Rückblick:"Dramatisch waren einige Familiensachen"

Lesezeit: 4 min

Claus Huber-Wilhelm und Gerd Karge (rechts) haben während ihrer langjährigen Tätigkeit als Anwälte viel erlebt. (Foto: Marco Einfeldt)

Die Juristen Gerd Karge und Claus Huber-Wilhelm über die 70-jährige Geschichte von Freisings größter Anwaltskanzlei, über schauspielernde Verteidiger und Polizeischutz im Gerichtssaal

Interview von Clara Lipkowski, Freising

1947, in einer Zeit, als Freising noch vom Krieg gezeichnet war, gründete Ludwig Huber-Wilhelm eine Anwaltskanzlei im Obsterhaus nahe dem Rathaus. Es lief gut, bald vergrößerte sich die Kanzlei, sie zog in der Hauptstraße um. 1970 stieg der Anwalt Gerd Karge ein und blieb fast 45 Jahre. Später, da hatte die Kanzlei schon das Sperrerhaus bezogen, kamen der Sohn des Gründers, Claus Huber-Wilhelm, und Josef Heilmeier hinzu. Inzwischen arbeiten die unterschiedlichen Fachjuristen der größten Kanzlei Freisings an der Wippenhauser Straße.

Im Gespräch erinnern sich Claus Huber-Wilhelm, 69, und Gerd Karge, 78, an die Zusammenarbeit mit dem inzwischen verstorbenen Gründer, Polizeischutz im Gerichtssaal und Aufregung beim BGH.

SZ: Herr Huber-Wilhelm: Sie sagen, Ihr Job sei zur Hälfte Schauspielerei?

Claus Huber-Wilhelm: Es gehört eine Portion Schauspielerei und Psychologie dazu, um Mandanten dazu zu bringen, nicht zu klagen, doch in den Streit zu ziehen oder einen Rechtsstreit zu vergleichen.

Wo konkret ist Schauspielerei gefragt?

Huber-Wilhelm: Schon vor Gericht. Man kann dort viel erreichen durch Bluffs, Auftreten, man kann die Gegenseite verunsichern - und das gelingt manchmal auch bei Richtern. Schon das erste Schreiben ist geschauspielert, wenn man schreibt, dass der Gegner keine Chance hat. So haben wir alten Juristen das jedenfalls gelernt.

Gerd Karge: Die alte Frage bei Strafverteidigern, wenn man ein schweres Verbrechen verteidigen muss: Soll man wissen, ob er es tatsächlich war? Denn man muss ihn ja so verteidigen, dass er's nicht war. Da kommt man ein bisschen mit seinem Gewissen in Konflikt. Gott sei Dank hatten wir nicht so große Schwerverbrechen . . .

Huber-Wilhelm: Na ja. Ich habe mindestens drei Morde gehabt, darunter Kindesmord. Und ich habe den damals größten Kokainfund in München mitverteidigt gegen einen US-Amerikaner. Dann habe ich an einem Verfahren teilgenommen, eineinhalb Jahre, drei Tage in der Woche haben wir gesessen, wegen Warentermingeschäften. Da waren 18 Angeklagte, 36 Verteidiger, doppelte Besetzung des Gerichts, doppelte Besetzung der Staatsanwaltschaft. Und dann sind alle miteinand' verurteilt worden, wir sind alle in die Revision gegangen und ich habe das erste Mal vor dem BGH verhandeln dürfen - sehr aufregend natürlich, ich war begeistert! Weil sich dort mit dem Gericht, da sind ja einige Herren und Damen auf der Empore, . . .

Karge: . . . die sogenannten Kronjuristen . . .

Huber-Wilhelm: . . . eine Diskussion entsponnen hat, es gab Rede und Gegenrede. Das war ich von einem sonstigen Gericht nicht gewohnt, das doch eher von oben herab entscheidet, die Diskussion eher meidet, um nicht ins Grübeln kommen zu müssen (beide lachen).

Wie war das, als Ludwig Huber-Wilhelm kurz nach dem Krieg die Kanzlei eröffnet hat?

Karge: Fälle gab es jeglicher Art, nachbarschaftsrechtliche Fälle, Scheidungen, kleinere Strafsachen. Dann hat sich der Straßenverkehr im Lauf der Jahre erheblich erhöht. Unser Pfeiler als ADAC-Syndikus hat 25 bis 30 Prozent des Umsatzes ausgemacht. Diese Funktion hat Herr Senior Huber-Wilhelm an mich übergeben und ich später an die Kollegin Cordula Heilmeier.

