Buchrezension:Mit Liebe zum technischen Detail

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Ein Puchheimer Ingenieur veröffentlicht einen Band über die Dampflok-Ära der Bundesrepublik. Seine Arbeit zeugt von beeindruckender Spezialkenntnis - lässt aber mancherorts ein strenges Lektorat vermissen

Von Peter Bierl, Fürstenfeldbruck

Wer sich für Dampflokomotiven interessiert, kommt an diesem Werk nicht vorbei. Der Fotograf und Buchautor Jörg Michael Mehltretter hat einen neuen Band mit beeindruckenden Fotografien aus der ausklingenden Ära der Dampfrösser in der Bundesrepublik vorgelegt. Das großformatige Buch enthält aber nicht nur schöne Fotos, sondern darüber hinaus auch allerlei technische Details über die Lokomotiven sowie deren Verwendung. Denn Mehltretter ist Diplomingenieur. Er analysiert in seinem Buch "Mit Volldampf voraus" mit Fachblick die Konstruktion und Leistungsfähigkeit der Maschinen und vergleicht zehn Hochleistungs-Lokomotiven.

Mehltretter hat sein Redaktionsbüro in Puchheim. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, die von Eisenbahnen und Armbanduhren handeln. Sein neues Werk ist den Lokomotiven gewidmet, die bis Mitte der 1970er-Jahre in der Bundesrepublik im Einsatz waren. Allerdings enthält das Buch auch jeweils ein Kapitel über französische und britische Maschinen. Besonders interessant sind manche britischen Exemplare, die ab 1937 im Einsatz waren - etwa die stromlinienverkleidete blaue "Sir Nigel Gresley". Eine "Schwestermaschine" vom Typ Mallard stellte im Juli 1938 mit 201,2 Stundenkilometer den Geschwindigkeitsrekord für Dampflokomotiven auf. Im internationalen Vergleich gelangt Mehltretter zu dem Ergebnis, dass die deutschen Konstruktionen der Reichsbahn in den 1930er-Jahren, und der Bundesbahn später, es "oft nur zu mäßigem Durchschnitt" brachten.

Ein Bild von damals: Spektakulär waren nicht nur die Ausblicke, die sich den Zugreisenden vor den Fenstern boten, sondern auch die technischen Möglichkeiten der Dampfloks. (Foto: Fotograf Unbekannt)

Ziemlich spannend und tragisch ist ein Unfall, der sich im August 1981 in Brasilien ereignete und dessen Augenzeuge Mehltretter fast wurde. Er hatte mit einem Lokomotivführer vorher eine Stelle abgesprochen, an der er mit seiner Kamera Aufnahmen von dem Zug machen wollte. Als er dort ankam, war der Dampfkessel der Lokomotive explodiert und der Zug entgleist. Der Lokomotivführer und seine beiden Heizer waren dabei ums Leben gekommen. Ausführlich beschreibt Mehltretter, aus welchen Gründen es theoretisch zu einem solchen "Kesselzerknall" kommen kann. Wer sich für diese Technik begeistert, für den ist das Buch eine wahre Fundgrube, ebenso für alle diejenigen, die sich an hervorragend gemachten und gedruckten Bildern dieser Lokomotiven erfreuen. Von diesen beiden Zielgruppen abgesehen, hat das Buch allerdings nur geringen Nutzwert. Das liegt zum großen Teil daran, dass Mehltretter ein ziemliches Bürokratendeutsch pflegt, von sich selber gelegentlich in der dritten Person Singular schreibt und eine große Liebe für technische Details hegt.

So erfährt der Leser im Vorwort, dass die Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbahn dem Autor jedes Jahr die Genehmigung für das Betreten und Benutzen von Bahnanlagen erteilte. "Durch die abgeschlossene Haftpflichtversicherung waren auch eventuelle eintretende Schäden abgedeckt", hält Mehltretter für nötig, in seinem Band zu erwähnen. Und wer nicht gerade zur Kategorie der von Laien etwas despektierlich als Pufferküsser bezeichneten Eisenbahn-Fans gehört, möchte gar nicht so genau wissen, wie eine Kylchap-Doppelsaugzuganlage oder eine Kylälä-Düse funktioniert. Gleiches gilt für die ausführliche Beschreibung der Kamera, die Mehltretter verwendete.

Jan Michael Mehltretter fotografierte mit einer Großbildkamera, für eine besonders hohe Auflösung. (Foto: Günther Reger)

"Das vorliegende Werk wurde wie ein technisches Projekt gehandhabt", schreibt Mehltretter über sein Buch. Er habe mit dieser Dokumentation neue Wege gehen und ganz andere Möglichkeiten aufzeigen wollen, als dies bei früheren Werken über Dampflokomotiven der Fall gewesen sei. Das ist sicher ehrenwert. Er hoffe, dass Fachleute das Werk zur Hand nehmen, um sich über "verpasste Chancen und Fehler bei der Konzeption" zu informieren.

Das Werk ist aber nicht bl0ß als technisches Handbuch gestaltet, denn in einem solchen hätten inszenierte Aufnahmen von Lokparaden, deren Führer auf Kommando die Dampfpfeifen ziehen, nichts zu suchen. Die Aufmachung macht deutlich, dass das schöne Buch mit vielen Fotos auf ein breiteres Publikum zielt. Ein strenges Lektorat, das auf die Lesbarkeit des Textes für Laien und einen gewissen Unterhaltungswert achtet, hätte in diesem Fall allerdings nicht geschadet.

Jörg Michael Mehltretter, Mit Volldampf voraus. Leistung und Technik von Dampflokomotiven, Transpress-Verlag, Stuttgart 2017, 355 Seiten, 16,95 Euro

© SZ vom 03.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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