Egenhofen:Schlag elf spielt die Musik

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Auftritt mit Tuba und Akkordeon: Die Brüder Rainer und Herbert Hornig spielen vor Senioren in Egenhofen. (Foto: Leonhard Simon)

Rainer und Herbert Hornig bringen gute Laune ins Seniorenheim

Von Sonja Pawlowa, Egenhofen

Das Wetter spielte nicht ganz mit, die Sonne zeigte sich nicht. Dass es trocken blieb, war für die Brüder Hornig Grund genug für gute Laune. Rainer mit seiner Tuba und Herbert mit dem Akkordeon rockten ihr Publikum mit Bierzelthits und Maifeier-Evergreens. Man könnte sich jetzt fragen, welches Publikum? Wo kein Maibaum, da keine Feier, möchte man meinen. Das ist nicht schön für die beschäftigungslosen Musiker und auch nicht für die Musikbegeisterten. Einsam herumzusitzen wie an jedem anderen Tag im Jahr, ist da auch keine Lösung. So oder so ähnlich müssen die Überlegungen von Harald Moser, Vorstand der Josef und Luise Kraft-Stiftung, ausgesehen haben. Deshalb rief er den "Paukenschlag gegen die Einsamkeit" aus - eine konzertierte Aktion.

Zeitgleich, Punkt elf Uhr am 1. Mai, spielte in ganz Bayern die konzertierte Musik statt unterm Maibaum diesmal unter den Fenstern von Senioreneinrichtungen. Gehör und Sichtbarkeit für die betroffenen Gesellschaftsgruppen sollte erreicht werden. Denn seit Jahrzehnten kümmert sich die Kraft-Stiftung um die Lebensqualität und Selbstbestimmtheit mittelloser Senioren und Demenzkranker. Musik und Kunst sind hierbei zentrale Elemente.

Der Stiftung ging es am 1. Mai nicht nur um ein Musik-Happening für die Senioren, die in diesen Tagen wenig Gelegenheit haben, etwas zu erleben. Auch die Musiker vermissen schmerzlich die Live-Auftritte vor einem echten Publikum, das hörbar Beifall klatscht. Man kann durchaus von Einsamkeit auf beiden Seiten sprechen. Freude bringen und Freude ernten - eine runde Sache.

Schon dreißig Minuten vor Beginn des Minikonzerts sammelten sich die Bewohner des Awo-Seniorenheims in Egenhofen im Speisesaal und im Foyer. Die Glücklichen in den Zimmern mit direkter Sicht auf den Außenbereich brachten sogar Willkommensplakate an ihren Balkongeländern an. In Egenhofen leben derzeit 62 Personen. Etwa die Hälfte leiden an Demenz und genießen eine Betreuung voller Herz und positiver Ausstrahlung.

Claudia Bordon-Vieler, die seit 15 Jahren als Sozialbeauftragte im Awo-Haus tätig ist, versprüht Leidenschaft und Schwung. Durchs geöffnete Fenster reicht sie einem ehemaligen Klarinettisten die Hand und wirbelt mit ihm - nur angedeutet, weil sie durch die Hauswand getrennt sind - zum Schneewalzer. Ihr begeistertes Lachen steckt alle an. "Das ist mal ein 1. Mai," sagt sie. Dass es sich in Egenhofen um ein sehr musikalisches Haus handelt, betont sie auch. Es wird viel gesungen mit den Bewohnern, einige spielen Instrumente. So verwundert es kaum, dass in Rollstühlen geschunkelt wird und bei Oldies aus den Fünfzigerjahren die Anwesenden sogar textsicher sind.

Herbert Hornig feuert im Außenbereich seine Zuschauer an. Er ist professioneller Musiker, der im Polizeiorchester spielt und normalerweise im Hofbräuhaus. Zusammen mit seinem Bruder Rainer tritt er auch gern bei Familienfesten auf. Das fällt aktuell flach. Als Inhaber einer Musikschule muss er erhebliche finanzielle Einbußen hinnehmen. Digitaler Unterricht ist eben anstrengend für alle Beteiligten. Online-Konzerte stellen auch keine Alternative dar, aber so sei viel Kreativität entstanden, sagt Hornig.

Unter den Zuschauern befindet sich auch Martina Schnapp, deren Mutter nach einem Schlaganfall seit 2019 im Awo-Seniorenheim lebt. Schnapp lebt nur etwa einen Kilometer entfernt und ist begeistert von der respektvollen und freundlichen Betreuung ihrer Mutter. Es scheint, als strahlten alle Anwesenden an diesem Maifeiertag Glück und Freude aus. Die Pflegepersonen wirken wie sanfte Animateure in einem Ferienclub, dynamisch und progressiv. Ein Schild mit der Aufschrift "Haus der zukunftsorientierten Demenzpflege" hängt neben der Eingangsschleuse. Nach dem Konzert blicken die Bewohner des Seniorenheims einem weiteren zukunftsorientierten Ereignis entgegen: dem festlichen Mittagessen.

© SZ vom 05.05.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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