Vor dem Bürgerentscheid:Hellseher gefragt

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In Vötting streiten Gegner und Befürworter der Westtangente einmal mehr. Sie argumentieren sogar mit denselben Zahlen, doch eine Einigung ist nicht in Sicht

Von Kerstin Vogel

Durch die Tangente beeinträchtigt: Das Erholungsgebiet Vöttinger Weiher (Foto: FRS)

Wenn man doch nur eine Kristallkugel hätte. Ganz einfach könnte man ins Jahr 2035 blicken und würde sehen, ob sich die Westtangente - so sie denn gebaut wäre - tatsächlich zu einem Flughafenzubringer entwickelt hätte. Man könnte prüfen, ob die erwünschte Entlastung der Innenstadt vom Verkehr eingetreten wäre. Oder ob die Regel, dass neue Straßen neuen Verkehr anziehen, doch zutreffend ist. Man wüsste, ob die Stadt wirklich nur 17 der insgesamt 83 Millionen Euro hätte bezahlen müssen oder - wenn man korrekterweise die Kreisumlage und den Beitrag der Stadtwerke einbezieht - noch einmal 6,7 Millionen dazu. Oder vielleicht auch noch viel mehr, wie die Kritiker der umstrittenen Umgehungsstraße unablässig warnen.

Leider aber verfügt niemand in Freising über so eine Kristallkugel und weil es mit der Hellseherei in der Domstadt auch ansonsten nicht weit her ist, musste am Donnerstagabend im Vöttinger Sportheim wieder einmal gestritten werden. Benno Zierer, Stadtrat und Landtagskandidat der Freien Wähler, hatte das Thema für den Abend festgesetzt - natürlich mit Blick auf den im Herbst anstehenden Bürgerentscheid zur Westtangente und natürlich auch, weil das Wahlvolk schon wissen darf, dass er, Zierer, für die seit mehr als 40 Jahren kontrovers diskutierte Umfahrung ist.

Dass er da unter den Vöttingern kaum Mitstreiter finden würde, war zu erwarten. Wer in dem Stadtteil nahe an der Trasse lebt, kann das Projekt unmöglich befürworten, so ehrlich muss man sein. Im Internet findet sich eine 3-D-Simulation, die verdeutlicht, wie immens die Einschnitte durch die Straße sind, doch auch ohne das kann man sich vorstellen, dass eine Tangente, die einen Stadtteil quasi durchschneidet, auch dann hohe Belastungen an Lärm und Abgasen mit sich bringt, wenn sie teilweise im Tunnel verläuft. Auch Zierer mochte das nicht in Abrede stellen, ebenso wenig wie eine starke Beeinträchtigung des Erholungsgebietes rund um den Vöttinger Weiher.

Doch auf der anderen Seite sind die Freisinger, die da wohnen, wo sich heute die Verkehrslawinen tagtäglich vorbeiwalzen: an der Mainburger Straße, an der Karlwirtkreuzung, schlimm zu jeder Tageszeit, besonders schlimm morgens, mittags und abends. Unerträglich nennen sie die Situation, speziell wenn sich zu allem anderen auch wieder zahllose Lastwagen durch das Nadelöhr Freising quälen. Auch hier muss man ehrlich sein: Auch diese Anwohner haben recht. Sie versprechen sich Entlastung von der Westtangente, hoffen, dass sich der Schwerlastverkehr und die Blechlawinen aus der Hallertau künftig außen an Freising vorbei in Richtung B 11 wälzen.

Interessanterweise berufen sich beiden Seiten stets auf dieselben Gutachten, die Prognosen von Professor Harald Kurzak, die bis 2035 reichen und laut den Gegnern beispielsweise belegen, dass mit einer Westtangente bis zu 30 Prozent mehr Verkehrsteilnehmer in Allershausen von der Autobahn fahren - weil die Umgehung eben doch die Funktion eines Flughafenzubringers erfüllt. Indiz dafür mag übrigens auch sein, dass die Flughafengesellschaft fünf Millionen Euro zu dem Projekt beisteuert, aber das nur am Rande. Außerdem besagt das Gutachten, dass 70 bis 80 Prozent des Verkehrsaufkommens in der Stadt so genannter Ziel- und Quellverkehr ist, der eine Umfahrung eben nicht benutzen würde - genau die verbleibenden 20 bis 30 Prozent aber sehen die Befürworter künftig auf der Westtangente und sprechen deshalb von einer Entlastung für die Innenstadt.

Vielleicht ist es tatsächlich so, dass Zierer recht hat, wenn er die Westtangente "nicht die optimale, aber eine der besten Lösungen" nennt. Die Frage ist nur, ob man dafür so viel Geld in die Hand, so viel Naturzerstörung in Kauf nehmen soll. Entscheiden sollen das im Herbst die Freisinger. Ach, wenn man nur eine Kristallkugel hätte.

© SZ vom 03.08.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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