Beeindruckendes  Schultheater:Zeitgemäßes Lehrstück

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Gefesselt in der eigenen Biografie sind der rechtsextreme Ingo und das Nazi-Opfer Elly. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Regensburger Theater-Ensemble führt Fürstenfeldbrucker Berufs- und Realschülern vor Augen, wie sich rechtsextreme Gewalt entwickeln kann und Menschen zu Tätern und Opfern werden

Von Marcel Holland, Fürstenfeldbruck

Zwei Stühle markieren die Szenerie. Der eine steht für ein Krankenbett in der Nervenheilanstalt Karthaus-Prüll, der andere für eine Pritsche in einer Zelle der Justizvollzugsanstalt. Eine junge Frau, gekleidet in ein weißes Krankenhemd. Ein junger Mann mit Bomberjacke, schwarzen Stiefeln, geschnürt mit weißen Schnürsenkeln, und einer Mütze auf der "co-nsdap-le" steht. Elly Maldaque, eine Lehrerin aus Regensburg, wird als Freigeist und als Rebellin gegen das Naziregime denunziert und kommt später in einem Irrenhaus zu Tode. Ingo, ein neuzeitlicher Neonazi, eingesperrt wegen seiner gewalttätigen Vergangenheit, die ihn bis zum Mord führte. Mit diesem Schaubild beginnt das Stück "Elly und Ingo" des ueTheater-Ensemble Regensburg.

Ausführlich beschreiben die beiden Schauspieler Christine Elsa Wagner (Elly Maldaque) und Julian Kühndel (Ingo) den Hintergrund des Stücks und werfen so Licht auf eine anderenfalls nur schwer verständliche Inszenierung. Dabei durchbrechen sie bewusst die vierte Wand und erleichtern ihrem Publikum, das aus Brucker Berufs- und Realschülern besteht, gekonnt den Einstieg in das geschehen auf der Bühne. Neben der geschichtlichen Figur der Elly Maldaque, von der Tagebücher erhalten sind, entwirft der Autor Kurt Rastar mit seiner Figur Ingo einen Bilderbuch-Neonazi der Gegenwart: vereinsamt, gewalttätig, abgehängt. Im Stück stehen sich diese Beiden im ständigen Wechsel gegenüber. Dabei reflektieren sie monologisch ihr Leben.

Das Publikum in der Mehrzweckhalle der Realschule erfährt, dass Elly in ihrer Kindheit Gewalt durch den Vater erfahren hat. Da sie dieses Erziehungsmittel kategorisch ablehnt, geht sie den Weg des Menschenrechts und lernt dabei, das Gewalt zu mehr Gewalt führt. Sie kommt zu der Auffassung, dass jeder Mensch automatisch gut sein müsse, wenn er sich nur frei entfalten könne. Damit vertritt sie den philosophischen Gedanken des Humanisten Jean-Jacques Rousseau. Am Ende erfährt sie jedoch trotzdem Ausgrenzung und Tod.

Dem gegenüber steht Ingo, der sich aufgrund seiner sozialen Verhältnisse nicht frei entfalten kann. Er erfährt ebenfalls Gewalt, jedoch gelingt ihm der Ausbruch aus der Spirale nicht. Er versteht die Welt unter dem Naturzustand, der unter anderem von Thomas Hobbes beschrieben wird, als Kampf "jeder gegen jeden", in der nur der Stärkste überleben kann. Außerdem begreift er sich als Einzelgänger. Als "einsamen Wolf", womit er sich seine Lage schön zu reden versucht. In der Schule fühlt er sich erstmals anderen überlegen, indem er auf tragische Weise die Unterdrückung und die Ausgrenzung, die er selbst erdulden musste, reproduziert.

Die logische Erzählweise und die starken Gegensätze ermöglichen es den jungen Zuschauern, für beide Figuren Mitgefühl zu entwickeln. Die Identifikation mit ihnen wird jedoch regelmäßigen Intermezzi geopfert, in denen die Schauspieler bewusst aus ihren Rollen heraustreten und die vorausgegangenen Szenen analysieren. Im Dialog miteinander machen sie es dem Publikum damit unmöglich, das Stück einfach nur zu konsumieren und zwingen es mitzudenken. Das Stück nimmt sozialkritische Themen auf. Obwohl Elly versucht, ihr humanistisches Weltbild zu vertreten, wird sie Opfer ihrer Gesellschaft, in der, damals wie heute, der ständige Widerspruch zwischen dem Aufruf zum Miteinander und der dauernden Konkurrenz untereinander vorherrscht.

Mit der Wahl der einer historischen Figur und einem fiktiven archetypischen Neonazi stellt Regisseur Kurt Rastar einen Bezug her - zwischen den Untaten der Nazis und gegenwärtigen rechtsextremen Strömungen. Diese Klammer mündet in die Frage, ob sich das Dritte Reich wiederholen könnte? "Ja", meinen die Schüler, die das Stück gespannt verfolgten, als die Schauspieler am Ende der Aufführung eine Diskussionsrunde eben mit dieser Frage eröffnen. Mit diesem Angebot zum Dialog wird ermöglicht, das dieses Drama zum Lehrstück für die Schüler wird.

© SZ vom 18.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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