"Realitätssinn verloren":Schwer beschädigt

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Seit Abgeordnete der Freien Wähler ins Visier der Justiz geraten sind, macht man sich an der Basis Sorgen um die Außenwirkung der Gruppierung. Gefordert wird umfassende Aufklärung

Von Christian Gschwendtner, Freising

Im Landtag vergeht selten eine Gelegenheit, in der die Freien Wähler (FW) nicht mit ihrer starken Verwurzelung vor Ort kokettieren. Bisher sind sie damit gut gefahren. Seit aber federführende Abgeordnete ins Visier der Justiz geraten sind, rumort es an der Basis. Im Landkreis Freising ist man wenig "amused" über die Verfehlungen der Parteivorderen. Fraktionsvize Bernhard Pohl war zum wiederholten Mal betrunken am Steuer erwischt worden, zuletzt mit 1,29 Promille. Bei seinem Fraktionskollegen Günther Felbinger steht der Vorwurf im Raum, 60 000 Euro der steuerfreien Mitarbeiterpauschale zweckentfremdet zu haben. Groß ist deshalb die Empörung der Freien Wähler im Landkreis Freising. Manche befürchten gar, dass im Zuge dieser Affären die jahrelange Kärrnerarbeit in den Gemeinden in Misskredit geraten könnte.

Rupert Popp, altgedienter Bürgermeister von Allershausen, ist sprachlos angesichts der Entgleisungen. "Die Leute wissen gar nicht, wie sie unserem Gesamtanliegen geschadet haben", sagt Popp. Das Image der Partei sei schwer angekratzt. Popp ist nie als großer Befürworter der FW-Landtagskandidatur in Erscheinung getreten. Die Kernkompetenz des Wahlbündnisses sieht er in der pragmatischen Problemlösung vor Ort. Dass diese Arbeit nun durch einige Freie Wähler im Maximilianeum erschwert werden könnte, ärgert ihn.

Nicht minder entrüstet gibt sich Karl Ecker, FW-Bürgermeister in Au. Eine sehr schlimme Situation sei das momentan. "Wir kämpfen vor Ort und die in den oberen Stockwerken verlieren den Realitätssinn", sagt Ecker. Dumm sei es zu glauben, dass so etwas nicht an die Öffentlichkeit komme. Ecker fordert eine rückhaltlose Aufklärung, die beiden Landtagsabgeordneten sind für ihn untragbar geworden. Anders als sein Bürgermeisterkollege aus Allershausen ist Ecker aber optimistischer, was die Auswirkungen der Skandale auf die Kommunalpolitik angeht. "In den Gemeinden zählt nicht so sehr die Partei, sondern die Persönlichkeit. Und da sind wird sehr gut aufgestellt", sagt Ecker. Für den Freisinger FW-Stadtrat Benno Zierer gestaltet sich der Spagat schwieriger.

Seit 2013 sitzt Zierer selbst im Landtag. Im Zuge der aktuellen Enthüllungen hat er deshalb noch einmal seine gesamten Abgeordnetenausgaben auf den Prüfstand gestellt. Alles sei in Ordnung, sagt Zierer. Das Phänomen der Werkverträge, über das sein Fraktionskollege Pohl gestolpert ist, kennt Zierer nur zu gut. Regelmäßig treten Leute an ihn heran und wollen ihm Gutachten zur Dritten Startbahn oder zum Hochwasserschutz andrehen. Verrechnet werden soll das mit der Abgeordnetenpauschale, auf Staatskosten versteht sich. Zierer hat das laut eigenen Aussagen immer dankend abgelehnt. "Ich brauche kein Gutachten", sagt er. Als Landwirt sei er mit dem Hochwasserschutz bestens vertraut. Abgesehen davon sei es noch zu früh, um ein abschließendes Urteil in der Landtagsaffäre seiner Partei zu fällen.

Die Kreisvorsitzende der Freien Wähler in Freising, Maria Scharlach, hofft ebenso, dass da nichts mehr nachkommt. In ihrer täglichen Arbeit sei sie noch nicht auf das Fehlverhalten im Landtag angesprochen worden. Einen Beigeschmack für die "gute Arbeit an der Basis" habe das Ganze aber schon. Der stellvertretende Landrat Robert Scholz möchte sich erst gar nicht zur Landespolitik äußern. Erfreut über die aktuellen Entwicklungen ist auch er nicht. Trotz der Kritik an dem Gebaren der Landtagsfraktion sind sich die Freien Wähler im Landkreis aber einig: Die Entscheidung, in der Landespolitik mitzumischen, lasse sich nicht mehr revidieren.

© SZ vom 10.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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