Huber-Wilhelm: Als ich ein kleines Kind war, mit zwölf, dreizehn, bin ich mit meinem Vater übers Land gefahren. Er hat Vorträge gehalten zum Verkehrsrecht. Da hat er klar machen müssen, dass Alkohol am Steuer kein Entschuldigungsgrund mehr ist, sondern eine Straftat. Ich bin mitgefahren, weil's für mich eine Gaudi war. Aber der Vater hat anfangs sehr viele Entnazifizierungsprozesse führen müssen. Das weiß ich aus den ersten Büchern, die er über die Mandate geführt hat. Das heißt ja, dass man jemanden von seiner Nazivergangenheit sozusagen freispricht. Da waren sicher auch echte Nazis dabei.

Hat Ihr Vater konkrete Fälle erwähnt?

Huber-Wilhelm: Wie damals üblich in Familien, die im Krieg waren, haben wir über solche Dinge nicht gesprochen. Aber er muss damit bis in die 50er Jahre zu tun gehabt haben.

Wie war die Zusammenarbeit mit Ihm?

Huber-Wilhelm: Das war unglaublich. Wir hatten absolut konträre politische Ansichten. Ich bin ein 68er, mein Vater war Strauß-Anhänger. Das musste Konfrontationen geben. Aber von Stund' an, als ich - zunächst als angestellter Anwalt - in die Kanzlei kam, war das Verhältnis umgekehrt. Der Vater hat mich akzeptiert, für voll genommen und wir haben hervorragend zusammengearbeitet, wie auch mit Herrn Karge.

Karge: Man muss dazu sagen, dass der Senior Huber-Wilhelm ungeheuer fleißig, umsichtig und menschlich war. Nicht nur in der Kanzlei. Er hat immer menschlich gerechte Lösungen des Falls gesucht.

Was waren einprägsame Erlebnisse bei Gericht in Freising?

Karge: Dramatisch waren einige Straf- und Familiensachen. Insofern, als man Tage vorher telefonisch Drohungen bekam. Bei mir war das drei, vier Mal sehr ausgeprägt. Man wollte mich offenbar im Sitzungssaal angreifen. Da bekam ich Polizeischutz auf dem Weg dorthin und im Saal.

Huber-Wilhelm: Ich bin auch bedroht worden, allerdings vom Präsidenten des Landgerichts München II. (beide lachen)

Inwiefern?

Huber-Wilhelm: Ich habe verteidigt mit Freisinger Kollegen und das Gericht ist davon ausgegangen, dass das eine schnelle Sache sein würde. Der erste Sitzungstag - es war nur einer anberaumt - endete um 9 Uhr abends zum Entsetzen aller. Der zweite Sitzungstag ging so weiter. Am dritten wieder. Es war ein schreckliches Unterfangen. Das Gericht war überfordert, wir waren überfordert, die Angeklagten waren sowieso überfordert, weil sie gar nichts mehr verstanden haben. Und dann hat der Präsident des Landgerichts meinen Vater angerufen, ob er denn wisse, was ich so treibe im Gericht. Dann hat mein Vater mich zu ich zitiert und sich das angehört und dann gesagt: Du hast richtig gehandelt.

Später kamen Anwältinnen in Ihr Team . . .

Huber-Wilhelm: Eine Bereicherung. Wie immer, wenn Frauen dabei sind, gleiten Besprechungen oder Round Tables nicht ab.

Karge: Ich glaube, eine große Auszeichnung für diese Kanzlei ist, dass wir jahrzehntelang Kolleginnen bei uns haben, die teils schon mit uns am Marienplatz gearbeitet haben. Das zeigt die Harmonie und das Funktionieren der Kanzlei.

Ein Blick in die Zukunft: Sind Legal Techs eine Bedrohung für Ihren Beruf?

Huber-Wilhelm: Bislang so gut wie nicht. Wir lesen darüber. Ich bin aber noch nicht damit konfrontiert worden. Aber ersetzt werden durch die Maschine ist eine Sache, die der Anwalt nicht liebt. Es wird sich in bestimmten Dingen sicher durchsetzen und da auch Sinn machen, bei kleineren Ordnungswidrigkeiten etwa.

© SZ vom 15.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: