Briefmarkensammeln:Sonderstempel und Feldpostbriefe aus zwei Weltkriegen

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Für ihre Treffen benötigen die Philatelisten keine großen Säle mehr. Die Zahl der Mitglieder im Brucker Verein hat kontinuierlich abgenommen. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Die Fürstenfeldbrucker Philatelisten feiern die Vereinsgründung vor 50 Jahren und sehen einer unsicheren Zukunft entgegen. In Zeiten elektronisch verschickter Mitteilungen gib es immer weniger zu sammeln. Die historische Aufarbeitung des Post- und Verlagswesens in der Kreisstadt wird irgendwann dem Stadtarchiv zugute kommen

Von Peter Bierl, Fürstenfeldbruck

"Sei wie eine Briefmarke. Bleib an der Sache dran, bis du am Ziel bist", soll der amerikanische Schriftsteller Josh Billings gesagt haben. Diese Beharrlichkeit zeichnet auch leidenschaftliche Sammler wie die Mitglieder des Philatelistenvereins Fürstenfeldbruck aus. Bei den Treffen liegen große Alben gespickt mit Marken sowie Stapel alter Briefumschläge und Postkarten auf den Tischen des Lokals. Ein Dutzend eher älterer Herren kommt regelmäßig zusammen, um zu fachsimpeln, über Herkunft und Bedeutung mancher Stücke zu diskutieren oder die aufgedruckten Stempel zu bewundern. Manche Objekte wechseln an solchen Abenden ihren Besitzer, sie werden getauscht oder verkauft.

Im Januar 1967 wurde der Verein gegründet, heuer wird sein 50. Jubiläum gefeiert. Die Anfänge liegen weiter zurück. Schon von 1953 an sollen sich Briefmarkensammler regelmäßig in Fürstenfeldbruck getroffen haben. Das Motiv für die Vereinsgründung war, als Mitglied im Bund Deutscher Philatelisten die Sammlungen auf großen Ausstellungen vorzeigen zu können, sagt der Vorsitzende Klaus-Peter Lippoldes.

Die Motivation der Sammler hat sich über die Jahrzehnte verändert. Die Wertanlage, auch mal am Finanzamt vorbei, habe damals bei manchem älteren Sammler im Vordergrund gestanden. Später überwog der Spaß an bunten Motiven und der Geselligkeit im Verein, was auch daran lag dass um 1976 viele junge Erwachsene beitraten. Vier Jahre später erreichte der Verein mit über 140 seinen höchsten Mitgliederstand. Viele dienten als Soldaten am Fliegerhorst. Der Verein hatte bald viele auswärtige Mitglieder, weil diese an andere Standorte versetzt wurden. In den folgenden Jahren sank der Zuspruch wieder. Die Verbliebenen entwickelten sich zu "ernsthaften Sammlern", wie Lippoldes erklärt.

Was damit gemeint ist, zeigt die Art wie jetzt das Jubiläum begangen wird. Die Aktiven haben eine Broschüre erarbeitet, in der die Geschichte des Vereins sowie die Postgeschichte von Fürstenfeldbruck dargestellt wird, die bis auf die Posthalterei der Familie Weiß um 1569 zurückgeht. Außerdem sind allerlei Ansichtskarten und Briefe aus der Stadt dokumentiert. Dazu wurde die Übersicht über die Brucker Poststempel von 1813 bis 1962 aktualisiert.

Beide Publikationen zeigen, dass der Verein seinem Namen insofern alle Ehre macht, als Philatelie mehr ist als Briefmarkensammeln. Es sei eine Leidenschaft, in alten Nachlässen oder auf Flohmärkten zu stöbern, sagt Ralf Reiter, der Kassier des Vereins. Jeder habe ein Spezialgebiet und ein "Spaßgebiet", wobei das Interesse breit gefächert sei.

Marken werden gesammelt nach Ländern, historischen Epochen, Motiven oder Ereignissen. Einige Mitglieder konzentrieren sich auf Zensurbelege, Flug- oder Bahnpost oder die ersten Freistempel aus Argentinien. Manche sammeln Brucker Poststempel, andere wiederum konzentrieren sich auf Ansichtskarten.

Die Brucker Philatelisten recherchieren und dokumentieren die Verwendung von Briefmarken und Poststempeln, die Geschichte der Post und der Postämter sowie des örtlichen Verlagswesens. Sie verstehen diese Beschäftigung als Beitrag zur lokalen Geschichtsschreibung und erschließen wertvolles Material zur Kulturgeschichte der Stadt, den die Motive widerspiegeln politische Ereignisse und mehr noch den Wandel der Geschmäcker, Moden und Freizeitbeschäftigungen.

So habe es in der Kreisstadt eine umfangreiche Produktion von Ansichtskarten gegeben, die zwischen 1890 und 1950 ihren Höhepunkt erreichte und von der zahlreiche Kleinverlage gelebt hätten, sagt Jürgen Grohmann. Er hat als Elfjähriger mit dem Sammeln begonnen und sich auf Stempel und Karten konzentriert. Heute besitzt Grohmann etwa 300 Exemplare mit verschiedenen Motiven und Ausführungen. Er schätzt, dass es sich dabei nur um etwa ein Viertel aller jemals in Bruck hergestellten Varianten handelt.

Die Karten sind schwarz-weiß oder koloriert, mit Motiven von der Amper, der Leonhardikirche, dem Stadtzentrum und vor allem der Klosterkirche, die mit Abstand das beliebteste Objekt war. Einige zeigen die Badehütten an der Amper, überraschend viele Luftaufnahmen sind dabei. Früher wurden viele Postkarten nicht auf der Rückseite beschrieben, sondern vorne. Direkt neben oder unter den Bildern war Platz für ein paar Zeilen. Dass die Postkarte ausgerechnet in Bruck boomte, führt Grohmann auf mehrere Faktoren zurück: Die Stadt wurde bereits Anno 1873 Bahnstation und entwickelte sich zu einem frühen Fremdenverkehrsort. Das örtliche Gewerbe warb mit der Heilkraft des Amperwassers und gesunder Luft, im Winter war die Rodelbahn am Münchner Berg eine Attraktion, wie viele Karten zeigen. Dazu waren in Bruck erst in der Unteroffiziersschule, dann in der Polizeischule und schließlich auf dem Fliegerhorst viele Menschen stationiert, die ihren Lieben zu Hause grüßten.

Die Fotos zeigen Pferde, die in der Stadt zur Tränke an die Amper geführt werden, eine kaum befahrene Hauptstraße in den Fünfzigerjahren, die genug Platz für Querparker bot, eine Klosteranlage, still und abgeschieden vor dem Bau der ersten Umgehungsstraße, der Oskar-von-Miller-Straße, die heute am Barockgarten vorbeiläuft, oder das Lazarett aus dem Ersten Weltkrieg. Ereignisse wie die Bezirkstierschau 1909 wurden zu grafischen Motive verarbeitet.

Auch Stempel und Umschläge erzählen Geschichten und Geschichte: Ein "Armenrat von Fürstenfeldbruck" verfügte in den Notzeiten der Zwanzigerjahre über einen eigenen Briefkopf, es gibt viele Feldpost mit Zensurstempeln aus den Weltkriegen oder Briefe von französischen Kriegsgefangenen, die in einem Lager, wo heute das Arbeitsamt steht, interniert waren.

Das Amtsgericht verwendete in den Nachkriegsjahren Briefumschläge aus der Nazizeit, wobei Hakenkreuze mit Papierschnipseln überklebt wurden. Auf dem Fliegerhorst existierte von 1937 bis 1963 ein eigenes Postamt mit Sonderstempel. Zu den Olympischen Spielen 1972 wurde der Betrieb kurzzeitig wiederbelebt, weil Athleten aus einigen afrikanischen Ländern im Kilometerbau des Fliegerhorstes untergebracht waren, wie Lippoldes erzählt. Er ist sicher, dass alle diese Dokumente irgendwann im Stadtarchiv landen werden wo sie gut aufgehoben wären.

Die Philatelisten trifft ein Abwärtstrend, unter dem viele Vereine leiden. Es gibt außerdem ein "Nachschubproblem", wie Lippoldes es nennt. Früher schenkten Behörden und Firmen den Philatelisten säckeweise frankierte Briefe. Irgendwann setzten sich Freistempler durch, und der Datenschutz verhindert die Abgabe.

Das Hobby ist im Zeitalter von Facebook und Whatsapp nicht mehr angesagt, die in der Satzung vorgesehene Jugendgruppe wurde längst aufgelöst. Das Durchschnittsalter der Mitglieder schätzt der Vorsitzende auf etwa 70 Jahre. Die meisten haben das Hobby als Buben zwischen Kindheit und Pubertät entdeckt, zusammen mit der Lektüre von Karl May und Lederstrumpf. Nun werden sie im Philatelistenklub zusammen alt. "Der Verein wird nicht überleben, aber das Sammeln wird in anderen Formen weitergehen", prognostiziert Lippoldes.

Der Brucker Philatelistenverein feiert sein 50-jähriges Bestehen in einer öffentlichen Veranstaltung am Samstag, 28. Januar, um 18 Uhr mit einem gemeinsamen Essen im Klosterstüberl. Anschließend werden die Jubiläumsschrift sowie der neu bearbeitete Stempelkatalog vorgestellt.

© SZ vom 27.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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