Tauschring Freising:"Lebenszeit ist bei jedem gleich viel wert"

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Beim Tauschring Freising kommt man ohne Geld aus. (Foto: Marco Einfeldt)

Die Mitglieder des Tauschrings Freising treffen sich regelmäßig im Raum der Begegnung. Ihr Ziel ist es, einen Ausgleich im Geben und Nehmen zu erreichen - ohne Geld. Im Kleinen funktionoiert das schon ganz gut

Von Rebecca Seeberg, Freising

Angebote, wie zum Beispiel ein Caravan Stellplatz im Westerwald, Fahrradreparaturen, Seniorenbetreuung und noch vieles mehr findet man auf der Online Plattform AcrossLETS. Hier wird Menschen die Möglichkeit geboten, ihre Fähigkeiten oder Güter auszutauschen - auf überregionaler Basis. Der Wert der jeweiligen Leistung oder Ware wird in der Verrechnungseinheit Crossy festgelegt, also einer Währung für Tauschgeschäfte.

Auch in der Domstadt wird munter getauscht. Im Gegensatz zu anderen lokalen Tauschringen, die sich intern und mit eigener Währung organisieren, gehört der Tauschring Freising zu dem überregionalen AcrossLETS. Trotzdem treffen sich die Freisinger Mitglieder nicht nur online, sondern auch regelmäßig im Raum der Begegnung. Lutz Jaitner, Dorina Schlupper und Helga Pahlke haben die Gruppe 2009 gegründet. Tauschringe bringen die Menschen wieder zusammen, das ist Jaitners Überzeugung. Geld anonymisiere dagegen viele Prozesse. "Die Menschen helfen sich nicht mehr gegenseitig, wie früher in den Dorfgemeinschaften, weil das Geld immer als Mediator gebraucht wird."

Dadurch fänden Angebot und Nachfrage nicht mehr zusammen. Hier springe das System der Tauschringe ein. Für viele Menschen biete es den idealen Raum, um Waren, aber vor allem Dienstleistungen ohne viel Bürokratie anzubieten, sowie diese auch in Anspruch zu nehmen. "Die Idee ist, dass wir untereinander Lebenszeit tauschen", schildert der Experte, "und die ist bei jedem gleich viel wert."

Gerade im lokalen Bereich beruhe das System auf persönlichen Banden. "Das ist ja nicht unbedingt nur nachteilig, sich einbringen zu müssen. Manche kranken ja im wahrsten Sinne des Wortes daran, dass sie sich nicht einbringen können", sagt Jaitner. Der erste Tauschring sei 1982 in Kanada gegründet worden, erzählt Dorina Schlupper. Damals habe eine große Firma Insolvenz anmelden müssen, wodurch viele der dort Beschäftigten ihren Arbeitsplatz verloren hatten. Aus der Not heraus sei das erste LETS (Local Echange Trading System) entstanden. Von da an habe sich die neue Idee auf der ganzen Welt verbreitet, so auch in Deutschland. Mittlerweile gebe es hier zwischen 350 und 400 verschiedene Tauschringe, so Schlupper.

Jaitner ist davon überzeugt, dass LETS auch im großen Stil verwirklicht werden könnte. "Geld ist von seiner Funktion her nichts Verkehrtes. Das Problem ist, dass es die Eigenschaft hat, aufgrund seiner unbegrenzten Verfügbarkeit nach oben abzufließen und gar nicht mehr beim Volk ankommt", erklärt er und führt seinen Gedanken weiter, "durch den Tauschring soll ein Ausgleich im Geben und Nehmen ermöglicht werden." Die Bemühungen, im Kapitalmarkt leistungslos an Geld zu kommen, indem man mit Kapital selber Geschäfte macht, sei hier nicht möglich. Denn ab einer gewissen Anzahl von eingeforderten Leistungen muss im Crossy-System eine Gegenleistung erbracht werden.

Aufgrund der Popularität von AcrossLETS gibt es mittlerweile sogar ein spezielles Rentenkonto, das von der sonst geltenden Umlaufssicherungsgebühr ausgenommen ist. Nach langjähriger Erfahrung sieht Dorina Schlupper die Tauschringe dennoch eher als Ergänzung und nicht als Ersatz zu unserem Wirtschaftssystem. "Im Kleinen funktioniert es, aber man merkt auch, dass es einen Mangel an essenziellen Angeboten gibt, wie dem Wohnen auf Tauschbasis." Auch die industrielle Welt sei nur in geringem Maße vertreten. Auf lokaler Basis hätten sich Dienstleistungen wie Reparaturen am Auto, oder dem Computer, Nachhilfe, Wellness, Babysitten etc. bewährt. Auf der Online Plattform AcrossLETS findet man schon gewagtere Tauschgeschäfte wie das Vermieten eines Kranes, einer Finca auf Mallorca und sogar die Suche eines Freisinger Ehepaars nach einer Wohnung auf Tauschbasis. Für die angebotenen Leistungen ist jeder selber verantwortlich. "Die Regularien des Wirtschaftslebens gelten selbstverständlich auch für den Tauschring", versichert Jaitner.

Im Tauschring Freising werde jeder gleich entlohnt, erklärt er. Zwölf Crossys pro Stunde werde für jede Leistung bezahlt. Anfallende Kosten, wie beispielsweise Backzutaten, werden allerdings in Euro berechnet. Der Tausch findet nicht direkt statt, sondern ein Leistungserbringer kann sich von einem beliebigen anderen Teilnehmer eine Gegenleistung erbringen lassen. Regelmäßig treffen sich die Mitglieder des Tauschring Freising im Raum der Begegnung gegen einen Mitgliedsbeitrag von zehn Euro im Jahr. Gemeinschaft wird hier großgeschrieben. Jeder Einzelne bringt sich bei den Treffen mit Vorträgen oder einem selbst gebackenen Kuchen ein und immer wieder unternimmt die Gruppe etwas zusammen.

Das innovative System könnte sich auf Dauer als äußert relevant erweisen, vermutet Jaitner. Denn dort, wo es der Wirtschaft schlecht geht, gewännen die Tauschringe immer mehr an Bedeutung. "Das sieht man zum Beispiel gerade in Griechenland. Dort bleibt der Bevölkerung teilweise gar nichts anderes übrig, als zu tauschen", weiß er zu berichten. "Es ist wichtig diese Basisfähigkeit zu erhalten, da auch wir nicht vor der Armut gefeit sind."

Mehr Informationen unter www.tauschring-freising.de. Interessierte sind zu den Sitzungen des Tauschrings Freising jeden zweiten Montag im Monat zwischen 19 und 22 Uhr im Raum der Begegnung im Haus der Vereine willkommen.

© SZ vom 28.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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