Die Leiden einer Hartz-IV-Empfängerin:Albträume und Ekel

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Zwei Wochen lang lag der Vormieter einer Fürstenfeldbruckerin tot in ihrer Sozialwohnung. Mit der Kontamination, dem hartnäckigen Geruch und gesundheitlichen Folgen muss die 47-Jährige seit mehr als einem Jahr leben. Denn auf der Suche nach Hilfe stieß sie bisher nur auf Hürden

Von Julia Bergmann, Fürstenfeldbruck

Blutspritzer auf dem Boden. Das sei das erste gewesen, was Barbara Müller (Name von der Redaktion geändert) bei der Besichtigung ihrer neuen Wohnung aufgefallen ist. Stutzig gemacht hat sie das zunächst nicht. Immerhin sei auch der Hausmeister bei näherer Nachfrage gelassen geblieben und habe versichert, der Boden würde noch gereinigt werden. Und wie leicht könne man sich doch bei einem Auszug und den Abbauarbeiten verletzen, dachte die Frau noch. Mulmig zumute wurde der 47-Jährigen erst, als dieser furchtbare Geruch, der ihr immer wieder in die Nase stieg, einfach nicht verfliegen wollte. Müller hat geputzt, desinfiziert, gelüftet: nichts half. Wenige Tage nach ihrem Einzug sollte sie die Bestätigung für ihr schlechtes Bauchgefühl erhalten. Nach zwei Tagen sprach eine Nachbarin die neue Mieterin an. "Sie hat gefragt, ob ich eigentlich wüsste, was in meiner Wohnung passiert sei", erzählt Barbara Müller. Passiert? "Sie hat mir erzählt, dass sich mein Vormieter in der Wohnung das Leben genommen hat. Gerade da, wo mein Bett stand", sagt die Frau. Gefunden wurde der Mann zwei Wochen später, nachdem die Nachbarn wegen des bestialischen Gestanks, der aus der Wohnung drang, die Polizei alarmiert hatten.

Ein ungewöhnlicher Geruch hängt immer noch in den Räumen. Seit nunmehr über einem Jahr wohnt Barbara Müller in der Sozialwohnung, die sie nach monatelanger Wartezeit bekommen hatte. Ihre frühere Zweizimmerwohnung konnte sie nach dem Verlust ihres Jobs nicht weiterbezahlen, auf dem freien Markt konnte sie keine für sie bezahlbare Wohnung finden. Als sie die Zusage für ihre neue Bleibe bekam, war sie zunächst erleichtert, doch seit sie vom Schicksal des Vormieters erfahren hat, plagen sie Albträume und Ekel.

Weil sie hofft, eine neue Bleibe zu finden, hat Barbara Müller schon alles in zusammengepackt. (Foto: Voxbrunner Carmen Mittelstetten)

Kurze Zeit nach ihrem Einzug bekam die Allergikerin außerdem massive gesundheitliche Beschwerden. "Meine Augen waren zugeschwollen, ich habe Probleme mit der Atmung bekommen", sagt sie. Seitdem nimmt die 47-Jährige täglich kortisonhaltige Medikamente ein. Mehrere Ärzte suchte sie auf, die ihr attestierten, dass sie in der Wohnung nicht bleiben könne. Auch andere Experten kontaktierte die Frau. Darunter etwa einen Tatortreiniger und den Inhaber einer Firma, die Bodenlegearbeiten anbietet. So erfuhr sie, dass bei einer langen Liegezeit eines Toten und den vorangeschrittenen Zersetzungsprozess Leichenwasser und Gase entstehen, die in den Boden eindringen. Eine betroffene Wohnung müsse gründlich saniert werden, Tapeten, Böden, oft sogar der Estrich müssen entfernt, die Räume desinfiziert und anschließend renoviert werden. Im Schreiben eines Unternehmens, das sich auf Tatortreinigung spezialisiert hat, heißt es, die Wohnung lediglich neu zu streichen oder den Fußboden neu zu versiegeln, reiche nicht aus. Und weiter: "Es kann nach Monaten der spezifische Geruch ausgasen."

