Serie: Eine Freisingerin in Dunkerque:Das Haus am Meer

Lesezeit: 3 min

Katharina Horban im Karnevalfieber

Von Katharina Horban

Das Schiff legt ab und es geht nach Hause, nach Frankreich. Eine Woche habe ich mit meiner Schule in Dublin verbracht. Der Wind peitscht heftig über den Hafen von Dover, die Möwen kreischen und fliegen um die Fähre. Immer mehr Jugendliche strecken ihre Handys in die Höhe und freuen sich, dass sie wieder im französischen Netz sind: "Bonjour la France!"

Eineinhalb Stunden später stehe ich in einer Sporthalle inmitten von fünfzig anderen Austauschschülern, laute Karnevalsmusik tönt durch die Halle. Heute organisiert Rotary einen Tag für alle Jugendlichen, es wird der Karneval von Dunkerque gefeiert. In ganz Frankreich ist Dunkerque die einzige Stadt mit dem Fasching. Selbst in anderen Städten in Nordfrankreich gibt es den Karneval nicht, den findet man nur in Dunkerque und den umliegenden Dörfern. Seine Ursprünge hat der Karneval im siebzehnten Jahrhundert, als der Hafen ein bedeutender Fischereihafen war. Die Fischer fuhren im Winter nach Island, um dort in den kalten Gewässern Kabeljau zu fischen. Vor der Abfahrt feierten die Männer ein letztes Mal alle zusammen, denn es ging für ganze drei Monate auf See. Bis etwa 1950 ging das so, dann brachen immer weniger Boote Richtung Island auf. Der Fasching wurde beibehalten und jedes Jahr um die gleiche Zeit verwandelt sich die Stadt in die Karnevalshochburg Frankreichs. Neben den Austauschschülern sind an diesem Tag auch die französischen Jugendlichen mit ihren Familien da, die nächstes Jahr ins Ausland gehen werden. Außerdem sind auch einige Rotexer, also ehemalige Austauschschüler, gekommen, die letztes oder vorletztes Jahr weg waren. Man soll sich besser kennenlernen und mit den Leuten reden. Obwohl leider niemand nach Deutschland geht, spreche ich mit einigen Jugendlichen, die nach Australien oder Südafrika gehen werden. Schließlich kommt eine Musikgruppe hinein, Trommeln, Schellen, Piccolo-Flöten und Trompeten werden gespielt. Aufwendig kostümiert drehen sie ihre Runde. Unsere Betreuer haben sich inzwischen umgezogen und sind als Mönche, Piraten, Kaiser kaum wiederzuerkennen. Gemeinsam wird getanzt und gelacht - "faire la fete" fast wie die Fischer, bevor es für sie nach Island ging.

Katharina Horban wohnt jetzt zwischen den Dünen. (Foto: privat)

Am Morgen von 8 bis 10 Uhr eine Doppelstunde Geschichte - das steht an diesem Tag auf dem Stundenplan. Heute ist es nicht die Lehrerin, die vor der Klasse steht, heute bin ich es. Ich halte eine Präsentation über den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg. Auf Französisch, als Deutsche. In einer Stadt, die im Zweiten Weltkrieg fast vollkommen von den Deutschen zerstört wurde. An deren Stränden mehr als 330 000 britische und französische Soldaten nach England evakuiert wurden auf der Flucht vor der Wehrmacht. Lange hatte ich mir Gedanken gemacht, über was ich genau rede. Dann entschied ich, einzelne Themen herauszupicken, zu denen ich einen lokalen oder persönlichen Bezug habe. Zwei deutsche Geschichtsbücher der 8. und 9. Jahrgangsstufe von meinem Gymnasium in Freising zeige ich der Klasse. Die Lehrerin ist sehr interessiert, sie schaut sich die Bücher wirklich genau an. Es sei so spannend zu sehen, wie die andere Seite, also die Deutschen, den Nationalsozialismus in den Schulen unterrichtet, meint sie. Anschließend rede ich über das Konzentrationslager in Dachau und die Widerstandsgruppe "Die Weiße Rose" in München.

Ich wechsele zu meiner nächsten Familie, jetzt wohne ich zwischen den Dünen einen Steinwurf vom Strand entfernt. Beim Frühstück, beim Zähneputzen im Badezimmer, von meinem Zimmer aus - immer schaue ich auf das Meer. Abgesehen davon, dass die neue Familie unglaublich nett ist, ist es einfach der Wahnsinn, am Meer zu wohnen. Es ist keine Woche Urlaub am Meer, nein, ich wohne jetzt am Meer.

Am nächsten Morgen mache ich mit der neuen Familie einen Strandspaziergang. In den Dünen tauchen plötzlich Ruinen auf - es sind Überreste von Bunkern aus dem Zweiten Weltkrieg. Es scheint so, als hätte sie der Sand über die Jahrzehnte teilweise verschluckt. Schief, eingesunken, marode. Düne reiht sich an Düne, dazwischen stehen die Ruinen der Bunker von vor siebzig Jahren und die Kitesurfer tummeln sich auf dem Meer.

© SZ vom 26.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: