Egenhofen:Das Multitalent und sein Meister

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Die aus dem 19. Jahrhundert stammende Aumühle ist die letzte ihrer Art von einst 33 Betrieben im Landkreis. Zumindest für den Mühlentag am Pfingstmontag ist sie wieder aus dem Dornröschenschlaf erweckt worden. Müller Albert Aumüller ist so etwas wie der Prinz auf Abruf

Von Stefan Salger, Egenhofen

Müllermeister Albert Aumüller legt einen langen Hebel aus Eichenholz, Marke Eigenbau, um. Und dann erwacht die 1824 errichtete Furthmühle aus dem Dornröschenschlaf. Die Kraft des 20-PS-Elektromotors pflanzt sich über Dutzende Riemenscheiben, die über unzählige Räder und Umlenkrollen laufen, bis in die letzten dunklen Winkel fort. Der kleine Motor treibt entweder die Holzsäge an oder auch die 20 Maschinen, die es einst brauchte, um aus Korn feinstes Mehl zu machen.

Aumüller ist, um im Bild zu bleiben, gerade in die Rolle des Prinzen geschlüpft. Man merkt ihm an, dass sein Herz schneller schlägt, wenn sich das alte Gemäuer kurz schüttelt wie ein nasser Hund und dann in ein gleichförmiges Rütteln und Rattern verfällt. Es wirkt, als lache Aumüller still in sich hinein, wenn den Besuchern der Mund offenstehen bleibt beim Anblick dieses historischen Wunderwerks der Technik und dieses Müllermeisters, der wie ein 20-Jähriger behende die verwinkelten Holztreppen hinaufhuscht oder in den archaischen Aufzug springt, der sich mit Arbeitsstättenverordnung etwa so gut vereinbaren lässt wie das Mehl mit der EU-Hygieneverordnung - also gar nicht.

Traditioneller Mühlentag mit Müller Albert Aumüller in der Furthmühle. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Die Furthmühle, das wird auch den sicherlich tausend Besuchern am Pfingstmontag beim Mühlentag klar, ermöglicht einen einmaligen Blick in die Vergangenheit. Einst gab es 33 solcher Mühlen im Landkreis. Übrig ist nur noch sie. Der letzte Mohikaner, ein Multitalent, das zwar seit einem Jahrhundert nicht mehr mit der Kraft des Wassers arbeitet, wohl aber mit einer unschlagbaren Energieeffizienz. Und Aumüller, 68, ist der Tausendsassa, der das Holzspäne und Mehlstaub speiende Ungetüm aus Holz und Metall bändigen kann: Er ist Monteur, Schreiner, Elektriker, Müllermeister, Cafébetreiber, Buchhalter. Und das Wenige, was er nicht schafft, schafft seine Frau Theresia. Während um ihn herum die Besucher in den kleinen Biergarten strömen oder in die Mühle hinein, sitzt er in aller Ruhe auf dem Austragsbankerl und erklärt, wie es läuft und wie es weitergeht.

Denn die glorreiche Vergangenheit kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Zukunft höchst ungewiss ist. Vor sieben Jahren musste das Mehlmahlen aus Hygienegründen eingestellt werden. Könnte sich ja irgendwo im Gebälk oder im Holzboden Ungeziefer eingenistet haben (der Klimawandel befördert das, alle Mühlen bekommen das zu spüren). Seitdem ist es noch schwieriger, dieses Museumsstück zu erhalten. Es gibt ein Jahresbudget von gut 60 000 Euro im Jahr. Der Landkreis gibt seit 33 Jahren Zuschüsse - das wurde einst noch unter dem damaligen Landrat Gottfried Grimm so festgelegt. Zudem engagieren sich die 98 Mitglieder des Fördervereins mit ihrer Arbeitskraft sowie finanziell. Aber wenn Aumüller mal nicht mehr kann, dann könnte es eng werden. Denn auch seine drei Kinder haben längst andere Berufe gewählt. Müller? Nein, danke.

