Zertifizierung:Zu wenig Weitblick

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Warum sich Geschäftsleute vielleicht nicht ausschließlich auf junge, mobile Menschen konzentrieren sollten

Von Kerstin Vogel

Als eine Art Krönung ihrer Arbeit bewerten die Initiatoren von den Agenda-Projektgruppen die jetzt erfolgte Zertifizierung von acht Freisinger Betrieben als "besonders senioren- und behindertenfreundlich". Bei näherer Betrachtung aber hätte man den engagierten Bürgern bildlich gesprochen doch eine etwas größere Krone gewünscht. Wenn bei 150 angeschriebenen Geschäften in der Innenstadt nur zwölf überhaupt Interesse an dem neuen Zertifikat haben und allein vier davon gar nicht in der City, sondern im neuen Einkaufszentrum am Steinpark sitzen, dann wirft das schon Fragen auf.

Natürlich ist das richtig: In einem neuen Einkaufszentrum wie dem Freisinger Steincenter lassen sich die Kriterien für Senioren- und Behindertenfreundlichkeit leichter erfüllen als in den oft engen, verwinkelten Häusern im Zentrum. Für den Neubau im Norden der Stadt war Barrierefreiheit schließlich schon Bedingung, wohingegen so etwas wie Inklusion für die Planer der meisten Altstadthäuser eher ein Fremdwort gewesen sein dürfte. Trotzdem: Man hätte es doch wenigstens versuchen können. Hätte sich von den Initiatoren der Zertifizierung testen und an den Kriterien von Senioren und Menschen mit Behinderung messen lassen können - und wenn es nur wäre, um dann zu wissen, woran es fehlt, was man im Interesse einer echten, inklusiven Stadtgesellschaft besser machen könnte.

Einfach gar nicht zu reagieren, wie die große Mehrzahl der angeschriebenen Geschäftsleute, ist dagegen zum einen nicht gerade höflich und zeugt von Desinteresse. Zum anderen fehlt den Damen und Herren aus der City hier möglicherweise auch ein wenig der geschäftliche Weitblick. Denn damit haben die in den Agenda-Projektgruppen engagierten Bürger sicher recht: Die Kaufkraft der über 60-Jährigen dürfte in den kommenden Jahren immer interessanter werden, und wer sich rein auf junge und mobile Käufer ausrichtet, hat irgendwann vielleicht das Nachsehen.

© SZ vom 09.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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