Wissenschaft:Große Auszeichnung

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Der Leiter des Lehrstuhls für Humanbiologie in Weihenstephan ist Teil eines internationalen Konsortiums, das die Rolle der Nerven für normale und krankhaft veränderte Dickdarmfunktionen erforschen soll

Von Petra Schnirch, Freising

Es ist ein großer Erfolg für Michael Schemann und die TU München (TUM): Der Leiter des Lehrstuhls für Humanbiologie in Weihenstephan ist Teil eines internationalen Konsortiums, das in den kommenden drei Jahren die Rolle der Nerven für normale und krankhaft veränderte Dickdarmfunktionen erforscht. Dieses Vorhaben wird vom US-Gesundheitsministerium mit 7,5 Millionen Dollar durch das staatliche "National Institute of Health" (NIH) unterstützt. Die Freude am Lehrstuhl ist groß. Es sei eine Auszeichnung, an einem NIH-geförderten Projekt mitzuarbeiten, sagte Schemann der SZ. "Die Genehmigungsquote ist extrem gering und daher ist es schon etwas Besonderes, dass ein Nicht-US-Wissenschaftler NIH-Geld erhält."

Das Bild zeigt die Antwort des Darms auf eine normale Dehnung: Dadurch wird der sogenannte peristaltische Reflex ausgelöst. Dieser besteht aus der koordinierten Aktivierung von Nerven im "Darmhirn". Die Sensoren, die diese wahrnehmen, leuchten gelb. Rot blitzen die aktivierenden und grün die hemmenden Nerven. Der Muskel zieht sich zusammen, das erkennt man an der Engstellung links und der Weitstellung rechts. Das Resultat ist ein Transport des Darminhaltes von links nach rechts. (Foto: Michael Schemann/TU München)

Wie wichtig dieses Projekt ist, zeigt diese Zahl: Mehr als ein Fünftel der Weltbevölkerung leidet nach Angaben der Forscher unter Funktionsstörungen im Dickdarm. Trotzdem sei deren Entstehung weitgehend ungeklärt, die Behandlung entsprechend schwierig. Die Folgen aber können gravierend sein: Störungen in der Nervenversorgung des Dickdarms machen die Wissenschaftler für chronische Verstopfung, Reizdarm und entzündliche Darmerkrankungen verantwortlich. Das Konsortium hat es sich zum Ziel gesetzt, optimierte Medikamente, aber auch Mikroimplantate zu entwickeln. An dem Projekt arbeiten elf Experten auf dem Gebiet der Neurogastroenterologie zusammen. Nur zwei von ihnen forschen nicht in den USA, neben Schemann ist das Simon Brookes von der Flinders University in Australien. Heutzutage seien Fortschritte bei komplexen Fragestellungen nur möglich, wenn mehrere Teams zusammenarbeiten und das Thema aus verschiedenen Richtungen beleuchten, erklärte Schemann. "Alle Teilnehmer kennen sich gut - man kann sagen, dass wir alle freundschaftlich verbunden sind." In Weihenstephan sind zwei weitere Mitarbeiter am Lehrstuhl eingebunden, darüber hinaus fördert das NIH eine Postdoc-Stelle, also einen wissenschaftlichen Mitarbeiter. Die Experimente werden in Weihenstephan stattfinden. Das übergeordnete Ziel des Forschungsprojekts bestehe darin, die Nervenversorgung des Dickdarms zu beschreiben und funktionell zu verstehen. "Das klingt zunächst einmal trivial", schilderte der Wissenschaftler. "Allerdings wird es kompliziert, wenn man im Detail ergründen möchte, welche Aufgaben die vielen Millionen Nerven im Dickdarm haben." Diese gehörten zu zwei großen Systemen. Zum einen bildeten sie die sogenannte Darm-Hirn-Achse, die Informationen zum Gehirn schickt und von dort zum Darm. Die meisten Nerven gehörten jedoch zum sogenannten Darmhirn, einem Nervensystem, das autonom Darmfunktionen reguliert. "Die einzelnen Projekte beschäftigen sich zum einen damit, eine Art Darm-Landkarte zu generieren, aus der hervorgeht, wohin bestimmte Nerven ziehen", erklärte Schemann weiter. Dadurch verstehe man besser, welche Funktionen unter normalen Bedingungen oder bei Patienten reguliert werden könnten. Mit der Frage, wie dies geschieht, beschäftigten sich Projekte, die die nervale Kontrolle der Muskulatur oder Schleimhaut untersuchen. Hier setze sein Lehrstuhl an.

Michael Schemann, Jahrgang 1956, leitet den Lehrstuhl für Humanbiologie an der TU München in Weihenstephan. Er ist Teil eines internationalen Konsortiums, das in den kommenden drei Jahren Dickdarmfunktionen erforscht. (Foto: Privat)

Die TUM-Forscher gehen der Frage nach, wie und welche Nerven Schleimhautfunktionen regulieren. "Das Besondere an unserem Projekt besteht darin, dass wir alle Experimente an Humanproben durchführen", erklärte Schemann. Die Präparate stammten aus der Chirurgie der Kliniken in Freising und Rechts der Isar, die ohnehin anfielen - "es wird also kein Stück Darm extra für uns entnommen".

Bei der Untersuchung verwenden die Forscher zwei Methoden, wie Schemann erläuterte. "Die erste besteht darin, dass wir mit optischen Methoden die Nervenzellaktivität in diesem Darmpräparat messen." Die zweite diene zur Messung der Schleimhautaktivität nach einer Dehnung. Nach einer Verlinkung beider Ergebnisse "können wir die Nerven definieren, die unter physiologischen Bedingungen eine der wesentlichen Dickdarmfunktionen kontrollieren". Bei Störungen komme es zu Verstopfung oder Durchfall. "Wenn man all das versteht, kann man gezielt neue Therapieoptionen formulieren und entwickeln."

Er sei vor etwa zwei Jahren zur Teilnahme aufgefordert worden, weil "wir als Einzige die Methoden beherrschen, um in menschlichen Darmproben derartige Messungen durchzuführen", sagte Schemann. Das Besondere an dem Konsortium sei die Fokussierung auf Humanproben. Die Ergebnisse hätten dadurch automatisch klinische Relevanz. Schemann geht davon aus, dass sich viele Folgeprojekte anschließen werden, um weitergehende Fragestellungen zu bearbeiten.

© SZ vom 15.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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