SZ-Serie: Die ganze Welt in Freising:Nicht sicher, sondern "eher flüssig"

Lesezeit: 3 min

Niall Palfreyman lebt seit 25 Jahren in Deutschland. Die deutsche Sprache fasziniert ihn immer noch - und er bricht gerne die Regeln. (Foto: Einfeldt)

Der Engländer Niall Palfreyman lebt seit mehr als einem Vierteljahrhundert in Deutschland. An seiner Wahlheimat schätzt er beispielsweise das Verantwortungsbewusstsein der Menschen, mit seinem englischen Humor aber eckt er bis heute manchmal an

Von Katharina Aurich, Freising

Der Mathematiker Niall Palfreyman kam 1989 nach Deutschland, vor über einem Vierteljahrhundert also, doch als "braver Engländer" verstoße er immer noch gerne gegen Regeln, sagt er. Diese Eigenschaft sorge zwar für spontane Ideen, die andere auf neue Gedanken bringen würden, sei aber für seine Kollegen im Fakultätsrat an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf (HSWT) manchmal auch belastend, räumt er ein.

Glücklicherweise gingen diese jedoch "herrlich mit seinem Anderssein" um, schildert Palfreyman, der auch Frauenbeauftragter der Fakultät ist - das allerdings nur übergangsweise, weil es an seiner Fakultät für Biotechnologie und Bioinformatik bisher wenig Wissenschaftlerinnen gab. Der Mathematiker ist außerdem Inklusionsbeauftragter und Didaktikmentor der Hochschule.

Seine Heimat verließ Palfreyman wegen seiner deutschen Frau, die er in Aberdeen kennengelernt hatte, denn sie zog es zurück zu ihrer großen Familie nach Bayern. Die ersten Jahre waren für den studierten Mathematiker und Physiker nicht einfach. Er hatte zwar schon als Schüler eine enge Beziehung zur deutschen Sprache, belegte das Fach im Abitur und promovierte nach seinem Studium in Leicester, aber damals wurden seine Qualifikationen in Deutschland noch nicht anerkannt, da sich die zwei Bildungssysteme sehr unterschieden.

Der Naturwissenschaftler arbeitete einige Jahre in der Privatwirtschaft und kam dann 2000 als Professor an die HSWT, wo er die Fächer Mathematik und Simulation biologischer Systeme sowie Teamarbeit unterrichtet. Auch nach 25 Jahren "ist es für mich nicht selbstverständlich, dass alles, was ich sage, von meinem deutschen Gesprächspartner so verstanden wird, wie ich es meinte". Immer wieder komme es vor, dass er Fehlkommunikationen klären müsse. Die englische und deutsche Sprache seien in bestimmten Aspekten sehr verschieden und sie hätten tendenziell unterschiedliche Stimmungen. Im Deutschen würden oft Substantive verwendet, zum Beispiel: "Ich habe eine Entscheidung getroffen." Im Englischen dagegen heiße es eher: "Ich habe mich entschieden."

Für Deutsche sei die Welt oft täuschend sicher, für Engländer eher flüssig, schildert der Naturwissenschaftler weiter. Nicht nur aufgrund der sprachlichen Unterschiede habe er sich anfangs schwer getan in Deutschland heimisch zu werden. Vor allem der englische Humor sei ganz anders als der deutsche, manchmal beleidige er sogar jemanden, ohne es zu bemerken. Er liebe Wortspiele, stoße damit aber oft auf Unverständnis bei deutschen Gesprächspartnern, beschreibt Palfreyman.

Aber "ich genieße die deutsche Sprache", beispielsweise das Wort "doch", das gebe es nicht auf Englisch, oder "anbaggern" - ein Wort, dessen aggressiver Unterton genau beschreibe, was Männer oft tun würden. Die beiden Kinder des Mathematikers und seiner Frau, Lehrerin für Religion und Englisch, wuchsen zweisprachig auf. Die Zweisprachigkeit habe große Vorteile, zum Beispiel werde das Abstraktionsvermögen von Kindern sehr früh angeregt. Für ein zweisprachiges Kind sei "Stuhl" nicht das vierbeinige Ding neben dem Tisch, sondern nur der deutsche Name für dieses Ding, im Gegensatz zum englische Namen "chair", erläutert der Hochschullehrer. Englisch war für seine Kinder die Sprache, die zu Hause gesprochen wurde, Deutsch außerhalb - im Kindergarten, in der Schule und mit Freunden. Aber sie mussten auch lernen, sozial aufmerksam zu sein und darauf zu achten, dass es andere verstünden, wenn sie Englisch redeten.

Auf die Frage, was er in Deutschland vermisse, fällt dem Wissenschaftler als erstes der typisch englische "Marmite"-Brotaufstrich aus Hefe und Salz ein, aber ihm fehlen auch die Pubs, in denen Musik gemacht wird. Der 58-Jährige ist Musiker, spielt Gitarre und singt, über soziale Themen und lustige Lieder. "Das kann ich hier nicht machen, die Leute verstehen oft den Clou nicht", sagt Palfreyman, der einige Wochen im Jahr in seinem Haus in Bath in England verbringt. Mit seiner Freisinger Band "Riverrun" spielt er regelmäßig in Lerchenfeld zum Volkstanz auf. "Es ist manchmal schwierig, Menschen klar zu machen, wie viel Spaß das Tanzen macht." Irritiert werde er gefragt, ob es sich um Tanzunterricht handele, aber es gehe nur darum, gemeinsam Freude zu haben.

Außerdem singt Palfreyman im Chor "Freysing Larks" und spielt auf der Gitarre türkische Musik zum Theaterstück "Ali, der Meisterdieb" der Gruppe Opodeldok zusammen mit einer Flötistin und einem Trommler aus Nigeria. Natürlich schätze er vieles an seinem Leben in Deutschland, so Palfreyman, insbesondere auch die sehr deutsche Einsicht, dass der Mensch in eine Gesellschaft eingebunden ist, der er Verantwortung schulde. So etwas wie Mülltrennung würde in England nur schwer funktionieren, ist sich Palfreyman sicher. Auf die Frage, wo er lieber lebe, sagt der Mathematiker und Musiker, dass er in seinem Ruhestand am Liebsten eine Hälfte des Jahres in seinem Haus in Bath und die andere in Freising verbringen wolle.

© SZ vom 06.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: