Prozess in Freising:Geldstrafe für Grapscher

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Skurriler Prozess am Freisinger Gericht: Weder der Täter noch das Opfer können sich an Vorfälle während einer S-Bahn-Fahrt erinnern. Eine Strafe gibt es trotzdem.

Peter Becker

Das Seltsame an dem Prozess vor dem Freisinger Jugendschöffengericht ist, dass sich weder der Täter noch das Opfer an die Vorfälle im März dieses Jahres erinnern können. Die Betroffenen waren damals beide ziemlich betrunken. Dem 20-jährigen Angeklagten ist es "ziemlich peinlich", dass er während einer nächtlichen S-Bahn-Fahrt eine junge Frau aus München begrapscht hat.

Nachts in der S-Bahn soll ein Freisinger eine junge Frau aus München begrapscht haben - weder Täter noch Opfer können sich daran erinnern. (Foto: region.lks)

Diese wiederum hat davon gar nichts mitbekommen, weil sie tief und fest schlief. Beobachtet hat das Geschehen ein Zollbeamter, der schließlich am Münchner Flughafen die Frau weckte und die Polizei herbeirief. Das Jugendschöffengericht verurteilt den 20-Jährigen wegen sexuellen Missbrauchs von Widerstandsunfähigen zu einer Geldstrafe zu 90 Tagessätzen. Insgesamt muss er 1170Euro zahlen.

Täter und Opfer hatten an jenem Märztag ziemlich viel getrunken. Beide hatten, wie eine spätere Kontrolle ergab, über zwei Promille Alkohol im Blut. Die Münchnerin war am Hirschgarten zugestiegen und hätte eigentlich am Hauptbahnhof aussteigen müssen. Da war sie schon eingeschlafen. Am Leuchtenbergring stieg dann der Beschuldigte zu. Er wundert sich heute noch, warum ausgerechnet dort, denn eigentlich hatte er mit Freunden im Kunstpark Ost gefeiert und hätte gleich am Ostbahnhof in die S8 steigen können. Was dann während der folgenden 25 Minuten geschah, wissen beide nur aus der Erzählung des Zollbeamten.

"Sie hat sich gar nicht gerührt!"

Der Zeuge sagt vor Gericht aus, er habe gesehen, wie sich der 20-Jährige neben die schlafende Frau gesetzt habe. Von seinem Sitzplatz aus konnte er beobachten, wie der junge Mann ab der Haltestelle Daglfing anfing, die Münchnerin zu begrapschen. "Die Frau hat nichts gemerkt. Sie hat sich gar nicht gerührt", sagt der Zeuge. Der junge Mann, schildert er weiter, habe sein Käppi tief ins Gesicht gezogen und sich von Zeit zu Zeit vergewissert, dass ihm niemand zusehe. Am Flughafen angelangt, habe er die Frau wachgerüttelt und den Jugendlichen angesprochen.

Auf die Frage, warum er nicht früher eingeschritten sei, sagte der Zeuge, er habe die Vorgänge ja im Blickfeld gehabt. Wenn der Beschuldigte noch zudringlicher geworden wäre, hätte er natürlich eingegriffen. "Aber ich kenne ihn ja nicht. Ich weiß ja nicht, ob er ein Messer bei sich hat", entschuldigt sich der Zeuge. Er habe an Dominik Brunner gedacht. Der Mann war im September des vergangenen Jahres an einer S-Bahn-Haltestelle von Jugendlichen zu Tode geprügelt worden. "Ich wollte warten, bis wir am Flughafen sind", erklärte der Zeuge sein Verhalten. "Da sind mehr Leute."

Die junge Frau kann heute noch nicht fassen, was damals passiert ist. Als der Zollbeamte sie geweckt habe, dachte sie erst, es ginge ums Schwarzfahren. "Dann habe ich erst erfahren, dass ich belästigt worden bin." Bei dem Gedanken, was ihr alles hätte passieren können, sei sie erschrocken. Seitdem habe sie Angst, nachts mit der S-Bahn zu fahren. Dass der Täter ihr einen Entschuldigungsbrief geschrieben hat, hilft ihr bei der Verarbeitung des Geschehens nicht weiter. "Der war sehr unpersönlich geschrieben", sagt sie. Die Zeugin findet es außerdem merkwürdig, dass sich der Beschuldigte erst ein paar Wochen vor dem Gerichtstermin bei ihr entschuldigte. "Das hätte ich eigentlich schon ein paar Tage danach erwartet", sagt sie.

Beim Angeklagten selbst setzt die Erinnerung erst wieder ein, als die Vernehmung durch die Polizei begann. "Der Vorfall ist mir sehr peinlich", betont er mehrmals. Als er seiner Mutter davon erzählte, sei die "wahnsinnig entsetzt" gewesen und habe sofort gesagt, er müsse das Trinken einschränken. An den guten Rat hat er sich gehalten.

"Alkohol ist kein Freibrief", stellt auch Jugendrichter Christian Baier in seiner Urteilsverkündung fest. Zum Glück für die Münchnerin hätten die Handlungen oberhalb der Kleidung stattgefunden und seien auch nicht massiv gewesen. Der Richter geht davon aus, dass es sich bei dem Vorfall um einen "einmaligen Ausrutscher" handelt. Er halte den 20-Jährigen nicht für eine Person, die darauf abziele, wehrlose Frauen zu finden und diese zu begrapschen. Der Richter entschloss sich dazu, das Strafrecht für Erwachsene anzuwenden. Dafür spricht das Alter des Beschuldigten, der bald 21Jahr wird. "Je näher man an die Grenze von 21 Jahren kommt, um so gravierender müssen Störungen in der persönlichen Entwicklung sein, damit noch Jugendstrafrecht zur Anwendung kommt", erläutert Christian Baier.

© SZ vom 08.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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