Wohnungsmangel verschärft die Not:Rettungsanker Frauenhaus

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Die Bewohnerinnen im Frauenhaus Freising bleiben meist viel länger, als die im Konzept vorgesehenen sechs Wochen. Ursache dafür ist, weiß Leiterin Christina Mayer, der Mangel an günstigen Wohnungen. (Foto: Marco Einfeldt)

Über 200 Anfragen von Frauen mit Gewalterfahrung sind 2018 bei der Freisinger Anlaufstelle eingegangen, nur 17 konnten aufgenommen werden. Leiterin Christina Mayer wünscht sich deshalb Übergangswohnungen

Interview von Gudrun Regelein

Als Treffpunkt für das Gespräch schlägt die Leiterin des Frauenhauses die Diakonie vor. Im Frauenhaus gehe das nicht, der Standort müsse geheim bleiben, sagt Christina Mayer. Fünf Frauen und sieben Kinder leben dort im Moment. Eigentlich sei der Aufenthalt im Frauenhaus nur für einige Wochen gedacht - viele müssen aber länger bleiben, erzählt Mayer. Der Grund: "Die Frauen finden hier einfach keine bezahlbare Wohnung mehr."

SZ: Was haben die Frauen und ihre Kinder erlebt, die bei Ihnen Schutz suchen?

Christina Mayer: Unterschiedliche Gewaltgeschichten: Schläge, Würgen, verbale Gewalt - zumeist ist es eine laute Gewalt. Oft spielt auch der Missbrauch, teilweise auch am Kind, eine Rolle. Meistens fängt es im Kleinen an und steigert sich dann immer mehr. Viele Frauen erleben auch eine zunehmende Kontrolle, verlieren immer mehr ihr eigenes Leben, haben keine sozialen Kontakte mehr.

Aus dem Teufelskreis von Gewalt auszubrechen fällt vielen Frauen dennoch schwer?

Frauen brauchen eine gefestigte Persönlichkeit, um das zu schaffen. Vor allem diejenigen mit Kindern. Sie verlieren alles: ihr bisheriges Leben, ihre gewohnte Umgebung. Meist ist es ja auch so, dass der Mann sich entschuldigt, verspricht, dass es das letzte Mal war. Und viele Frauen klammern sich an die Hoffnung, dass tatsächlich alles wieder gut wird. Tatsächlich aber ist es so, dass die Abstände zwischen den Gewaltexzessen kürzer werden und die Gewalt sukzessive zunimmt. Trotzdem ist es irrsinnig schwer, den ersten Schritt zu machen und zu gehen.

Bei Ihnen werden die Frauen wieder stabilisiert. Wie geschieht das?

Jede Frau hat im Frauenhaus eine eigene Bezugsperson. Zu Beginn wird ganz viel über ihre Situation geredet. Es wird aber auch ein Sicherheitskonzept erstellt, der Umgang mit dem Handy wird genauso besprochen wie die Frage, was ist, wenn der Mann seiner Frau auflauert. Dann schauen wir natürlich auch, in welcher psychischen Verfassung sich die Frau, die oft über einen sehr langen Zeitraum hinweg häuslicher Gewalt ausgesetzt war, befindet. Falls notwendig, empfehlen wir ihr eine Therapie. Wir haben ein großes Netzwerk in Freising. Langfristiges Ziel ist die Eigenständigkeit der Frau, sie soll sich ein neues Leben aufbauen können.

Aber vielen gelingt das nicht, da sie nicht aus dem Frauenhaus ausziehen können und wesentlich länger, als vorgesehen, bleiben.

Ja, das stimmt. Eigentlich stehen sechs Wochen Aufenthalt im Konzept. Das finde ich zu kurz; drei bis vier Monate dauert es sicher, um sich wieder zu fangen. Ab neun Monaten wäre es dann aber an der Zeit, weiterzugehen. Die Frauen bräuchten dann ihr eigenes neues Leben. Dass sie dennoch länger bleiben, liegt daran, dass Frauen, die bei uns waren und alleinerziehend sind, bei den allermeisten Vermietern keine Chancen haben. Wir hatten tatsächlich eine Frau, die zwei Jahre bei uns blieb.

Was passiert, wenn sie keine eigene Wohnung finden?

Schlimmstenfalls kehren Frauen, die absolut keine Chance mehr sehen, zu ihren Männern zurück. Das passiert immer wieder. Auch die lassen wir gehen, aber sie können wiederkommen. Das ist für alle - für die Frauen, aber auch für uns - sehr frustrierend und ernüchternd.

Letztendlich werden aber doch auch Plätze belegt, die eigentlich von anderen Frauen gebraucht werden. Mussten Sie schon welche abweisen?

Ja, leider ist das so. Wir hatten im vergangenen Jahr über 200 Anfragen und konnten insgesamt 17 Frauen aufnehmen. Wir versuchen natürlich, in diesen Fällen weiterzuvermitteln und ein anderes Frauenhaus zu finden. Aber immer gelingt das nicht.

Wäre die Lösung ein größeres Frauenhaus?

Das wäre für den Landkreis definitiv wünschenswert. Ein ganz großes Wunschprojekt wären aber auch sogenannte Übergangswohnungen. Das sind Wohnungen, in denen Frauen noch für einige Zeit leben können und betreut werden. So etwas gibt es bereits in größeren Städten in Bayern. Vielleicht wäre dieses Projekt auch als Kooperation mit der Stadt denkbar.

Wie finanziert sich das Frauenhaus?

Wir bekommen einen Zuschuss vom Landkreis und einen vom Bayerischen Sozialministerium. Ein Eigenanteil von zehn Prozent kommt vom Träger, der Diakonie Freising. Vieles läuft über Spenden, denn die Gelder langen nicht aus, um ein gutes, ein wohnliches Frauenhaus zu haben. Viele Frauen kommen und haben gar nichts dabei. Wir können ihnen dann zumindest das Allernötigste, wie eine Zahnbürste, besorgen.

Das neue Jahr beginnt: was wünschen Sie sich?

Eigentlich hätte ich viele Wünsche ( lacht). Aber mein größter wäre ein neues Sicherheitskonzept für das Frauenhaus - beispielsweise mit Türschleuse und Videoüberwachung, aber auch der Einbindung der Nachbarschaft und der Gesellschaft. Es geht um ein Sichtbarwerden der Frauenhäuser. Ich würde mir wünschen, dass wir uns nicht mehr verstecken müssten, sondern öffentlich sagen können: "Hey, hier sind wir, hier können Frauen herkommen, wir schützen euch".

© SZ vom 31.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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