Voll ausgelastet:Viel lernen, hart arbeiten

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Etwa 420 Flüchtlinge im Landkreis Freising sind im passenden Alter für eine Ausbildung. Die Berufsschule nimmt so viele wie möglich auf, um sie darauf vorzubereiten, stößt allerdings an ihre Grenzen

Von Clara Lipkowski, Freising

Eigentlich wollte Mohammad Saidi in seiner Heimat Afghanistan Zahnarzt werden. Er hatte die Schule nach zwölf Jahren abgeschlossen und bereits ein Jahr an der Uni studiert. Dann musste er Hals über Kopf das Land verlassen. "Mein Leben war in Gefahr", sagt der 20-Jährige, "ich konnte nicht bleiben". Genaueres will er darüber nicht sagen, er hat Angst, damit seine Familie, die noch in Afghanistan ist, in Schwierigkeiten zu bringen.

Nach Deutschland habe er eigentlich nicht gewollt, sagt er. Zu schaffen mache ihm daher, dass er sich ständig rechtfertigen müsse - nein, er sei nicht gekommen, um einfach nur ein besseres Leben zu haben. Deswegen wolle er jetzt viel lernen, hart arbeiten und einen guten Job finden, sagt er. Stolz zeigt er Schulzeugnisse und Zertifikate über Englischtests. Fast alle bekunden: "Bestanden mit Auszeichnung." Mittlerweile ist Mohammad Saidi einer von etwa 100 Berufsschülern, die das Förderangebot der Berufsschule in Freising nutzen, die sogenannte Berufsintegrationsklasse, kurz BIK. Denn angekommen in Bayern, muss Mohammad, wie die meisten Flüchtlinge, erst mal Deutsch lernen. Im nächsten Jahr kommen in der BIK Fächer wie Mathe, Datenverarbeitung und Soziales hinzu. Die sollen ihn auf eine Ausbildung vorbereiten, denn schließt er die BIK ab, erhält er einen Mittelschulabschluss und kann Azubi werden. "Mein Ziel, Zahnarzt zu werden, habe ich aber noch nicht aufgegeben", sagt Mohammad, "vielleicht kann ich anschließend studieren".

Mohammad hat den Einstieg in das deutsche Ausbildungssystem geschafft. Grundsätzlich sind jugendliche Flüchtlinge im Asylverfahren genauso schulpflichtig wie deutsche Schüler auch, mindestens bis sie 15 sind. Wer dann keinen höheren Abschluss anstrebt, lernt in der Berufsschule bis zum Abschluss. Von den etwa 2200 Flüchtlingen im Landkreis sind derzeit etwa 420 in dem Alter, eine Ausbildung zu machen, also zwischen 16 und 21 Jahren. Derzeit haben aber etwa nur 100 einen Platz an der Berufsschule.

Dort kümmert sich Christine Höfler um Asylbewerber, die auf eine Ausbildung zusteuern. "Wir wollen so viele Flüchtlinge bei uns aufnehmen, wie möglich. Hat jemand nie eine Schule besucht, ist es allerdings schwierig, ihn in unser Bildungssystem zu integrieren, da müssen wir manchmal ablehnen." Zudem komme die Berufsschule irgendwann an personelle Grenzen.

Flüchtlinge, die derzeit nicht aufgenommen werden, müssen sich anderweitig um Deutschkurse bemühen. "Einige gehen zu anderen Schulen, etwa zur Mittelschule", sagt Höfler, "oder besuchen bei der VHS Deutschkurse. Dann können sie sich jedes halbe Jahr neu für die BIK oder die Berufsschule bewerben".

Masoud Hurik kam vor knapp drei Jahren aus Syrien nach Deutschland. Er ist Azubi im zweiten Lehrjahr und damit einer von elf Flüchtlingen in diesem Schuljahr. Vor der Ausbildung hat er einen langen Deutschkurs bei der VHS Erding gemacht und so die BIK ausgelassen. Nun will er im nächsten Jahr unbedingt die Ausbildung zum Anlagenmechaniker abschließen, deswegen heißt es für ihn, lernen, lernen, lernen. "Die Ausbildung ist sehr anstrengend, der Stoff ist schwierig und viel", findet Masoud, seinem Hobby, dem Fußballspielen, könne er deswegen nicht mehr nachgehen. "Aber Lehrjahre sind halt keine Herrenjahre", sagt er und grinst.

Der 24-Jährige hatte in Syrien sechs Jahre lang die Schule besucht und dann als Anlagenmechaniker gearbeitet. In Deutschland musste er von vorne anfangen, Zeugnisse hatte er keine. "In Syrien haben wir nicht die Bürokratie wie in Deutschland, willst du hier als Fachkraft anerkannt werden, musst du einen Abschluss haben." Also paukt er Instandhaltung, Elektrik und, natürlich, weiter Deutsch. Inzwischen spricht er die Sprache nahezu fließend. Angesprochen auf seinen bayerischen Dialekt, bedankt er sich breit grinsend.

Sein Schulfreund und Arbeitskollege Mahmud N. (Name geändert) hat ähnliche Erfahrungen gemacht. Der 23-jährige Afghane konnte nach seiner Ankunft in Deutschland vor knapp vier Jahren schnell durch ehrenamtliche Helfer Kontakt zu Berufsschule knüpfen und Deutschkurse besuchen. Nach einen Berufsvorbereitungsjahr der Arbeitsagentur für junge Menschen ohne Abschluss startete er bald die Ausbildung mit Masoud. Heute spricht er problemlos Deutsch und spielt mit bayerischen Wörtern wie "mir san" in seinen Sätzen. Grüßt man ihn, entgegnet er selbstverständlich "Grüß Gott" und amüsiert sich blendend. Das Pauken falle ihm zwar manchmal noch schwer, sagt er, besonders in der Fachsprache. "Aber da haben selbst unsere deutschen Klassenkameraden Probleme." Das werde schon, findet er.

Wie Mohammad, haben auch Masoud und Mahmud Anschluss gefunden. Auch wenn sie Musterbeispiele zu sein scheinen, Christine Höfler von der Berufsschule ist optimistisch: "Angenommen, der Zuzug von Flüchtlingen bleibt im nächsten Jahr so niedrig wie jetzt, dann können wir alle Bewerber aufnehmen." Damit wäre eine Grundausbildung für die Jugendlichen im deutschen Schulsystem gewährleistet.

© SZ vom 15.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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