Psychosomatische Tagesklinik:Dem Leben eine andere Wendung geben

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Die Klinik in Freising schließt eine Lücke. Alle zehn Plätze im Klinikum sind besetzt

Von Gudrun Regelein, Freising

Weiblich, zwischen 25 und 45 Jahre alt, in Freising oder dem östlichen Landkreis lebend: Das ist der "Durchschnittspatient" der psychosomatischen Tagesklinik am Klinikum Freising, die nach langem Vorlauf im Mai ihre Arbeit aufnahm. Damit wurde eine Lücke geschlossen, zuvor gab es kein teilstationäres Angebot mit Schwerpunkt Psychotherapie im nördlichen Oberbayern.

Alle zehn Plätze seien derzeit belegt, sagt Chefarzt Dr. Bruno Schröder. "Der Bedarf ist da", betont er. 40 Patienten wurden in den vergangenen sieben Monaten bereits behandelt, die durchschnittliche Verweildauer beträgt 42 Tage. Viele der Patienten hätten gerade bei körperlichen Beschwerden ohne ausreichend erklärenden Befund oft eine Odyssee hinter sich. "Hier haben sie endlich jemanden gefunden, der für sie zuständig ist", sagt Schröder. So wie die junge Frau, die - wie die allermeisten Patienten - von ihrem Hausarzt überwiesen wurde: Sie litt unter Schlaflosigkeit und starken Kopfschmerzen. Nichts mache ihr mehr Freude, sie fühle sich kraftlos und habe Ängste, sagte sie. Dazu habe sie massive Probleme, in der Arbeit zu funktionieren. In einem ersten, langen Gespräch erzählte sie ihre Lebensgeschichte, berichtete über ihre aktuelle Situation und über ihre Symptome. "Wir entscheiden nichts, wir überlegen uns Dinge, von denen wir glauben, dass sie den Patienten gut tun", erklärt Schröder. Der Weg werde dann mit dem Patienten gemeinsam gefunden. Entscheidend aber sei, dass er freiwillig komme - und dass er bereit sei mitzuarbeiten. "Der Patient muss nicht spuren, aber es gibt eine klare Struktur und Regeln", sagt der Chefarzt. Und es gebe Grenzen: Bei schweren und wiederholten Regelverstößen könne ein Patient auch gegen seinen Willen entlassen werden.

In der Therapie solle gelernt werden, trotz vielleicht widriger Umstände ein möglichst glückliches Leben zu führen: Der Umgang mit Dingen, die man nicht verändern kann, solle eingeübt werden, sagt Schröder. "Wenn man beispielsweise pflegebedürftige Eltern hat, kann man diese Situation nicht verändern." Über andere Umstände könne man dagegen sehr wohl entscheiden, könne dem Leben eine andere Wendung geben. "Jeder ist seines Glückes Schmied - oder zynisch formuliert seines Unglücks Schmied. Was ich damit sagen will, ist, dass man nicht am Unglück festhalten muss", sagt Schröder. Natürlich sei das ein schwieriger therapeutischer Prozess.

Die eigene Vergangenheit müsse verstanden werden und es müsse akzeptiert werden, dass die Gegenwart die einzige Realität ist - und für die Zukunft müsse das Handwerkszeug, das dabei hilft, glücklicher zu sein, vermittelt werden. Bei der jungen Patientin beispielsweise habe sich bei der biografischen Anamnese herausgestellt, dass sie früh ihren Vater verloren hatte und seitdem an Instabilität litt. Als dann ihr Chef, mit dem sie sich sehr gut verstanden hatte, kündigte und sie mit dem neuen Probleme hatte, löste das ihre akuten Beschwerden aus.

Der Alltag in der Tagesklinik ist strukturiert - der Rahmen sei für alle gleich, aber dennoch gebe es viele Freiheiten, erklärt Schröder. Mit Sport, Kunstangeboten, Gruppen- und Einzelgesprächen oder auch einem sozialen Kompetenztraining werden die Patienten, die von montags bis freitags tagsüber in der Tagesklinik sind, stabilisiert. Die Therapie sei eine radikale Bestandsaufnahme, sagt Schröder. Der jungen Frau beispielsweise sei klar geworden, dass sie den Verlust des Vaters noch nicht verarbeitet habe. Sie habe gelernt, dass sie ihrer eigenen Gefühlswelt mehr Beachtung schenken müsse. "Ihr wurde bewusst, weshalb sie unter diesen Beschwerden litt. Und sie hat die notwendigen Instrumente bekommen, um ihr Leben zu verändern." Die junge Frau ist nicht die Einzige, die sich in der Tagesklinik Hilfe erhofft: Inzwischen gebe es eine mehrwöchige Wartezeit auf einen freien Platz, berichtet Bruno Schröder. Er könnte sich vorstellen, noch mehr Patienten zu behandeln. "Mehr Plätze wären vielleicht der nächste Schritt."

© SZ vom 12.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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