Brucker Amtsgericht:Simulierter Militäreinsatz eskaliert

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Eine Übung an der Offizierschule der Luftwaffe endet für einen Soldaten mit einem Krankenhausaufenthalt. Wegen schwerer Körperverletzung muss sich sein Kamerad nun vor dem Brucker Amtsgericht verantworten

Von Julia Bergmann, Fürstenfeldbruck

Weil eine Bundeswehrübung an der Offizierschule eskaliert ist, muss sich ein 31-jähriger Soldat nun wegen schwerer Körperverletzung vor dem Brucker Amtsgericht verantworten. Die Simulation eines Bundeswehreinsatzes, die Teil einer Prüfung war, endete für einen der Beteiligten mit einem Krankenhausaufenthalt. Eine Gruppe von neun Offiziersanwärtern sollte bei der Prüfung im April 2017 zwei von anderen Soldaten dargestellte, gegnerische Streitkräfte entwaffnen und fixieren. Nachdem der erste Gegner zu Boden gebracht wurde, lief die Situation aus dem Ruder.

Der zweite Gegner, der Geschädigte, war in seiner Rolle zwar unbewaffnet, sollte sich aber aufgebracht und renitent geben. Er wehrte sich in seiner Rolle vehement gegen den Zugriff zweier Offiziersanwärter, trat und schlug um sich. Der Angeklagte gab an, er habe die Rangelei bemerkt und sei seinen beiden Kameraden zu Hilfe gekommen. Um den Darsteller zu fixieren, habe er ihn in den Schwitzkasten genommen. Doch, anders als erwartet, hörte der Darsteller nicht auf, sich zu wehren. Erst als sich das Gesicht des Darsteller dramatisch verfärbte, bemerkte ein Prüfer, dass etwas nicht stimmte und griff ein. Bei der Rangelei erlitt der Geschädigte, der vor Gericht als Nebenkläger auftrat, eine Zungenbeinfraktur und wurde mit massiven Schmerzen ins Krankenhaus gebracht. Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage.

Vor Gericht soll nun die Frage geklärt werden, ob der Angeklagte den Ausgang der Situation hatte absehen können und trotzdem die Verletzung seines Kameraden in Kauf genommen hat. Während seiner Aussage beteuert der 31-Jährige: "Wenn ich in irgendeiner Weise gemerkt hätte, dass ihm die Situation Schmerzen bereitet, hätte ich aufgehört." Der Geschädigte habe auch nicht das vereinbarte Codewort "Blaulicht" gesagt, mit dem er die Simulation hätte beenden können. Der Angeklagte will erst mitbekommen haben, dass etwas nicht stimmt, als einer der Prüfer ihm auf die Schulter klopfte. "Mir war nicht klar, dass er nicht mehr in der Rolle war", sagt der Angeklagte.

Offen ist auch die Frage, ob sich der 31-Jährige während der Simulation "richtig" verhalten hat. Richter Martin Ramsauer will etwa von verschiedenen Zeugen wissen, ob es in einer solchen Übung überhaupt erlaubt sei, einen Unterarmwürgegriff anzuwenden. Die Zeugen bleiben vage. Offenbar lässt sich die Frage nicht eindeutig beantworten. Auch als Ramsauer klären will, ob es für derlei Übungen klare Handlungsanweisungen und Abläufe gibt, gehen die Meinungen der Zeugen auseinander. So behauptet der Vorgesetzte des Geschädigten, der Angeklagte hätte einen Warnschuss abgeben müssen, bevor er die körperliche Gewalt anwandte. Zwei der Prüfer, ebenfalls als Zeugen geladen, sehen das anders. Sie finden, der Darsteller hätte sich früher ergeben müssen. Ein Warnschuss dürfe ein Soldat außerdem nur dann abgeben, wenn er bereit sei, im nächsten Schritt tatsächlich Waffengewalt anzuwenden. Der Einsatz von Schusswaffen wäre hier allerdings völlig unverhältnismäßig gewesen, finden sie. Nicht nur aufgrund des Stärkenverhältnisses von neun Soldaten gegen zwei. Sondern auch, weil der Geschädigte in der Simulation die Rolle eines unbewaffneten Gegners spielte.

Ebenfalls widersprüchlich blieben die Aussagen darüber, ob der Geschädigte das Codewort gesagt hatte, oder nicht. Der Vorgesetzte des Darstellers gab während der weiteren Befragung an, er habe zwar nicht gehört, wie der Geschädigte es sagte, habe aber mitbekommen, wie ein umstehender Beteiligter fragte: "War das gerade ein "Blaulicht"? Eine Äußerung, von der weder die Prüfer noch der Angeklagte etwas mitbekommen haben wollen. Auch das verfärbte Gesicht habe der Angeklagte nicht sehen können, da sich der Geschädigte in einer von ihm abgewandten Position befunden habe.

Noch bevor das rechtsmedizinische Gutachten verlesen werden kann oder der Geschädigte zu Wort kommt, meldet sich der Anwalt des Angeklagten und bittet um die Einstellung des Verfahrens gegen Geldauflage. Dem stimmt die Staatsanwaltschaft zu. Der Soldat soll nun 1000 Euro an die Caritas zahlen. Nach der fast drei Stunden dauernden Zeugenbefragung könne allenfalls Fahrlässigkeit in Betracht gezogen werden, erklärt der Richter die Entscheidung später. Für das Gericht war nicht erkennbar, dass der Soldat mit bedingtem Vorsatz gehandelt hatte. "Alles andere wäre auch ein Witz gewesen", kommentiert der Anwalt des Angeklagten nach der Verhandlung. "Ein Witz!", findet hingegen der Verteidiger des Geschädigten. "Er hatte Todesangst", sagt er beim Verlassen des Gebäudes mit Blick auf seinen Mandanten. Rechtsmittel kann er gegen die Entscheidung in diesem Fall nicht einlegen.

© SZ vom 05.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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