Frequenzwechsel:Weggebeamt

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Rockschallwelle: Das kommerzielle Formatradio bläst das Anfängerradio von M 94.5 von der Frequenz. So wird es der Medienrat am Donnerstag beschließen. Illustration: Hanna Eiden (Foto: Hanna Eiden)

Im Herbst verdrängt die Rockantenne wohl M 94.5 von seiner UKW-Frequenz, obwohl es der Studentensender lange geschafft hat, seine Hörer von den Socken zu hauen. Ein Vergleich zeigt: Das Privatradio ist solide, mehr nicht

Von Anna Hoben

Eine Liebeserklärung an M 94.5, ein paar Tage vor dem Valentinstag von einem Fan auf der Facebook-Seite des Senders gepostet: "Es war vor zwölf Jahren, ich zog vom Land in die große Stadt. In eine kleine Wohngemeinschaft. Es gab so ein kleines Radio in einer Ecke unserer Wohnküche. Eingestellt war eine Frequenz. Ein Sender, der sich nicht an Konventionen hielt, der nicht um die Gunst seiner Zuhörer buhlte. Der alles spielte, wobei euch mal der Ton für einige Sekunden verschwand. Ein Radio, das wegen seiner Fehler und Nicht-Perfektion so sympathisch normal wie ich selbst war und ist."

Dass M 94.5 so unkompliziert über das kleine Radio in der Küchenecke zu hören ist, damit wird es wohl bald vorbei sein. Diesen Donnerstag wird der Medienrat der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) offiziell beschließen, dass der Ausbildungssender seine UKW-Frequenz an den privaten Sender Rock-Antenne abgeben muss. Der Beschluss ist reine Formsache; das Gremium wird mit höchster Wahrscheinlichkeit der Beschlussvorlage seines Hörfunkausschusses folgen.

Seit die Pläne bekannt sind, herrscht in der Szene eine Stimmung, die am besten mit "sentimentale Schockstarre" beschrieben werden kann. So hat es eine junge Journalistin ausgedrückt, die mit M 94.5 sozusagen beruflich erwachsen geworden ist. Der Fan aus der WG-Küche schreibt weiter: "Das Erlöschen der UKW-Frequenz wird mich nicht abhalten, dich zu hören." Auch andere, die neu in die Stadt ziehen, könnten in Zukunft M 94.5 für sich entdecken. Online und im Digitalradio. Aber: Sie können nicht einfach "den Knopf am Radio in der Ecke anschalten, und das macht mich traurig. Danke, M 94.5 für eine wunderbar unvollkommene Zeit, die war und noch kommen wird."

Ein vormittägliches Doppel-Date ist also angebracht, mit M 94.5 und der Rock-Antenne. Was ist es, das den Jugendsender so "wunderbar unvollkommen" macht? Was ist dann die Rock-Antenne? Und wie hört sich das alles an? Also: Platz genommen, das Radio in der Wohnzimmerecke eingeschaltet und zugleich den Laptop aufgeklappt, wegen der Rock-Antenne, die bislang nur im Internet zu hören ist. Kurz vor halb zehn, M 94.5 bringt einen erst einmal zum Lachen. Es sei ja Valentinstag, sagt die Moderatorin, erfunden von MC Valentine, "als Diss gegen alle Singles". Mit dem ersten Satz, den man hört, ist gleich die Zielgruppe klar; als Ü-30-Mensch kommt man zum Glück gerade noch so mit. Es folgt: neue Musik von noch relativ unbekannten Künstlern verschiedenster Richtungen, Jamila Woods, The Gift , Little Simz.

Alle nie gehört, aber genau das ist ja das Schöne an einem Sender wie M 94.5. Dass man ständig neue Entdeckungen macht, weil da Menschen die ganze Zeit für einen auf der Jagd sind nach Neuem, Unerhörtem, Hörenswertem. Wenn man so eine Entdeckung macht, wird man kribbelig, man schaut dann im Netz in der Playlist nach, wie dieses sensationelle Lied heißt, dass da gerade gespielt wurde, und vielleicht schaut man auch gleich, ob diese Band vielleicht bald mal zu einem in die Nähe kommt, und wo man Karten dafür kriegt. Zwischendurch auf M 94.5 drei kurze Nachrichten: Streik in München, Polizei-Großeinsatz in Chemnitz, Trumps Sicherheitsberater zurückgetreten.

Fadeout, Wechsel, Rock-Antenne. Das geht ja gut los, mit Werbung nämlich. Media Markt, Hornbach, McDonald's. Dann: "Suffocate" von Sixx:A.M., ein Soloprojekt des Mötley-Crüe-Bassisten Nikki Sixx. Gute Automusik. Die Frühschicht-Sendung endet nun, über den Tag werden folgen: "Rock im Job", "Die rockigste Mittagspause der Welt", "Rock Antenne zum Feierabend", "Rock Antenne am Abend". "Bis morgen um sechs, in alter Frische", so verabschiedet sich der Moderator namens Barny. Spielt er deshalb als letztes Lied etwas von Sixx:A.M.? Weil es am nächsten Tag um sechs in der Früh wieder weitergeht für ihn? Das wäre irgendwie charmant und gewitzt, so gewitzt man als Moderator eben sein kann und darf bei einem Formatradio-Sender wie der Rock-Antenne. 47 Sekunden Nachrichten, dann Lynyrd Skynyrd, "Sweet Home Alabama". Man könnte ja fast glauben, Sender wie die Rock-Antenne hätten einen Vertrag mit der Band, in dem vereinbart ist, dass sie den Song einmal pro Stunde spielen müssen.

Es folgen: Bryan Adams und die Feststellung, dass "die Sonne lacht überm Freistaat, aber nicht nur hier, sondern für unsere Hörer weltweit". Vorhin hat einer geschrieben, er sitze in Thailand und genieße das Leben. Grüße nach München! Moderatorin: "Hört sich saugeil an. Thailand, Terrasse, Rockantenne, mehr braucht man nicht." Sie hätte gern noch mehr Hörerkontakt: "Wo sind Sie unterwegs, wo hören Sie Rock-Antenne, wo lassen Sie's krachen?" Bon Jovi, Sportfreunde Stiller, Guns'N'Roses. Dann gewinnt der Hörer Benjamin aus Hallbergmoos beim "Flatroulette": jede Woche einen Blumenstrauß für seine Frau, ein Jahr lang. Benjamin ist happy.

Auf M 94.5 gibt es ein Interview zum Thema Fake-News, hier zeigen sich die "wunderbare Unvollkommenheit" und der sympathische Charakter des Ausbildungssenders etwa daran, dass sich an einer Stelle Frage und Antwort überlagern. Es gibt weiterhin eine Menge neue, aufregende Musik - und am Ende, kurz vor dem Mittag, eine Überraschung: zwei Songs, die auch auf der Rock-Antenne laufen könnten, wenn sie nicht gelegentlich Verfremdungseffekte einstreuen würden. Bei der Rock-Antenne gibt es weiterhin: eine Menge Musik, die man genau so genau hier erwartet. Das ist die Zukunft für die UKW-Frequenz 94.5. Eine Zukunft, die solide und okay gemacht ist, aber eben auch: vollkommen überraschungsfrei.

© SZ vom 15.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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