fein geschniegelt und das Haar seitengescheitelt, posiert er in einer dunklen Jacke, die wie ein Anzug wirkt. Um den Hemdkragen eine Krawatte, aus der Brusttasche spitzt ein Einstecktuch. Mit wachen Augen blickt er in die Ferne, ein freundliches Lächeln im Gesicht. Im Hintergrund blitzt ein Christbaum hervor, geschmückt mit Lametta, Glocken und Kugeln. Der Betrachter kann spüren, dass Weihnachten für den Bub "immer eine große Geschichte war". Was das Schwarz-Weiß-Bild aber nicht verrät, sind die Umstände, in denen es entstanden ist.

Es ist 1950. Der Neunjährige hat furchtbare Jahre hinter sich. Der Vater in Russland gefallen. Die kleine Familie in Wien ausgebombt, zurück in die Heimat nach Nordmähren geflohen, von dort nach Kriegsende vertrieben und nach mehreren Lagern bei einem Bauern im niederbayerischen Reichenöd zwangseinquartiert. Dort lebte Gerhard Gerstberger mit Bruder, Mutter und Stiefvater in einem Zimmer: "Als armes Flüchtlingskind hattest ja nix", erzählt der Emmeringer Grafiker und Künstler. Der Raum hatte keine Heizung, das Bauernhaus kein fließendes Wasser. Dass Essen karg, ein Stück Fleisch "nur alle heilige Zeiten". Die Kleidung nähte die Mutter, auch für andere, so dass sie notwendige Dinge eintauschen konnte - wie den Christbaumschmuck.

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(Foto: privat)

Gerhard Gerstberger in jungen Jahren vorm Christbaum.

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(Foto: privat)

Noch etwas jünger auf dem Schaukelpferd.

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(Foto: privat)

Der Emmeringer Künstler Gerhard Gerstberger.

Nur zu Weihnachten "gab es etwas Gescheites zu essen": eine Gans. Und Plätzchen und Lebkuchen. Danach wurden Weihnachtslieder angestimmt, was für den Buben stets "ein Drama" war. Weil er nicht singen mochte und natürlich der Ungeduld wegen der Bescherung, wenngleich diese stets bescheiden ausfallen musste. An Knete, aus der er gerne Figuren formte, kann sich der 75-Jährige erinnern, oder vielleicht an ein paar Buntstifte. Was Geschenke betrifft, hatte der Bub offensichtlich auch bessere Zeiten erlebt: Eine Fotografie zeigt ihn als etwa Zweijährigen auf einem Schaukelpferd, eine andere noch jünger im Laufstall mit einer Trommel. Gerstberger weiß nur, dass dieses Spielzeug auch unter dem Christbaum lag, Jahre zuvor in der Wiener Wohnung.

In der niederbayerischen Einöde der Nachkriegszeit aber musste er sich an Heiligabend mit kostbaren Kleinigkeiten begnügen. Trotzdem verbindet Gerstberger an diese Weihnachten nur gute Erinnerungen und spricht für die Nachgeborenen der Wohlstandsgesellschaft einen wohl ewig gültigen Satz aus: "Das können sich die Kinder von heute gar nicht vorstellen."

Foto: privat (Foto: privat)
© SZ vom 24.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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