Selbstverteidigung:Reizgas gegen diffuse Ängste

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Viel Unfug lässt sich mit Reizgas treiben. Die Polizei beobachtet besorgt, dass sich mehr Bürger aus diffusen Ängsten mit dieser Chemikale ausrüsten. (Foto: Bundespolizei)

Immer mehr Menschen beantragen am Landratsamt den sogenannten "kleinen" Waffenschein. Grund ist oft ein falsches Gefühl der Unsicherheit. Die Polizei beobachtet den Trend mit Skepsis

Von Peter Becker, Freising

Das Böse ist immer und überall. Dies hat Anno 1986 schon die österreichische Pop-Rock-Band Erste Allgemeine Verunsicherung erkannt, als sie ihr legendäres Lied über einen Banküberfall gesungen hat. Jetzt ist die Gefahr, im Landkreis unter die Räuber zu fallen, relativ gering. Doch das Böse ist heimtückisch und kommt in vielerlei Gestalt daher. Und weil dem so ist, plagen manche Bürger diffuse Ängste. Konkret wissen sie vielleicht gar nicht, gegen wen sie sich schützen sollen. Und weil es triftige Gründe braucht, um in Deutschland scharfe Waffen führen zu dürfen, erwerben immer mehr Menschen "nur" den kleinen Waffenschein.

Der berechtigt immerhin zum Kauf diverser Reizgase und Schreckschusspistolen. Das mag manchem ein gewisses Gefühl an Sicherheit vermitteln. Im Landkreis haben im vergangenen Jahr laut Pressesprecherin Eva Dörpinghaus 46 Personen den kleinen Waffenschein beantragt. Immerhin mehr als doppelt soviel wie 2014. "Eine überproportionale Steigerung können wir nicht erkennen", schränkt die Sprecherin des Landratsamts aber ein.

480 kleine Waffenscheine hat die Behörde in den vergangenen Jahren ausgestellt. In den Jahren 2010 bis 2013 waren es durchschnittlich zwischen 30 und 40. Im Jahr 2014 sank die Zahl der Ausstellungen gar auf 19 Fälle, um im darauffolgenden wieder auf 46 anzusteigen. Wer so einen kleinen Waffenschein erwerben will, muss mindestens 18 Jahre alt sein und einen möglichst einwandfreien Leumund vorweisen können. Das heißt, er darf weder alkohol- noch drogensüchtig sein. Das Bundeszentralregister sollte möglichst frei von Vorstrafen sein. Eine Jugendstrafe oder eine Geldstrafe unterhalb von 60 Tagessätzen wird jedoch toleriert.

Der kleine Waffenschein wird im Landkreis Freising von der entsprechenden Behörde am Landratsamt ausgestellt. Die Kosten betragen in Bayern zwischen 30 und 150 Euro. Die Erlaubnis für den kleinen Waffenschein überprüft die Behörde alle drei Jahre. Wer in seinem Besitz ist, darf Signal-, Reizstoff- und Schreckschusswaffen führen. Die müssen mit dem PTB-Prüfzeichen der Deutschen Physikalisch-Technischen-Prüfanstalt versehen sein. Der Erwerb ausländischer Fabrikate ist untersagt. Praktisch kann sich in Deutschland jeder so eine Waffe zulegen, wenn er 18 Jahre alt ist. Ohne kleinen Waffenschein darf er die Schreckschusspistole nur besitzen, nicht aber mit sich führen. Bei öffentlichen Veranstaltungen, erläutert Eva Dörpinghaus, sei das Mitführen jeglicher Art von Waffen verboten. Darunter fallen etwa Silvesterpartys, Volksfeste, Messen, Sportveranstaltungen oder Märkte.

"Die Mehrheit der Antragsteller von kleinen Waffenscheinen ist mittleren Alters", beschreibt Eva Dörpinghaus das Klientel. Sie kämen aus allen gesellschaftlichen Schichten. "Auch ausländische Mitbürger sind darunter." Die meisten Personen, die 2015 Anträge gestellt haben, hätten angegeben, dass sie die waffenrechtliche Erlaubnis zum Selbstschutz benötigen würden. Das Führen einer erlaubnisfreien Schusswaffe vermittle ihnen ein größeres Sicherheitsgefühl. Anlass für die oft diffusen Ängste gibt es viele. Der eine fürchtet sich vor dem Islamischen Staat, der andere vor Einbrechern aus osteuropäischen Ländern. Der dritte meint, sich wegen der wachsenden Anzahl von Flüchtlingen bewaffnen zu müssen. Konkrete Angaben für die vermehrten Anträge für den kleinen Waffenschein kann auch Eva Dörpinghaus nicht angeben. "Ob dies jetzt aufgrund der Flüchtlingssituation entstanden ist oder der Hype nur durch die entsprechenden Medienberichte vor einigen Wochen ausgelöst wurde, kann unsererseits nicht bestätigt werden."

Michael Ertl, stellvertretender Leiter der Freisinger Polizeiinspektion, beobachtet den Trend mit Skepsis. Die Polizei hat durchaus registriert, dass sich immer mehr Bürger mit Reizgas ausstatten. Das bedeutet für die Beamten, dass das Risiko für sie steigt, selbst Opfer einer entsprechenden Attacke zu werden. Andererseits, sagt Ertl, "kann es durchaus sein, dass der Falsche mit Reizgas besprüht wird". Denn so manche Situation, in der sich Personen in Bedrängnis glauben, stellen sich hinterher als vollkommen harmlos heraus.

Diffuse Ängste lassen sich nicht einfach aus der Welt schaffen. Sie resultieren aus dem subjektiven Empfinden der Betroffenen. Gar mancher, mit dem Ertl Gespräche geführt hat, fühlt sich in der New Yorker U-Bahn sicherer als im eigenen Landkreis. Dabei sei dort die Gefahr, Opfer einer Attacke zu werden, ungleich höher als im Landkreis. "Es gibt wenig Flecken, die sicherer sind als unser Landkreis", versichert Ertl. "Das Gefühl der Unsicherheit ist falsch."

© SZ vom 07.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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