Schere öffnet sich immer weiter:Verräterisches Pausenbrot

Lesezeit: 3 min

Auch im wohlhabenden Landkreis Freising leben viele Kinder in Armut, die Anzeichen sind leicht zu erkennen. Viele Familien schämen sich jedoch für ihre prekäre Situation und nehmen ihnen zustehende Hilfen nicht in Anspruch

Von Gudrun Regelein, Freising

Ein Hinweis ist das Pausenbrot, sagt Freisings Kinderschutzbund-Vorsitzende Eva Bönig. "Kinder, die jeden Tag das billigste Toastbrot mit der billigsten Nuss-Nugat-Creme als Brotzeit mitbekommen: Weil sich die Familien nichts anderes leisten können." Eva Bönig hat viele Jahre lang als Leiterin eines Kindergartens gearbeitet. Sie habe gelernt, die Zeichen für Kinderarmut zu erkennen, sagt sie. Auffällig sei, wenn ein Kind nicht gut ernährt sei. Auch im wohlhabenden Landkreis sei Kinderarmut ein Thema, weiß Bönig. "Aber sie ist oft versteckt."

Rund drei Millionen Kinder leben laut Deutschem Kinderhilfswerk in Deutschland in Armut. Diese zeige sich meist in schlechten Bildungschancen, einer mangelhaften Gesundheit, dem Gefühl der Scham und wenig Selbstvertrauen. Und auch in Bayern wächst die Zahl der betroffenen Familien: Lag der Anteil der Kinder in Hartz-IV-Bezug 2011 noch bei 6,4 Prozent, so stieg er im Jahr 2015 auf 6,8 Prozent an. Im Landkreis Freising erhalten derzeit 765 sogenannte Bedarfsgemeinschaften mit Kindern unter 18 Jahren Hartz-IV - durchschnittlich sind das 1600 Euro im Monat, berichtet Landratamtssprecher Robert Stangl. 2011 waren es - entgegen dem Trend - mit 819 sogar noch mehr Familien gewesen.

Viele Familien versuchten aus Scham, ihre Situation zu verbergen und würden vielleicht deshalb Hilfe, die ihnen eigentlich zusteht, nicht in Anspruch nehmen, sagt Eva Bönig. Andere, die ein Einkommen ganz knapp über der Grenze zu einem Anspruch auf zusätzliche staatliche Hilfen haben, kämen "gerade so über die Runden". Die Schere zwischen Arm und Reich im Landkreis aber öffne sich immer weiter, "einen gesunden Mittelstand gibt es immer seltener", sagt Bönig. Grund für die prekäre Lebenslage vieler Familien seien unter anderem die hohen Miet- und Lebenskosten. Und der hohe Anteil an Geringverdienern. So habe ihr erst vor Kurzem ein Vater erzählt, dass er 9,50 Euro in der Stunde verdiene - und es an diesem Tag gerade mal fünf Stunden Arbeit für ihn gegeben habe. "Dass das für eine Familie nicht langt, kann man sich leicht ausrechnen."

Für Alleinerziehende - meistens sind es die Mütter - sei die Situation besonders schwierig, berichtet die Vorsitzende der Arbeiterwohlfahrt (Awo) in Freising, Heidi Kammler: "Die geraten schnell in die Armutsspirale." Mietrückstände, offene Rechnungen, Ausgaben für Kleidung, Schule, Freizeit: bei zumeist nur einem Halbtagsjob sei das alles nicht zu finanzieren. "Gerade eben versuchen wir einer Frau zu helfen, deren Mann kürzlich verstorben ist", erzählt Kammler. Diese sei zwar berufstätig, aber eben nur geringfügig beschäftigt. Zwar gebe es finanzielle Unterstützungen, wie den Mietzuschuss, aber: "Bei Extra-Wünschen der Kinder fehlt das Geld", berichtet die Awo-Vorsitzende.

Viele Betroffene wüssten auch gar nicht, welche Hilfe sie in Anspruch nehmen können - und dass es so etwas wie das Bildungs- und Teilhabepaket gibt - oder würden von Amt zu Amt rennen und viel Zeit beim Ausfüllen der Antragsformulare verbringen. Eine zentrale Anlaufstelle, ein Familienzentrum, in dem gebündelt eine Beratung und Beantragung von Hilfeleistungen möglich ist, würde sie sich wünschen, sagt Kammler. "In einer wachsenden Stadt und einem wachsenden Landkreis müsste sich da eigentlich etwas bewegen."

Für Werner Wagensonner, Sachgebietsleiter der Sozialverwaltung in Freising, dagegen ist das Bildungs- und Teilhabepaket nach einigen Anlaufschwierigkeiten eine "kleine Erfolgsgeschichte". Es habe sich etabliert, sei bekannt. In den vergangenen Jahren zumindest ist die Nachfrage stetig gestiegen: Im Jahr 2011, zu Beginn, habe es noch etwa 139 840 Anträge gegeben, 2015 waren es bereits 333 900 und ein Jahr später dann 377 740 Anträge. Der Sprung von 2015 auf 2016 habe an den vielen Asylbewerbern, die Anträge gestellt haben, gelegen, erklärt Wagensonner.

Im vergangenen Jahr bildeten dennoch die Hartz-IV-Empfänger mit 890 Bewilligungsbescheiden nach den Wohngeldempfänger (1895 Bescheide) die größte Gruppe, die einen Zuschuss erhielt. Für die Mittagsverpflegung wurden beispielsweise 106 000 Euro ausgegeben, für mehrtägige Klassenfahrten 53 000 Euro und für die Teilhabe an Kultur oder Sport - hier wird ein monatlicher Betrag von zehn Euro zugezahlt - waren es 38 000 Euro. "Das Paket unterstützt bedürftige Familien", sagt Wagensonner. "Aber natürlich muss man es auch beantragen."

© SZ vom 06.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: