SZ-Interview:"Die Leute wissen selbst, was sie brauchen"

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Da geht es rein: Freisings VHS-Leiter Oliver Dorn vor der Volkshochschule an der Kammergasse im Gespräch mit Hannah Magerle (links) und Dajana Kojic. (Foto: Einfeldt)

VHS-Leiter Oliver Dorn über soziales Miteinander, neue Bildungstrends und sinnlose Forderungen der Krankenkassen

Interview von Alexandra Vettori, Freising

Die Freisinger Volkshochschule (VHS) gibt es seit 1948. Die Stadt unterstützt die Bildungseinrichtung, zuletzt im Jahr 2015 mit 215 000 Euro bar und natürlich der kostenlosen Nutzung der Räume, auch des eigenen VHS-Hauses an der Kammergasse. Pro Semester nehmen 5200 Menschen am Kursbetrieb teil, allein im vergangenen Semester haben 1600 Teilnehmer 18 Sprachen gelernt, 1350 waren bei Gesundheitskursen dabei, der Rest verteilt sich auf die Bereiche Gesellschaft, Kultur und Beruf. Es gibt eine Sommerakademie, ein Film-Café im Neufahrner Cineplex, einen Literaturgesprächskreis, es gibt die junge VHS mit Angeboten für Kinder und Jugendliche. Die Zahl der Teilnehmer hat im Vorjahr leicht abgenommen, einen Trend kann man daraus aber auf keinen Fall ablesen, wie Leiter Oliver Dorn im Gespräch mit der Freisinger SZ sagt.

SZ: Das Internet ist voll mit Tutorials, in denen man auch die exotischsten Tätigkeiten lernen kann. Braucht es eine Volkshochschule heutzutage überhaupt noch?

Dorn: Viele meinen, sie sind gebildet, wegen der App oder weil sie alles im Internet nachschauen können. Ich bin nicht dafür, dass Lernen anonymisiert wird, denn es dient auch vortrefflich dazu, das soziale Miteinander zu fördern. Wir bieten zwar auch Online-Kurse an, da bekommt man dann Aufgaben, die man abarbeitet. Aber da gibt es eine Lehrkraft, die kommunizierend beiseite steht.

Die Volkshochschulen sind gegründet worden, um auch sozial Benachteiligten, der Arbeiterschaft, Zugang zur Erwachsenenbildung zu ermöglichen. Heute bietet die VHS Kurse an, wie Chanten, "Glücklich zum Wunschgewicht" und Comiczeichnen für Jugendliche. Liegt da noch ein Bildungsauftrag zugrunde?

Ja. Die Frage ist, was ist Bildung? Ich habe den Wunsch, etwas zu lernen, gemeinsam mit anderen. Und wenn ich Comiczeichnen lernen möchte, wo soll ich da hingehen? Oder Chanten. Das haben wir seit vielen Jahren, die Menschen treffen sich, singen religiöse Lieder, und dabei wird eine Stimmung erzeugt, die ihnen gut tut. Natürlich gibt es Trends im Angebot, aber man kann ja nicht für jedes Thema einen Verein gründen. Mit uns besteht die Möglichkeit, so etwas zu lernen. Das auch noch zu günstigen Preisen, dank der kommunalen Zuschüsse. Vom Freistaat erhalten wir übrigens 50 000 Euro, vom Bund bekommen Volkshochschulen generell nichts, das bleibt alles an den Kommunen hängen.

Die VHS wird gerne als Abbild unserer Gesellschaft gesehen, tun Sie das auch?

Nein. Schon allein deshalb, weil die Frauen 80 Prozent unserer Teilnehmer stellen, also kann es schon mal kein Abbild sein. Bei den Kursangeboten allerdings greifen wir schon gesellschaftliche Strömungen und Moden auf. Die Volkshochschule ist da oft eine Plattform, die initiiert etwas, gibt den Menschen die Möglichkeit, hier die Grundlagen für etwas zu legen, was sie dann anderswo weiter entwickeln.

Was ist der nächste Trend?

Neue Kurse? Wo soll ich anfangen: Fan-Teng Gong, eine neue Form des Qi Gong, Mama Fitness, Chakren-Meditation, Gewürze entdecken, Kinderbuch-Illustration, Lachyoga, syrische Küche, Digitalisierung von Schallplatten und CDs, E-Mail-Management und glückliche Hühner in unserem Garten. Nein, echt, da ist der Vorsitzende des Geflügelzüchtervereins auf mich zugekommen, weil immer mehr Menschen Hühner halten, aber nicht mehr wissen, wie das geht. Oma weiß es noch, der Enkel nicht. Wir werden pausenlos angefragt, das ganze Jahr über, so soll es sein, wir bieten die Plattform, wir initiieren.

Was sind die am stärksten nachgefragten Angebote?

Wir haben zwei starke Säulen, das sind die Sprachen und der Gesundheitsbereich. Bei den Sprachen spielen die Deutschkurse für Flüchtlinge und Migranten derzeit eine große Rolle, die übrigen Sprachen sind stabil. Bei jüngeren Menschen sind sie zwar nicht mehr so gefragt, dafür im Businessbereich. Ein sehr florierender Bereich ist die Gesundheit. Da muss ich die Frauen loben, weil sie sehr engagiert sind, da ist ein großes Interesse da an dem, was ihnen gut tut.

Seit Anfang des Jahres bezuschussen die Krankenkassen nur noch, wenn bestimmte Regularien beachtet sind. Sie waren einer der VHS-Leiter, die da nicht mitgemacht haben, das heißt, Ihre Teilnehmer bekommen jetzt keine Zuschüsse mehr von den Krankenkassen.

Exakt. Da war ich nicht dabei, so wie übrigens 70 Prozent der Volkshochschulen. Bei uns hat es deshalb aber keinen Rückgang bei den Teilnehmern gegeben, im Gegenteil. Die Leute brauchen das nicht, was die Kassen da wollen, Baukastensysteme, besondere Dozentenzertifizierung und all so was. Was soll das? Das ist einfach sinnlos. Die Leute wissen selbst, was sie brauchen, und das machen sie.

Was würden Sie am liebsten ins Programm nehmen, trauen sich oder können aber nicht?

Ich hätte gerne im Keller Werkstätten, in denen Menschen mit Holz oder anderen Materialien arbeiten können. Wir haben seit fast 30 Jahren eine Töpferwerkstatt, die ist heute unbezahlbar und sehr beliebt. Das handwerkliche Tun ist für die Menschen sehr interessant, das Haptische dabei. Auch beim Kochen, beim mit Ton arbeiten, es gibt vieles, das wir in unserer modernen Welt nicht mehr finden. Weil das mit der Werkstatt im Keller aber nicht geht, bieten wir zum Beispiel Kurse in Kooperation mit Handwerksmeistern an, zum Beispiel einen Drechsel-Kurs in Notzing oder einen Modellbaukurs bei einem Schreiner in Kirchdorf.

© SZ vom 18.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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