Ausstellung im Haus 10:Geschichten, reduziert auf den Augenblick

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Vier Künstlerinnen zeigen, wie narrativ gute Kunst sein kann, wenn sie es möchte. Plötzlich reicht der Blick auf ein Regal voller Einmachgläser, um Erinnerungen an die eigene Großmutter wachzurufen

Von Florian J. Haamann, Fürstenfeldbruck

Ganze Geschichten, eingedampft auf die Darstellung eines Moments, eines komprimierten Augenblicks, die aber viel über das Davor, Danach, Daneben, Dahinter erzählen. Solch narrative Kunst ist es, die in der aktuellen Ausstellung "Erzählte Momente - zwischen Erinnerung und Beobachtung" im Haus 10 zu sehen ist. Vier Künstlerinnen, die schon häufiger gemeinsam gearbeitet haben, haben sich dafür zusammengefunden: Kristin Brunner, Sela Miller, Tatjana Utz und die im Mai verstorbene Silke Witzsch, von der einige bis dahin fertiggestellte Werke zu sehen sind.

Im Zentrum der Ausstellung stehen die Werke von Tatjana Utz, um die herum sich Installationen, Skulpturen und Texte gruppieren. Die Geschichte, die Utz erzählt, ist die ihrer verstorbenen Großmutter. Zwar sind es ihre ganz persönlichen Erlebenisse, die sie in verschiedensten Motiven darstellt. Doch schafft sie damit einen universellen Erfahrungsraum, den wahrscheinlich ein Großteil der Besucher teilen wird. Etwa, wenn sie vor dem Bild eines Regals voller Einmachgläser stehen.

Tatjana Utz beschäftigt sich mit der Geschichte ihrer Oma. (Foto: Günther Reger)

Nichts passiert auf dem Bild, nicht einmal ein Mensch ist zu sehen. Und doch passiert so viel. Der Betrachter geht im Kopf einen Schritt zurück, dreht sich um, findet sich plötzlich im Keller der eigenen Großmutter wieder. Möglicherweise ist er gerade dort, um sich noch ein Glas Marmelade als Dank für den Besuch auszusuchen oder Mandarinen für den Nachtisch zu holen. Und so wird jedes von Utz' Werken zu einer kleinen Zeitreise, aus der man sich fast mit Zwang losreißen muss, zurück ins Hier und Jetzt.

Die Großmutter der Künstlerin war allerdings auch eine Visionärin. In einer alten Metalkiste hat Utz zahlreiche Fotografien entdeckt: Über mehrere Jahrzehnte hat die Oma alle Kuchen, die sie gebacken hat, fotografiert und die Bilder gesammelt. Damit war sie quasi eine Vorreiterin der Sozialen Medien. In einem Plastiskop kann der Besucher einige der Fotos sehen, andere hat Utz in farbenfrohe Aquarelle verwandelt. Auf einem Tablet läuft zudem eine passende Diashow mit unterhaltsamen Zeichnungen.

Silke Witzsch zeigt Szenen, in denen der Betrachter durch eine Scheibe vom Geschehen getrennt ist. (Foto: Günther Reger)

Sela Miller ist keine bildende Künstlerin, sondern Autorin. Allerdings schafft sie es, ihre Texte so in die Ausstellung einzubinden, dass sie nicht nur das Gezeigte mit Worten unterstreichen, sondern selbst zu kleinen Kunstwerken werden. Die Tatsache, dass ihre Texte genau die gleichen Erlebnisse schildern wie Utz' Bilder, zeigt, wie ähnlich gewisse Rollen innerhalb einer Generationen ausgefüllt und gelebt werden - oder zumindest, dass es in der Eltern- und Großelterngeneration so war.

Einhergehend mit dem Großmutter-Motiv ist in der Ausstellung auch eine Beschäftigung mit dem Thema Tod und Erinnerung. Stärker noch als Utz und Miller bearbeitet Kristin Brunner dieses Thema. Sie ist in Deutschland geboren, aber halbe Mexikanerin. Mit dem Totenkult ihrer zweiten Heimat beschäftigen sich ihre beiden Skulpturen - schon die bunten Farben zeigen, dass jede Kultur anders mit dem Thema umgeht - gleich allerdings ist, dass jede Kultur einen Mythos rund um das Sterben und den Tod entwickelt.

Kristin Brunner mit dem mexikanischen Totenkult in Form einer Lebensbaum-Skulptur. (Foto: Günther Reger)

Die Fotoserie "Frontiera" von Silke Witzsch beschäftigt sich mit Grenzbereichen, die in ihren Bildern stets durch eine Glasscheibe dargestellt werden - auf dem Flughafen, im Hotel, als Blick auf ein Kreuzfahrtschiff. Stets unterteilt die Scheibe die Bilder in das "Hier" des Betrachters und das "Dort" dessen, was er sieht - was freilich wiederum auch eine Geschichte erzählt.

Ausstellung "Erzählte Moment", Haus 10 Fürstenfeldbruck, Vernissage am Freitag, 1. September, von 19.30 Uhr an. Danach zu sehen bis 17. September, freitags von 16 bis 18 Uhr und samstags und sonntags jeweils von 10 bis 18 Uhr

© SZ vom 31.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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