In ihrer Wohnung zu bleiben, ist für Barbara Müller also keine Option. Eine bezahlbare Wohnung, die nicht teurer ist als 480 Euro kalt, konnte sie bisher in der Umgebung nicht finden. Die Hoffnung, eine andere Sozialwohnung zu finden, hat sich auch zerschlagen. Beim Wohnungsamt in Fürstenfeldbruck habe man ihr nach der Schilderung ihrer Situation und der Bitte um eine andere nicht kontaminierte Wohnung mitgeteilt, dass es derzeit keine verfügbaren Sozialwohnungen gebe. "Mir ist gesagt worden, ich hätte ja schon eine", sagt sie. Seitdem hat Barbara Müller das Gefühl, sie läuft gegen Wände. "Ich hätte es vorher nie gedacht, aber wenn du Hartz IV bekommst, bist du ein Mensch zweiter klasse. Obwohl ich so abgestiegen bin, habe ich doch trotzdem das Recht, eine normale Wohnung zu bekommen", meint die Bruckerin.

Mittlerweile ist die Belastung so groß, dass sich die Frau in neurologische Behandlung begeben musste. Wegen des Ekels hat sie einen Waschzwang entwickelt. Einigermaßen schlafen kann sie nur auf einer schmalen Klappliege im engen Flur der Wohnung, wenn sie die Tür zum Raum geschlossen hält.

Vor einigen Monaten hat die 47-Jährige auch einen Rechtsanwalt eingeschaltet und die Miete gemindert. Als Reaktion hat der Vermieter, die GBW-Gruppe, zunächst Mahnungen übersandt und schließlich zwei Hausmeister für eine eingehende Prüfung zu Barbara Müller geschickt. "Sie sind nur bis zum Vorraum in die Wohnung gegangen, nicht ins Zimmer", sagt die Frau. Das könnten auch mehrere Zeugen bestätigen, die sie zur Prüfung hinzugebeten hätte. In einem Schreiben verweist ein Vertreter der GBW-Gruppe auf diesen Termin und meint, es habe dabei kein außergewöhnlicher Geruch, auch kein Leichengeruch, in der Wohnung festgestellt werden können. "Daher sehen wir keine Veranlassung, weitere Maßnahmen einzuleiten und sehen die Angelegenheit als erledigt an", hieß es in einem Schreiben an Müllers Anwalt.

Auf Nachfrage der Süddeutschen Zeitung unterbreitet die GBW jedoch ein Angebot. Zwar wird in der schriftlichen Antwort ebenfalls auf den Termin mit den beiden Hausmeistern hingewiesen, aber dann heißt es: "Wir bieten jedoch an, einen weiteren externen Gutachter zur Überprüfung einzusetzen." Zudem solle geprüft werden, ob man der Mieterin zeitnah eine gleichwertige Ersatzwohnung anbieten könne.

Doch den Vorwurf, man habe man habe die notwendigen Sanierungsarbeiten nicht erledigt, weist das Wohnungsunternehmen entschieden zurück: "Wir haben in dieser, ebenso wie in jeder anderen Wohnung, die wir neu vermieten, für einen ordnungsgemäßen Zustand gesorgt. Dass sich bei der Übergabe Blutflecken in der Wohnung befunden hätten, treffe ebenfalls nicht zu. "Entsprechend sind auch im unterschriebenen Übergabeprotokoll keinerlei Beanstandungen durch die Mieterin erfolgt - weder zu Verschmutzungen noch zu Geruch", heißt es dazu in der Antwort. Die Beanstandungen seien erst nach einem langen Zeitraum erfolgt und nach Meinung des Unternehmens auch durch Temperaturänderungen der Jahreszeit nicht schlüssig zu erklären.

© SZ vom 07.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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