Überforderte Eltern in Landkreis Freising:60 Pflegefamilien sind zu wenig

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Laut Jugendamtsleiterin Arabella Gittler-Reichel wären etwa 100 Bewerber nötig, um den Bedarf zu decken. Weil oft beide Elternteile arbeiten, bleibt kaum mehr Zeit, sich um ein Pflegekind zu kümmern

Von Gudrun Regelein, Freising

Es ist eine Entscheidung, die Jugendämter nur dann treffen, wenn sie keine andere Möglichkeit sehen. Bei "dringender Gefahr für das Wohl des Kindes" werden Kinder aus ihrer Familie geholt und in einer pädagogischen Einrichtung untergebracht - oder sie kommen in eine Pflegefamilie. Gründe, dass Kinder nicht mehr in der eigenen Familie leben, gibt es auch andere: Überforderung der Eltern oder eine Suchterkrankung beispielsweise. Die Zahl der Kinder und Jugendlichen in Pflegefamilien ist in Deutschland in den vergangenen Jahren stark angestiegen: 2017 waren es etwa 81 000 Kinder und Jugendliche, die nur für einige Wochen oder aber für viele Jahre in einer anderen Familie leben. Allerdings wird es zunehmend schwierig, für diese eine geeignete Familie zu finden. Im Landkreis Freising gibt es derzeit etwa 60 Pflegefamilien. "Aber eigentlich bräuchten wir mehr, um den Bedarf zu decken", sagt Arabella Gittler-Reichel, Leiterin des Jugendamtes in Freising. "100 wären sehr schön."

Gründe gebe es viele, weshalb sich immer weniger Familien entscheiden, ein Kind oder einen Jugendlichen aufzunehmen. Das könne die knappe räumliche Situation sein, sagt Gittler-Reichel. Andere wollten nicht einsteigen, da die Betreuung eine sehr herausfordernde Tätigkeit sei. "Das betrifft die ganze Familie, man muss bereit dafür sein." Ein weiterer Grund könne sein, dass in immer mehr Familien beide Elternteile arbeiten - Zeit für ein Pflegekind bleibe da keine.

2015 lebten noch 124 Kinder und Jugendliche im Landkreis bei einer Pflegefamilie. Damals hätten sich viele Familien gemeldet, die einen unbegleiteten minderjährigen Flüchtling bei sich aufnehmen wollten. Seitdem sei die Zahl allerdings stark gesunken, berichtet Gittler-Reichel. Im vergangenen Jahr lebten noch 80 Kinder und Jugendliche in einer Vollzeitpflege. "Alle aber bringen eine Vorgeschichte mit", sagt sie. Familien müssten sich darauf einlassen, das sei - gerade bei älteren Jugendlichen - nicht immer einfach. "Ein Pflegekind aufzunehmen ist ein einschneidender Schritt und muss gut überlegt werden", betont die Jugendamtsleiterin. Falls sich die Situation in der eigenen Familie stabilisiere, werde das Kind mit Unterstützung des Jugendamtes zurückgeführt. Manchmal aber bleibe es viele Jahre lang in der Pflegefamilie - dort werde die Situation dann jedes Jahr aufs Neue vom Jugendamt überprüft.

Neben der Vollzeitpflege gibt es noch die Bereitschaftspflege, die normalerweise nur bis zu vier Wochen läuft. Bei dieser stehe eine Familie sofort zur Verfügung, um ein Kind aufzunehmen. Notwendig werde das bei einer Inobhutnahme oder beispielsweise, wenn eine alleinerziehende Mutter ins Krankenhaus muss und niemanden hat, der sich in dieser Zeit um das Kind kümmert. Ein fester Kreis aus etwa zehn Familien leiste das im Landkreis. "Wir sind sehr froh, sie zu haben", betont Gittler-Reichel.

Familien, bei denen Kinder und Jugendliche für nur wenige Wochen oder viele Jahre lang leben, müssen aber neben dem notwendigen Platz andere Voraussetzungen erfüllen. So darf ihr Einkommen beispielsweise nicht nur aus dem Pflegegeld bestehen. Das erziehende Elternteil muss gesundheitlich in der Lage sein, sich um das Pflegekind zu kümmern. Außerdem sei ein erweitertes Führungszeugnis notwendig. "Und natürlich die Bereitschaft, ein anderes Kind in der eigenen Familie aufzunehmen." In Gesprächen werde überprüft, ob die Erwartungen der Familie sich mit denen des Jugendamtes decken. Die Entscheidung werde dann gemeinsam von der Familie mit dem Jugendamt getroffen. Aber auch später werden die Familien nicht alleine gelassen: Fachkräfte vom Jugendamt betreuen diese. Zudem kann eine Pflegefamilie an einer Supervisionsgruppe teilnehmen. Bei den regelmäßigen Treffen werden schwierige Situationen mit Pflegekindern unter fachlicher Anleitung reflektiert. Oder sie suchen sich Unterstützung bei einem Coaching der Caritas Freising.

© SZ vom 12.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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