SZ-Interview:"Die deutsche Qualität ist ein Markenzeichen"

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Von Beruf ist Martin Reiter Trockenbaumeister und Stuckateur. Er packt täglich auf dem Bau mit an. (Foto: Marco Einfeldt)

Martin Reiter und die Kreishandwerkschaft finden das Freihandelsabkommen TTIP eigentlich ganz gut. Trotzdem gibt es Vorbehalte. Die Meisterprüfung sollte weiterhin Bestand haben, damit die Standards nicht sinken und beim Verbraucher ein Imageschaden entsteht

Interview von Rebecca Seeberg, Freising

TTIP, die geplante "Transatlantic Trade and Investment Partnership" zwischen EU und USA, auf deutsch auch Freihandelsabkommen, sorgt für großen Aufruhr. Wird der Vertrag ratifiziert, leiden vor allem die kleineren Unternehmen darunter, prognostizieren die Gegner. Vereinheitlichungen von Standards zweier Wirtschaftszonen mit vollkommen unterschiedlichen Arbeits- und Sicherheitsphilosophien machen auch deutschen Handwerksbetrieben Sorgen. Martin Reiter, der Kreishandwerksmeister Freisings, im Gespräch über das Freihandelsabkommen.

SZ: In Zusammenhang mit TTIP wird oft ein Satz von Ludwig Erhard gebracht: "Wirtschaft soll dem Menschen dienen, nicht umgekehrt." Was sagen die Handwerker dazu?

Reiter: Im Prinzip hat der Mann ja recht. Im Hinblick auf das Freihandelsabkommen ist das Handwerk aber zwiegespalten. Die Handwerkskammer steht dem Ganzen eigentlich positiv gegenüber, natürlich auch, weil man gegen den vorhergesagten Arbeitskräftezuwachs und den Wirtschaftsaufschwung nichts einzuwenden hat. Die größte noch bestehende Angst liegt darin, dass der Meistervorbehalt angegriffen werden könnte.

Können Sie das genauer erklären?

In jedem Handwerksberuf kann man einen Meister machen, doch es gibt Berufsgruppen, da ist das Pflicht. Wenn im Zuge von TTIP der Meistervorbehalt abgeschafft werden würde, dann könnte zum Beispiel eine amerikanische Firma in Deutschland Betriebe eröffnen, für die normalerweise eine Meisterprüfung von Nöten wäre. Das hieße für uns also, dass jeder X-Beliebige einen Betrieb anmelden könnte, die hart erarbeiteten deutschen Standards sinken würden und so unsere Branchen langfristig an Image verlieren würde.

Neben der Meisterprüfung legt ihre Kreishandwerkerschaft Wert auf hohe Qualität bei beispielsweise Verbraucherschutz oder Lebensmittelstandards. Wird TTIP diese Standards angreifen?

Anfangs war man in Handwerkskreisen darüber sehr besorgt. Die deutsche Qualität ist einfach ein Markenzeichen, darum müssen wir kämpfen.

Und wie?

Der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes, mit dem die Handwerkskammer für München und Oberbayern gute Verbindungen hat, ist laufend mit unserem Wirtschaftsministerium im Gespräch und pocht auf die Beihaltung der Meistervoraussetzung, unsere hohen Qualitätsstandards und das Bewahren unserer Souveränität. Ich hoffe einfach, dass das durchgesetzt wird. Trotz aller Beteuerungen der EU-Kommission bleibt die Angst, dass amerikanische Regelungen durch TTIP nach Deutschland überschwappen könnten. Zum Beispiel gilt die ILO-Norm - das Recht, Gewerkschaften zu gründen - dort nicht. Ich bin ein klarer Befürworter von Gewerkschaften und fände es sehr bedauerlich, wenn diese durch TTIP an Einfluss verlieren würden. Bei uns Handwerkern sorgen sie zum Beispiel für hohe Löhne und zufriedene Mitarbeiter. Handwerker demonstrieren fast nie, auch haben wir ganz wenig Schiedsgerichtsfälle, in denen zum Beispiel ein Lehrling mit seinem Arbeitgeber einen Streitfall hat.

Apropos Schiedsgerichte. Investitionsschutzverfahren sind ein fester Teil des Vertrages. Bereits bestehende Fälle wie ein Rechtsstreit zwischen Ägypten und dem dort ansässigen französischen Konzern Veolia aufgrund der Erhöhung des ägyptischen Mindestlohns zeigen, wie abträglich diese Regelung für einen Staat sein kann. Was, wenn nach der Ratifizierung von TTIP ähnliche Szenarien zwischen Handwerkern und amerikanischen Unternehmen stattfinden sollten?

Dann haben wir ein Problem. Das muss einfach besprochen und geregelt sein, bevor dem Vertrag zugestimmt wird. Es gibt natürlich auch Vorteile durch das Freihandelsabkommen. So sollen bisherige Handelshemmnisse wie Zölle durch TTIP beseitigt werden.

"Bäckermeister aus Freising exportiert in die USA" - eine Schlagzeile, die sich sehen lassen könnte.

Hauptsächlich profitieren größere Unternehmen von dem freieren Handel mit Amerika, das ist klar. Handwerker im Landkreis Freising ziehen aus dem neuen Abkommen kaum Vorteile. Hier haben wir ungefähr 2700 kleine und mittelständische Handwerkerbetriebe mit ein bisschen mehr als 11 000 Mitarbeitern und 800 Auszubildenden. Innerhalb von Deutschland und auch in den Ländern um Deutschland herum sind wir zwar aktiv, der Handel mit Amerika findet aber in ganz anderen Dimensionen statt.

Ein wichtiger Punkt in dem Vertrag ist, dass kleine und mittelständische Unternehmen im Export nach USA unterstützt werden und mit den großen Konzernen konkurrieren können. Ihrer Meinung nach ist es also eher umgekehrt?

Große Handwerksbetriebe profitieren davon, dass die ganzen Hürden fallen, aber das sind wirklich die wenigsten. Die Kleinen bleiben dabei hinten an. Wenn man Bürokratie abbauen will, dann sollte man damit erst einmal in der EU anfangen. Der bürokratische Aufwand, den wir in den letzten Jahren zusätzlich betreiben mussten, war schon ziemlich extrem.

Ein großer Kritikpunkt an TTIP ist die Geheimhaltung. Die EU-Kommission beteuert, dass das die öffentlichsten Verhandlungen seit langem seien.

Wenn die Verhandlungen von Anfang an offen gewesen wären und man auch unsere Interessen akzeptiert hätte, dann würde es das ganze Problem jetzt nicht geben. Beispielsweise wüssten wir dann, ob Punkte wie der Meistervorbehalt und unsere Standards beibehalten werden oder nicht. Wir Handwerker sind relativ spät informiert worden. Ich sitze ja auch im Vorstand von der Handwerkskammer für München und Oberbayern, und das war bei unseren Sitzungen natürlich ein großes Thema. Das erste, was wir bekommen haben, waren sechs Seiten Zusammenfassung!

Viele TTIP Gegner bezeichnen diese Geheimhaltung als einen Angriff auf die Demokratie.

So drastisch würde ich es nicht ausdrücken. Aber es stimmt schon, dass weder Kreistag, noch Gemeinde, noch Kommune mitreden dürfen. Deshalb müssen wir Handwerker uns besonders dafür einsetzten, dass jeder unserer Kritikpunkte durchgesetzt und hieb- und stichfest im Vertrag verankert wird. Aber der Text ist noch nicht veröffentlicht, wir wissen also nichts.

© SZ vom 04.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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