Insgesamt mehr als tausend Besucher genießen die Zeit im Biergarten und besichtigen die 1824 erbaute ehemalige Hofmarksmühle von Weyern. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Dabei ist dieser Beruf erfüllend. Oder besser: Er war es. Richtig gut war die angeblich gute alte Zeit deshalb aber auch nicht. Das weiß Horst Widmann. Der 84-Jährige führt die Besucher an diesem Tag mal wieder durch die Mühle. Von 1948 bis 1957 arbeitete er als Geselle in der Peutenmühle zwischen Kottgeisering und Zankenhausen. Ebenso wie in der Furthmühle wurden dort täglich um die 50 Zentner Mehl gemahlen. Moderne Industriebetriebe schaffen tausend Tonnen und mehr. Und deshalb wurde auch die Peutenmühle stillgelegt. Widmann sattelte bis zu seinem Ruhestand um auf Kraftfahrer in Diensten des Fliegerhorsts, den es ja nun auch bald nicht mehr geben wird. Als er anfing als Müller, da gab es drei Mark im Monat sowie freie Kost und Logis. Spendable Kunden gaben schon mal zehn Pfennig Trinkgeld. Die Arbeit war eine echte Plackerei - "mit Zweizentnersäcken auf dem Buckel". Einmal gewann Widmann eine Wette: er schleppte fünf Zentner und einen Gesellen 50 Meter weit. Müller mussten damals echte Kerle sein. Dafür mussten sie nicht Chemie oder Elektrotechnik studiert haben und stundenlang vor Computerbildschirmen sitzen. Widmann trauert der Zeit nicht nach. Der Hut geht ihm gleichwohl hoch, wenn man ihn auf die "modernen", EU-weit geltenden Sicherheits- und Hygieneverordnungen anspricht. Die seien von Bürokraten ersonnen, "die keine Ahnung haben und die kleinen Betriebe kaputtmachen". Da fehle es zu oft am Augenmaß. "Es derf ned sei'. Hunderte Jahre war's gut, und jetzt soll's schlecht sein?"

Deswegen darf die rüstige alte Dame nur noch Trockenübungen machen - Schaulaufen nennt sich das. Nicht mal Getreide wird eingefüllt, denn das darf - Stand heute - nur als Hühnerfutter oder bestenfalls für den Eigenverbrauch hergestellt werden. Das Mehl fürs rustikale Café Mahlgang wird aus Mering geliefert. Widmann ist Witwer. Er backt nicht, braucht kein Mehl mehr. Vielleicht gut so, sonst müsste er sich nur wieder ärgern.

Momentan könnte man die Mühle gar nicht arbeiten lassen, denn der Plansichter, eine Art großer Rüttler, der das Mehl in mehreren Durchgängen von der Kleie trennt, wartet auseinandergebaut auf die fällige Reparatur. Aumüller wird das beizeiten erledigen. Er ist im Ruhestand, hat aber immer noch alle Hände voll zu tun. Letztens stolperte er in Miesberg buchstäblich über eine Seilwinde aus massivem Eisen, die dort nach dem Abriss des Gasthauses Huber seit fast 20 Jahren vor sich hingammelte. Er durfte sie mitnehmen und baute sie kurzerhand ins Obergeschoss der Mühle. Öffnet er eine Klappe im Boden, kann er jetzt mit Handkraft und doch kinderleicht schwere Lasten nach oben transportieren. Zudem wurden auf zwei Etagen Böden ausgetauscht, als Zugeständnis ans Lebensmittelrecht.

Denn hinter allem steht ein Plan B. Aumüller spricht von dem Wunsch, die Mühle "zukunftsfähig" zu machen. Der Weg zurück zum Müllereibetrieb, der das weiße Puder in Kilopackerln im eigenen Laden oder auf Wochenmärkten verkauft, ist wohl unwiderruflich verbaut. Aber aus dem Schaulaufen soll zumindest ein Schaumahlen werden - mit Mehl. Damit es in der Furthmühle nicht nur rattert und rüttelt, sondern auch weiß staubt, wie sich das für so einen Veteranen geziemt.

© SZ vom 11.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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